Fast vier Wochen nach dem brutalen Angriff der Hamas auf Israel wird im deutschen Fernsehen über die geopolitischen Folgen des Krieges in Nahost diskutiert. Auch mit Blick auf den immer noch andauernden Krieg in der Ukraine. Eine reichlich späte Diskussion für das – ansonsten so präsente – Deutschland.
Bei Maybrit Illner geht es in die nächste Runde: Die Frage der letzten Talkshow „Krieg im Nahost – Gefahr für die Welt?“ wird mit „Ukraine und Israel – zwei gefährliche Kriege für die Welt?“ fortgesetzt. Mit gehaltvollen Worten bekannter Politiker der Ukraine, Israels und der USA wird das Thema angekündigt: Die Ukraine bangt um ihre militärische Unterstützung angesichts der entsetzlichen Nachrichten aus Gaza. Gleichzeitig erwartet Israel verständlicherweise Solidarität von der westlichen Welt sowie politische und militärische Unterstützung im Kampf gegen den Terror der Hamas.
Die Frage, die der Welt laut Illner auf der Zunge brennt, ist: „Welche Rolle spielt Deutschland?“ – Eventuell muss das Zugeständnis gemacht werden, dass diese Frage schwer zu beantworten ist. An klaren Worten der Politik mangelt es nicht. Bundeskanzler Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck haben deutliche Worte zur Unterstützung Israels gefunden: Nur an Taten lassen sie es mangeln.
Für den israelischen Blickwinkel wurde die internationale Sonderkorrespondentin des ZDF, Katrin Eigendorf, aus Tel Aviv zugeschaltet. Sie ist seit dem 10. Oktober, also drei Tage nach dem Massaker an israelischen Zivilisten im Land. Die ukrainische Sichtweise konnte dagegen der Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba, vor Ort vertreten. Wolfgang Ischinger, von 2008 bis 2022 Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), heute Präsident des MSC-Stiftungsrats, soll die geopolitische Komponente liefern. Er war sowohl Staatssekretär im Auswärtigen Amt als auch Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Washington und London.
Weiterer Gast ist der ehemalige Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit. Cohn-Bendit hat sich in seiner beruflichen Laufbahn auf europäischer Ebene spezialisiert. Er ist also auch eher kein Deutschland-Spezialist und schon lange nicht mehr bundespolitisch aktiv. Der letzte Gast ist dann endlich ein bundespolitischer Volltreffer: die Vereinsvorsitzende des neuen BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) Amira Mohamed Ali. Sie kommt aber nur zweimal zu Wort und wird zuletzt von Cohn-Bendit unhöflich unterbrochen. Illner, die ansonsten gerne mal ihren Gästen das Wort abschneidet, findet hier ihre Moderationsstimme nicht.
Cohn-Bendit zeigt klare Kante gegen die Terroristen und gesteht: „Wir waren ein paar Idioten. Ja!“ Er konfrontiert auch seine eigene Naivität in Bezug auf die Hamas und Russland. Trotzdem ist diese Erkenntnis zu spät und die Härte, mit der nun versucht wird, geradezurücken, was bereits zusammengebrochen ist, protzt vor Unaufrichtigkeit. Vergessen wird, dass die, die vor Hamas und Russland warnten, schon fast als verspätete Kalte Krieger gesehen wurden. So wird Kritik von Illner an der Hamas-freundlichen Haltung von Fridays for Future mit einem trotzigen „Nein, nein, nein“ von Cohn-Bendit heruntergespielt und Illner wird von ihm mit einem „Aufpassen! Aufpassen!“ verwarnt.
Als das Gespräch dann auf die militärische Verteidigung von Israel bzw. der Ukraine kommt, muss sich der ukrainische Außenminister Kuleba von ihm die westlichen politischen Fehler der Vergangenheit anhören und mit einem „Come on, come on!“ (Komm schon, komm schon!) für seine vorsichtige Beschreibung verspotten lassen. Kuleba versucht sich während des Gesprächs dagegen klar, aber auch diplomatisch auszudrücken. Sein Land ist auf deutsche Hilfe und Wohlwollen angewiesen, was er offensichtlich nicht gefährden will. Ausfälle der Art, wie sie sich der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk geleistet hat, umschifft er geschickt. Seine Reaktionen sind daher äußerst bedacht und lassen sich auch nicht von Cohn-Bendit oder von Illner, nachfragend zur Stimmungslage in der Ukraine über die eingeschränkte Waffenlieferung, beeinflussen.
Hier zeigt sich die Bruchlinie der modernen Linken in diesem Land. Die Wagenknecht-Linken lehnen jede Lieferung von Waffen ab. Mohamed Ali, wie auch ihre anderen Mitstreiter, sympathisieren mit den Palästinensern mehr als mit den Israelis. „Das Ziel ist richtig, die Mittel falsch“, sagt sie nicht über die Hamas: Es schwingt aber immer mit. Dass die Hamas die Vernichtung aller Juden, nicht „nur“ des Staates Israel anstrebt, spart sie aus. Das Drängen auf eine diplomatische Lösung ist die konsequente Fortsetzung der alten Politik, dass in Krisengebiete keine Waffen geliefert werden dürfen. Diese Haltung ist kompromisslos wie naiv.
Cohn-Bendit hingegen kann keinen Widerspruch für seine eigene Position der unbedingten Waffenlieferungen dulden: Der moralische Eifer der ehemaligen Pazifismus-Partei hat sich in sein Gegenteil verkehrt. Das muss selbst jenen unangenehm sein, die eigentlich eine Waffenlieferung in die Ukraine und nach Israel von Anfang an unterstützt haben. Selbst dem Minister Kuleba scheint das zu viel: Sein Land „zahlt den höchsten Preis, das Blut“, wie er sagt; und er muss sich von Cohn-Bendit wie ein unmündiges Kind unterbrechen lassen, damit der Grüne für ihn argumentieren darf.
Zeitgleich zu dieser Diskussion über die Rolle Deutschlands berichtet Katrin Eigendorf von einer positiven Stimmung in Tel Aviv gegenüber Deutschland: „Das Abstimmungsverhalten von Deutschland hat hier keine so große Rolle gespielt. Die Rede von Robert Habeck dagegen schon. Das hat man hier mit großem Wohlwollen aufgenommen.“ Da ist sie wieder, die klare Haltung, auf die lange gewartet wurde. Jeder weiß: Statements sind die neuen Taten der Politik. Auch wenn dieses Statement eventuell nur dem Polieren des Kanzlerkandidaten-Images dienen soll.