Schneeballsysteme, die auf massenhaften falschen Wohlstandsversprechen aufbauen, sind seit langem strafbar (§ 16 Abs. 2 UWG):
„Wer es im geschäftlichen Verkehr unternimmt, Verbraucher zur Abnahme von Waren, Dienstleistungen oder Rechten durch das Versprechen zu veranlassen, sie würden entweder vom Veranstalter selbst oder von einem Dritten besondere Vorteile erlangen, wenn sie andere zum Abschluss gleichartiger Geschäfte veranlassen, die ihrerseits nach der Art dieser Werbung derartige Vorteile für eine entsprechende Werbung weiterer Abnehmer erlangen sollen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Stellen Sie sich vor, dass Ihnen Ihre Lage im Land Ihrer Geburt einfach unerträglich geworden ist: Sie wohnen in dreckigen Mietwohnungen, mit drei, vier Brüdern, Schwestern oder sogar Cousins und Cousinen im gleichen Zimmer. Die Gassen sind überfüllt, man lebt Ellenbogen an Ellenbogen.
Erholungsmöglichkeiten gibt es kaum. Es ist heiß, sauberes Wasser ist Mangelware. Das Bildungsniveau ist unterirdisch und fällt weiter, die Straßen und der ÖPNV sind mies oder nicht vorhanden. Polizei und Verwaltung sind Ihnen nur wirklich gewogen, wenn Sie irgendeinen regionalen Dialekt sprechen oder spendabel sind.
Dort drüben, da ist aber einfach alles besser. Die Menschen sind dort glücklicher, versorgter, attraktiver, sauberer. Satter. Räkeln sich spärlich bekleidet in ihrem Reichtum. Man sieht es, hört es, jeder kann von einem berichten, der das bestätigt. Ein Versprechen, das seit 50 Jahren und mehr erfüllt wird: Du bist zwar fremd, aber Du bist cool, hast Mut und kennst den alten Wahlspruch: Frechheit siegt! Du kannst es schaffen. Danach bist Du wer, kannst nach Hause zurückreisen und der Familie beweisen, was Du für einen Erfolg gehabt hast. Richtiges Geld verdienst Du dann, nicht mehr diese abgegriffenen, schmuddeligen und wertlosen Scheine, die der lokale Despot unters Volk verteilt.
Nun haben Sie aber einmal Glück. Durch Beziehungen zum Kumpel von irgendeinem Vetter dritten Grades kommen Sie an eine green, eine blue, eine diamond – naja, irgendso eine Chancenkarte eben. Eigentlich ist es keine Karte aus Papier, sondern ein Versprechen, auf DIE Chance in einer Million, den Hauptgewinn! Endlich aufbrechen in das Land ihrer Träume. Weit weg, voller bunter Verlockungen, glitzernd, sexy, in aller Munde. Wo das Geld quasi auf der Straße liegt.
Von der Ferne besehen, sieht das alles klasse aus. Sprache – kein Problem, das lernen wir vor Ort, im Vorübergehen. Außerdem gibt es schon viele, viele Brüder dort, die werden das schon arrangieren. Keine Vorbereitungen, keine Ausbildung. Denn das Land der Träume hat bereits signalisiert: Wir machen es Ihnen nicht so schwer. Sie können es schaffen – wir unterstützen Sie! Haben Sie keine Angst, wir sind hier am Ende unserer Kraft angekommen, werden alt und älter, sterben weg wie die Fliegen, wir brauchen dringend Nachwuchs, damit wir so reich und wohlhabend bleiben können! Egal von wo.
Wer würde vor solch einem Gebettel schon die Ohren verschließen? Klar, der Weg zu der Eintrittskarte war ein bisschen verschlungen, der Preis hoch. Aber wo doch damit der Hauptgewinn verbunden ist! Der Vermittler hat ein paar tausend Dollar dafür verlangt, Oma, Opa, Brüder und Schwestern haben dazu gegeben. Aber nun geht es endlich los: Kurzentschlossen setzen Sie sich erst ins Boot, dann ins Flugzeug und in den Bus. Klettern über ein paar Zäune und sind auch schon angekommen.
