Henry Kissinger erzählt immer noch gerne die Geschichte seines ersten Treffens mit Golda Meir, und das hat tatsächlich viel mit Louis Klamroth Montagabend in der ARD zu tun.
Anfang der 1970er-Jahre haben Kissinger und Meir wohl ein Gespräch über soziale Rollen geführt. „Ich bin zuerst Amerikaner und dann Jude“, hat der damalige US-Außenminister nach eigener Schilderung der in Kiew geborenen Staatsfrau gesagt, und die hat geantwortet: „Bei mir ist es umgekehrt.“
Was immer Louis Klamroth für sich als seine dominierende soziale Rolle definiert: Journalismus kann es nicht sein. Sonst würde der Lebensgefährte von Klima-Luisa Neubauer seine Sendung nicht als ein solches Gemetzel inszenieren, bei dem ein vereinsamtes nicht-linkes Opfer einer grün-linken Meute buchstäblich zum Fraß vorgeworfen wird.
Diesmal lässt sich der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion das Fadenkreuz auf die Stirn malen. Thorsten Frei ist nicht eben das, was man einen begabten Rhetoriker nennen möchte. Aber zumindest ist ihm hoch anzurechnen, dass er sich für seine Union hier sehenden Auges ins Unglück stürzt und sich tapfer von der grün-roten Übermacht schlachten lässt.
Diese Anti-Frei-Einheitsfront besteht aus
- dem offiziellen Roten Dirk Wiese, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag;
- dem offiziellen Grünen Jens-Marco Scherf, Landrat von Miltenberg in Bayern;
- dem halboffiziellen Grünen Christian Stäblein, Flüchtlingsbischof der Evangelischen Kirche;
- der inoffiziellen Grünen Hadija Haruna-Oelker, Moderatorin der „Feministischen Presserunde“ der Heinrich-Böll-Stiftung;
- dem inoffiziellen Grünen Louis Klamroth, Gastgeber der als politische Diskussionsrunde getarnten Propagandaveranstaltung.
Trotz dieses Settings geht allerdings im Laufe der Sendung etwas gewaltig schief, wie wir gleich sehen werden.
Diskutiert wird das Thema „Kanzler im Abschiebemodus: Hilft das den Kommunen wirklich?“. Schon bei der Formulierung dieses Titels konnte sich die Redaktion also nicht verkneifen, das erwünschte ideologische Fazit sprachlich vorwegzunehmen.
Zunächst erfüllen alle Gäste die ihnen so offenkundig zugedachten Rollen. SPD-Mann Wiese schlägt den ersten Pflock in den Boden: Deutschland braucht mehr Arbeitszuwanderung, sagt er, sonst können wir bald unsere Sozialsysteme nicht mehr bezahlen. CDU-Mann Frei wirft der Ampel vor, völlig die Kontrolle über die Zuwanderung verloren zu haben.
Bei Moderatorin Haruna-Oelker bleibt durchgehend unklar, welche Expertise oder Stellung sie für die Runde überhaupt qualifiziert. Trotzdem darf sie wortreich beklagen, dass zu viel über Abschiebung geredet werde. Warum sie das findet, behält sie leider für sich, Klamroth verzichtet auch auf eine Nachfrage. Dafür kann die Dame noch feststellen, Deutschlands Flüchtlingspolitik sei „nicht menschenrechtsbasiert“ – wiederum ohne den Anflug eines Belegs, dafür aber gegendert.
Bischof Stäblein übernimmt den Part des Schutzheiligen aller Migranten, vielleicht sieht er sich ja tatsächlich so. Man dürfe über Flüchtlinge nicht nur als Last reden. Menschen kämen überhaupt nur zu uns, weil sie in existenzieller Not seien – und niemals aus einem anderen Grund. Das ist natürlich nachweisbar schlicht falsch, bleibt aber unwidersprochen. Dass es unabhängig davon auch für Deutschland womöglich Grenzen der Leistungsfähigkeit bei der Aufnahme von Migranten geben könnte, kommt dem Kirchenmann den ganzen Abend über nicht über die Lippen – und vermutlich auch nicht in den Sinn.
So weit ist es ein vorhersehbarer Diskussionsverlauf: Alle gegen einen. Klamroth lässt den als Watschenmann geladenen CDU-Frei gleich bei dessen ersten drei Antworten kein einziges Mal ausreden – und später auch nicht. SPD-Wiese dagegen darf natürlich sagen, was er will. Inhaltlich werden dann vom zwischendurch kurz aus dem ARD-Hauptstadtstudio zugeschalteten Christoph Mestmacher die bekannten Kernbotschaften der Flüchtlingslobby als feststehende Wahrheiten verkündet:
Asylverfahren in Drittländern gehen gar nicht – auch Familiennachzug darf nicht eingeschränkt werden, denn er ist ein wichtiges Integrationsinstrument – mehr Abschiebungen sind eine Illusion – wir brauchen Migration wegen der Arbeitskräfte – es braucht mehr Geld für die Integration.
Doch dann kommt Landrat Scherf.
