Die Grünen führen bundespolitisch ein merkwürdiges Doppelleben. Einerseits werden sie in den Medien als mögliche Kanzlerpartei gehandelt. Obwohl ihnen laut Umfragen kaum 15 Prozent der Wähler ihre Stimme geben würden. Nach Robert Habecks viel bejubelter Rede zum Thema Israel war mancher Journalist kurz davor, ihn schon als neuen Regierungschef auszurufen. Andererseits ist in Bayern der größte Gegner der Grünen nicht etwa die CSU, sondern sind die Freien Wähler. Eine Partei, die in bundesweiten Wahlbefragungen gar nicht erst als eigene Partei gelistet wird, als so unbedeutend gilt sie.
Und so kommt es, dass die Bundes-Grünen-Co-Vorsitzende Ricarda Lang mit dem erneut berufenen Wirtschaftsminister Bayerns und Bundesvorsitzenden der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, diskutiert. Zumindest ist es das, was Maischberger vorgibt, an diesem Abend zu veranstalten. In Wahrheit ist es eine unfaire, bittere Satire einer Diskussion, bei der Aiwanger sich rechtfertigen muss – und Ricarda Lang von der Moderatorin verschont wird. Was für den Zuschauer ein gewisser Vorteil ist, gleicht es doch die argumentative Überlegenheit Aiwangers wenigstens zum Teil aus. Aber fair ist es nicht.
Plötzlich ist Merkel-Kritik möglich
Aber von Anfang an: Die Sendung kann nur, muss in Bezug zum Migrationsgipfel von Kanzler Olaf Scholz handeln. Schon in der Vordiskussion der Journalistenrunde zeigt sich, wie massiv der veröffentlichte Diskurs sich seit den Anti-Israel-Protesten in Deutschland verschoben hat. Petra Gerster, jahrelang ZDF-Heute-Moderatorin, ist plötzlich migrations- und regierungskritisch. Um ihre Karriere muss man sich keine Sorgen machen, sie ist ja schon pensioniert. Scholz nannte die Ergebnisse seines Migrationsgipfels „sehr historisch“.
Gerster sagt dazu: „Historisch ist ein großes Wort. Wir wissen ja, Olaf Scholz liebt große Worte, denen dann kleine Taten folgen.“ Eine Aussage, die Moderatorin Maischberger mit einem erschreckten Auffahren und skeptischen „Okay“ quittiert. Und über Merkels Grenzöffnung sagt Gerster: „Deutschland verabschiedet sich endgültig von dem großen Satz Angela Merkels ‚Wir schaffen das‘. Damals war ich stolz darauf, heute bin ich es weniger.“ Pension hin oder her: Solche Aussagen wären noch vor wenigen Monaten nicht möglich gewesen, ohne die eigene soziale Existenz zu vernichten.
Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der WELT, ist auch eingeladen. Einen, der die Migrationspolitik schon vorher kritisierte, musste man halt doch einladen. Und dann auch einen, der nicht zu spannend oder ungewöhnlich ist: Robin Alexander halt. Sonja Zekri von der Süddeutschen ist dabei, um die Position des grün-roten Feuilletons zu vertreten.
„Ich habe gesündigt!“
Bevor Maischberger die Diskussion mit Hubert Aiwanger beginnt, will sie aber von den anwesenden Journalisten wissen: Ist es angemessen, dass Aiwanger überhaupt zum Thema Antisemitismus spricht? Gerster findet, Aiwanger sollte sich mit Blick auf seine Flugblatt-Affäre in der Diskussion um importierten Antisemitismus zurückhalten. Zekri vermutet eine Verschwörung, die von rechtem Antisemitismus ablenken soll. Nur Alexander ist sichtlich verwirrt: Warum sollte Aiwanger schweigen, wenn er denn das Richtige sagt?
Maischbergers Ziel ist es am Anfang, Hubert Aiwanger in stalinistischer Manier zur Selbstanklage zu treiben. Es fehlt nur noch der explizite Aufruf: „Hubert Aiwanger, jetzt klagen Sie sich doch endlich selbst an!“ Sie kritisiert seinen Umgang mit der Flugblatt-Affäre. Mehrmals macht sie deutlich: Sie glaubt Aiwanger nicht, dass er nicht Verfasser des Pamphlets war, das sich über die Morde in Auschwitz lustig machte. Aiwanger hatte sich in der Frühphase des Skandals entschuldigt, für „Mist, den ich in der Jugend gebaut habe“. Welcher Mist?, will Maischberger wissen. Eine Aussage, die Aiwanger verweigert und dafür von Lang und Maischberger kritisch beäugt wird. Es ist ein zynisches Pingpong, das Maischberger spielt.
Die fiktive Diskussion würde so aussehen:
– Maischberger: „Herr Aiwanger, warum sind Sie ein so schlechter Mensch?“
– Aiwanger: „Ich finde nicht, dass ich ein schlechter Mensch bin.“
– Maischberger: „Frau Lang, wie schaffen Sie es ständig, ein so guter Mensch zu sein?“
Der Erkentnissgewinn ist minimal. Die Freien Wähler sind stolz darauf, dass sie in Bayern die „5 H-Regel“ gekippt haben: Diese besagte, dass ein Windkraftwerk nicht in unmittelbarer Nähe eines Dorfes aufgestellt werden darf. Ricarda Lang versteht nicht, warum ein Mindestlohn von 14 Euro nicht umsetzbar ist. Trotz aller Widrigkeiten setzt Aiwanger sich in der Diskussion durch. Denn Lang kann gut die Worthülsen der Grünen runterbeten: Aber das reicht nicht. Sie erklärt, dass es nichts bringt, das Bürgergeld zu reduzieren: Um zu verhindern, dass die Menschen sich im Bürgergeld ausruhen, solle man den Mindestlohn erhöhen und die Tarifbindung ausweiten. Aiwanger fordert sie auf, ungelernte Mitarbeiter doch – von eigenem Geld bezahlt – für 14 Euro pro Stunde einzustellen. Stattdessen will er die Steuern senken.
Idealismus ist das Privileg des Romanautors
Im Einzelinterview hatte Sandra Maischberger den Unternehmer Dirk Roßmann zu Gast. Er ist idealistisch, schreibt hoffnungsfrohe Artikel über eine Weltregierung, die den Klimawandel erfolgreich bekämpft. Dafür verleiht er in einem seiner Romane sogar Wladimir Putin einen Nobelpreis für den Frieden.
Das zeigt nur: Der hoffnungsvolle Roman des einen ist die Dystopie des anderen. Maischberger ist sichtlich angetan von der „positiven“ Nachricht des Buches. Darin verbietet eine Weltregierung den Bürgern, zu oft zu fliegen und vieles mehr. Roßmann meint, er selbst lebe ein bescheidenes Leben für einen mehrfachen Millionär. Sein Auto ist 10 Jahre alt und das Haus 40 Jahre. Ein neues Auto würde er sich nun mal zulegen. Aber die Bürger sollen bitte weniger konsumieren, um das Klima zu retten.