Doch nichts, aber auch wirklich nichts wird aus den erträumten Reichtümern, dem tollen Auto, der exotischen Freundin, dem super Job. Sie verstehen die neue Sprache nicht. Nicht gut genug. Die Sprachkurse sind ein Witz, überfüllt, zu mechanisch. Die miesepetrigen schon länger hier Lebenden wollen einfach nichts mit den neu Hinzugekommenen zu tun haben. Man erwartet so einfach, dass man sich anpasst, einfügt, mit anpackt. Da Sie nicht verstanden werden, meiden Sie den Kontakt zu den einheimischen Bewohnern. Lernen die Sprache noch weniger.
Sie können die tollen Eigenschaften, die Sie zweifellos besitzen, gar nicht unter Beweis stellen, auch weil es bereits so viele gibt, die schon lange vor ihnen da waren, Ihnen die schönen Jobs weggeschnappt haben. Und so nehmen Sie das, was eben erreichbar ist: als schlecht bezahlter Handlanger, Kellner, auf der Putzstelle. Eigentlich läuft es wie zu Hause, nur in anderer Umgebung. Sie hören nun auch andere Geschichten, von denen, die es eben nicht geschafft haben. Die nur am Minimum herumlavieren, geschmälert um die Beträge, die sie trotzdem noch an die Familie daheim überweisen. Sie lassen sich vor geborgten Luxusschlitten und den Villen fremder Leute fotografieren, um den Schein aufrechtzuerhalten.
Stufe 1
Alles, um nicht zurück zu müssen, dahin, wo alle weg wollen. In die Verlierergegend. Die Abneigung, die manche in der Urbevölkerung gegen die Neuankömmlinge hegen, stärkt paradoxerweise ihren Willen, zu bleiben. Sich zu behaupten. Das Gefühl, nicht erwünscht zu sein, stärkt den Widerspruchsgeist und den scheinbaren Mehrwert des neuen Zuhauses. Wenn man mich hier weg haben möchte, um nicht teilen zu müssen, wie kostbar muss das Leben doch hier sein? Die im Bemühen, den Hinzugekommenen die neue Identität näher zu bringen, eilig von der Regierung verliehene Staatsangehörigkeit kann nur kurzzeitig Anlass zur Freude sein. Was bezweckt der neue Staat mit dieser Geste: Unterwerfung, Offenbarung, ein Überlaufen? Zu sehr schmerzt doch die Trennung von den Verwandten, das einstmals so verachtete Heimatland wächst im Ansehen. Aus der Ferne scheint vieles sich zu verklären. Jedoch: Die Rückkehr, das Eingeständnis, es nicht „geschafft“ zu haben, ist zu schmerzlich und erniedrigend, um sie auch nur in Erwägung zu ziehen.
Stufe 2
Allmählich richtet man es sich in einem Zustand permanenten Beleidigtseins ein. Die Alteingesessenen sind Besitzstandwahrer: Sie wollen einen partout nicht hochkommen lassen. Es ist deren Geiz, deren Missgunst und Misstrauen, die einem glücklichen Zusammenleben im Wege stehen. Dazu kommt der Konkurrenzkampf mit vielen, vielen neu Hinzukommenden: Plötzlich sind die Nachbarn von früher auch da, machen einem die wenigen Plätze an der Sonne streitig. Im Schwimmbad, auf dem Schulhof. Wo man früher beachtet wurde, weil man so anders aussah, wo man sich besonderer Aufmerksamkeit und auch Förderung sicher sein konnte, herrschen heute Missachtung, Überdruss und Feindseligkeit.
Stufe 3
Man besinnt sich auf die Geborgenheit in der Gruppe, zieht sich in die Wohnviertel zurück, in denen man mit der früher unbekannten, heute als feindselig entlarvten Gemeinschaft nichts mehr zu tun haben muss. Langsam, langsam etabliert man eine parallele künstliche Geborgenheit, die ganz ohne eine Heimat irgendwo auskommen kann. Lebt in den Tag hinein, vergisst den Traum, als begabter, eloquenter und begehrter Mann entdeckt zu werden und einer goldenen Zukunft entgegensehen zu können. Das System, das einem diese Chance so lieblos verweigert hat, muss einfach bösartig sein. Alle sagen und bestätigen es, die schon länger hier Lebenden verhindern mit ihrer Selbstsucht und ihrem Geiz, dass man selbst auch ein besseres Leben haben kann.
Es ist ein Kampf um Herzen und Sympathien, den das angebliche Einwanderungsland jetzt eigentlich nur noch verlieren kann.