Überaus nüchtern stellt der Grüne zunächst einmal fest, dass in der Runde sich Leute aus der Berliner Blase die Köpfe heiß reden über Probleme, die er vor Ort täglich konkret lösen soll. Dann schildert er, wie seine Verwaltung auf dem Zahnfleisch geht, weil sie den Ansturm an Flüchtlingen einfach nicht mehr bewältigen kann: „Jobcenter, Kindergärten, Schulen, Sprachkurse – es ist überall zu wenig.“
Und dann sagt er den Satz, der die Sendung aus der vorgesehenen Bahn wirft und deshalb interessant macht: „Alleine Geld rettet uns nicht.“
Scherf ist plötzlich kein weiterer Anti-Frei mehr. Das bringt Klamroth sichtlich aus dem Konzept. Und die Frage, was Deutschland leisten kann, stört die offenkundig erwünschte Diskussionsrichtung. Erst kommt der Landrat kaum noch zu Wort. Dann beginnt der Moderator – unterstützt vor allem von der schrillen Haruna-Oelker –, den Grünen zu attackieren.
Aber jetzt ist der Geist schon aus der Flasche. Jetzt wird die so beliebte Technik sichtbar, mit der die deutschen Linken Debatten zu dominieren versuchen: Gleich am Anfang wird wie selbstverständlich ein ganz bestimmter Diskussionsrahmen gezogen. Danach wird die Diskussion nur noch innerhalb dieses Rahmens zugelassen. Wer den Rahmen verlässt, wird entweder moralisch („Menschenrechte“) oder religiös („Nächstenliebe“) oder mit Pseudo-Argumenten („Arbeitsmigration“) zurechtgewiesen.
Aber natürlich kann und muss die Aussage „Wir brauchen Arbeitsmigration“ in Frage gestellt werden. Sie geht erstens davon aus, dass ein Land nicht schrumpfen darf. Ja, wieso denn nicht? Wenn Deutschland nur in seiner jetzigen Größe überleben kann – wie schaffen es dann kleinere Länder?
Die Aussage setzt zweitens voraus, dass es eine gleichbleibende Zahl von arbeitenden Menschen braucht, um die Bevölkerung zu versorgen. Das ignoriert völlig jede technische Entwicklung und damit einhergehende Produktivitätsgewinne – ist also ökonomischer Unfug.
Drittens und vor allem ist der Satz eine Nebelkerze. „Migranten müssen schnell in Arbeit kommen“, mahnt Bischof Stäblein. „Wir brauchen Fachkräfteeinwanderung“, trötet auch Haruna-Oelker. In diesem Weltbild kommen Flüchtlinge, die gar nicht arbeiten wollen, überhaupt nicht vor. Tatsächlich gibt es aber gerade von denen viel zu viele.
Je länger die Sendung dauert, desto klarer wird, dass das der riesige Elefant im Studio ist, um den sich die linke Diskussionsmehrheit herummogeln will. Da hilft es auch nicht, dass Klamroth inzwischen dazu übergegangen ist, fast nur noch strikt suggestive Fragen zu stellen, die ganz offensichtlich nur eine bestimmte Antwort zulassen wollen.
Stattdessen redet man dann über Asylverfahren in Drittstaaten. „Illusionär“ findet Haruna-Oelker die Idee – das könnte man allerdings auch zu allem sagen, was sie vorträgt. Mittlerweile lässt Klamroth auch Landrat Scherf praktisch nicht mehr zu Wort kommen, und Haruna-Oelker weist den Grünen zurecht: Er müsse halt mit den Flüchtlingen umgehen, die da sind.
Unausgesprochen bleibt leider der nahe liegende Gedanke, dass es für die Kommunen halt doch einfacher wäre, wenn nicht ganz so viele Flüchtlinge da wären (weil zum Beispiel viel mehr abgeschoben und auch nicht mehr so viele ins Land gelassen werden). Stattdessen bittet Klamroth irgendwann den Bischof recht unverblümt darum zu erklären, dass die Probleme nicht so sind, wie Landrat Scherf sie schildert.
Stäblein erfüllt den Wunsch. Der Berliner Geistliche entwickelt sich neben Haruna-Oelker zum größten Ärgernis des Abends. Er kennt nur arme Menschen und sieht auch keinerlei Probleme dabei, ihnen allen zu helfen. Wer nach Gründen sucht, weshalb so viele Gläubige die evangelische Kirche verlassen: Stäblein liefert sie mit jedem Wortbeitrag.
Die linke Sendungsmehrheit vergewissert sich dann gegenseitig, dass mehr Abschiebungen von Asylbewerbern selbstverständlich keine Lösung wären. CDU-Mann Frei darf irgendwann zwischendurch noch mitteilen, dass Bund, Länder und Kommunen pro Jahr 48 Milliarden für Flüchtlinge ausgeben. Keiner widerspricht. Diese unglaubliche Summe scheint also zu stimmen.
Wir haben’s ja.
Der große Trost des Abends ist, dass die Sendung außerplanmäßig erst um 23.45 Uhr beginnt, also ins zuschauerarme Nachtprogramm geschoben wurde. Denn vorher feiert die ARD – mit gleich zwei Filmen und irritierenderweise eine Woche zu früh – den 100. Geburtstag von Loriot.
Der hatte in weiser Voraussicht schon im Jahr 1979 (!) in einer TV-Sendung unnachahmlich wütend und unnachahmlich großartig mit den deutschen „Journalisten“ abgerechnet:
„Das, was mich am Fernsehen stört, ist, dass mit dem Fernsehen Politik gemacht wird: Weil sehr viele Fernsehleute es nicht lassen können, ihre eigene, völlig unmaßgebliche politische Meinung über den Bildschirm verbreiten zu müssen.“
Und Loriot hat Louis Klamroth oder Hadija Haruna-Oelker ja noch nicht einmal gekannt.