An diesem Tag klingelt es gegen 13 Uhr an der Tür im Viertel Montluc im dritten Arrondissement von Lyon. Eine dreißigjährige Jüdin öffnet. Ein Mann sagt „Hallo“ und hat im nächsten Moment ein Messer gezogen, mit dem er mehrfach auf den Bauch der jungen Frau einsticht. Dann flieht der maskierte Mann, der dunkle Kleidung trug. Die Frau wird mit zwei blutenden Wunden ins Krankenhaus eingeliefert, soll aber inzwischen außer Lebensgefahr sein.
„Die Cousine des Opfers, die von diesem angerufen wurde, löste den Alarm aus und rief die Rettungskräfte. Parallel dazu wurde ein Hakenkreuz in die Tür geritzt, während eine Mezuzah am Eingang ihrer Wohnung hing. Der Anwalt des Opfers, Maître Stéphane Drai, wurde von BFMTV kontaktiert und bestätigte, dass „die Familie als Familie israelitischen Glaubens bekannt war“.“, schreibt Le Figaro.
Im Nachrichtensender BFM TV sagte der Anwalt der jungen Frau: „Das Opfer, seine Familie und die israelitische Gemeinde sind schockiert. Es gibt einen Übergang von den antisemitischen Äußerungen und Graffiti zur Tat.“ Bisher habe man in Frankreich noch die eigene Tür öffnen können, ohne Sorge vor einem antisemitischen Angriff zu haben, der bei genauerem Hinsehen einem Mordversuch ähnele, so Anwalt Drai.
Die antisemitischen Taten haben dabei nicht nur in Frankreich ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht. 887 Vorfälle gab es laut einer Polizeiquelle seit dem 7. Oktober, wie BFM TV berichtet. Drei Tage zuvor (am 31. Oktober) waren es gemäß dem Innenministerium noch 857 gewesen. Das bedeutet, dass es in drei Tagen zu dreißig antisemitischen Zwischenfällen kam, wie das politische Magazin Valeurs actuelles errechnet. Insgesamt wurden in diesem knappen Monat 442 Personen vorläufig festgenommen. Doch auf der Plattform Pharos, auf der jeder Nutzer Meldungen aus den sozialen Netzwerken anzeigen kann, wurden sogar 6.072 antisemitische Vorfälle berichtet, von denen 296 ein rechtliches Nachspiel hatten.
Antijüdische Graffiti in allen größeren Städten
Der üblichste der Vorfälle ist eine Kombination aus Davidsternen und Hakenkreuzen, die an Gebäude gesprüht werden, so etwa an verschiedene Schulen (Grundschulen, Collèges) in Straßburg am vergangenen Freitag entdeckt. Doch die antisemitischen Graffiti gehen darüber hinaus. Ein Satz liest sich so: „Ein guter Jude ist ein toter Jude.“ Anderswo heißt es „Tod den Juden“, gefolgt von einer Swastika (wiederum mit falscher Ausrichtung). Vor einem Pariser Friseurladen findet sich die Aufschrift: „Für Juden verboten“.
In einer Umfrage vom 31. Oktober sind 83 Prozent der Befragten durch den Zuwachs der antisemitischen Taten besorgt. Drei Viertel befürchten eine weitere Zunahme der Spannungen in Frankreich durch den Konflikt zwischen Israel und der Hamas.
In Österreich gab es 165 antisemitische Vorfälle seit dem 7. Oktober, was mindestens einer Vervierfachung entspricht. In Deutschland existiert – wie üblich – nur eine Teilzahl, nämlich die Vorfälle in den acht Tagen bis zum 15. Oktober, die auf 202 beziffert werden, was einer guten Verdreifachung entspricht. Im Vorjahr hatte es 59 Vorfälle in diesem Zeitraum gegeben. Neuere Zahlen sind nicht zu finden.
In Großbritannien gab es seit dem 7. Oktober laut der Metropolitan Police mehr als 400 antisemitische Akte, laut Zählung des Community Security Trust (CST) waren es sogar mehr als 600. Das wäre die höchste Zahl, die jemals in knapp zweieinhalb Wochen (17 Tagen) gemessen wurde. Schon die Zahl der Metropolitan Police (408 Vorfälle) entspricht einer Multiplikation mit dem Faktor 14 gegenüber dem Vorjahreszeitraum, in dem es nur 28 antisemitische Vorfälle gab.
Hohn und Spott für die Opfer – in der Metro und im Netz
Vor einigen Tagen hatte sich ein Video im Internet verbreitet. Zu sehen war eine junge Französin, die mit der Hand vor dem Mund zum Teil heftig lachen musste, während in einer U-Bahn Sprechchöre angestimmt werden. Ihr Text wäre das eigentlich Schlimme an diesem Video, wenn das Lachen nicht schlimmer wäre: „F… die Juden und die Großmütter. Wir sind Nazis und stolz darauf.“ Das könnte man als doppelten und dreifachen Affront sehen, der sich sowohl gegen Juden und ältere Damen richtet, während die Sprecher keine Scham davor haben, sich selbst als „Nazis“ zu bezeichnen. Tatsächlich beginnt der lustige Vers mit den Worten „F… die Juden und deine Mutter, Palästina lebe hoch…“ Gegen die Gruppe ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft, wie der Figaro berichtet.
In einem Instagram-Video macht sich eine dunkelhäutige Frau mit dem Pseudonym „Haneia Nakei“ über einen von Hamas-Terroristen im Ofen verbrannten jüdischen Säugling lustig. Die Frau fragte in angeblich ironischer Weise, ob die Terroristen zuvor Salz, Pfeffer oder Thymian dazugegeben hätten und welche Beilage es gab. Innenminister Darmanin schaltete am Freitag die Staatsanwaltschaft ein.
Zemmour: „Nach dem Sonnabend kommt der Sonntag“
Der Journalist und Parteigründer Éric Zemmour, der bis vor kurzem in Israel war, erzählt eine Geschichte aus dem Kibbuz Kfar Aza, das er kürzlich besucht hat. Die Bewohner beschreibt er als wahre Friedensjünger und Humanisten, die kleine Kinder aus dem Gazastreifen ins Krankenhaus brachten. Doch, so Zemmour in Anlehnung an Julien Freund, selbst wenn man den Frieden wolle und sich niemanden zum Feind wünsche, sei es der Feind, der einen dazu mache und den Krieg beginne. Das sei die Tragik der Geschichte.
Eine andere Botschaft Zemmours stammt von den radikalen Jüngern des Islams. Diese sagen stets, so der Politiker, nach dem Sonnabend komme der Sonntag. Das bedeutet aus dem Symbolischen ins Reale übersetzt, dass die Muslime nach den Juden (mit dem Shabbat als heiligem Tag) auch die Christen (für die das der Sonntag ist) zu ihren Feinden erklären werden. In Deutschland gab es dieses wirre Video, das für den Sprecher dennoch einen gewissen Sinn ergeben haben dürfte.