Tichys Einblick
Hart aber fair: gestern Ukraine, heute Israel

„Vier gegen Willy“ oder „Fünf Stühle, eine Meinung“ funktionieren bei Israel nicht

Schon zum zweiten Mal in Folge beschäftigt sich Hart aber Fair mit dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Das ist gut und richtig: Denn es führt zu einigen Erkenntnissen, die Wichtigste hat mit Loriot zu tun. Und am Antisemitismus der Muslime sind die Deutschen schuld, klar? Von Michael Plog.

Soviel vorweg: Neue Erkenntnisse über die aktuellen Ereignisse in Israel und im Gazastreifen gab es an diesem Montagabend freilich nicht. Aber wie denn auch, wenn man sich der Binse erinnert, dass in jedem Krieg nun einmal die Wahrheit zu allererst stirbt. Und Bilder professionell in Szene gesetzter Opfer, die sich in ihren Leichensäcken plötzlich bewegen oder durch die Gaze hindurch am Handy spielen kennt man jetzt auch aus dem Gaza-Streifen. Was also glauben, welchen Bildern trauen, welche Schlüsse ziehen, was tun?

Eine wichtige Erkenntnis hingegen, so zynisch es klingt: Konflikte und Todesthemen sind austauschbar: gestern Ukraine, heute Israel. Angesichts der Greueltaten der Hamas-Terroristen, des Militäreinsatzes auf Ziele im Gazastreifen, muss das tägliche Sterben in der Ukraine nicht nur hintan stehen, nein, es tritt momentan völlig ab von der Bühne medialer Stuhlkreise à la Hart aber Fair. Die Sendung kaut die Details der Konfrontation im Gaza-Streifen genauso detailverliebt durch wie noch vor wenigen Wochen die Frontverläufe in der Ukraine.

Zweite Erkenntnis: Egal, welches Thema, Moderator Louis Klamroth hat einfach immer die intelligentesten Fragen. Von Überforderung keine Spur. Zum Beispiel seine Frage an den Nahost-Experten Prof. Peter Neumann: „Diese Angriffe finden hauptsächlich nachts statt. Warum?“ Oder Klamroths Frage an die muslimische Grünenpolitikerin Lamya Kaddor: „Wie nah geht Ihnen der Konflikt in diesen Tagen?“

Dritte Erkenntnis: Gerhart Baum wird alt. Und dabei war er doch schon so alt! Zu Beginn der Sendung sieht man den ehemaligen FDP-Innenminister, wie er ausschließlich mit gesenktem Blick und Handrücken am Mund durch die Sendung trauert. Doch als er anfängt zu sprechen, ist klar: Seine Redebeiträge werden von mal zu mal bizarrer. Zum Beispiel: „Dahinter steckt natürlich auch der Unruhestifter Putin! Und die Chinesen!“ Oder wie wäre es mit dieser Eingebung: „Warum um Himmels Willen besinnt die Menschheit sich nicht? Wir haben Riesenprobleme. Der ganze Planet ist gefährdet durch das Klima!“

Vierte Erkenntnis: Gerhart Baum sieht schlecht. Er mahnt die „Erinnerungskultur“ der Deutschen an. Nachvollziehbar. Doch wenn jetzt in zahlreichen deutschen Städten arabisch-migrantische Demonstranten offen ihren Israel-Hass auf die Straße tragen, dann sagt ein Gerhart Baum allen Ernstes: „Jetzt sehe ich hier einen wachsenden Antisemitismus auch von jüngeren Deutschen (sic!), die keine Erinnerungskultur mehr kennen.“ Und Lamya Kaddor hat eine besonders originelle Erklärung für den entsetzlichen Antisemitismus der Muslime in Deutschland: Der deutsche Rassismus ist es. Deutsche tragen eben immer die Verantwortung für Alles. Eigenverantwortung für Muslime gibt’s gar nicht.

Fünfte Erkenntnis: Internationale Konflikte und Kriege können von einer Sendung wie Hart aber Fair weder ausreichend beleuchtet, noch der Zuschauer irgendwie erhellt werden. Das war schon bei der Ukraine so, das ist jetzt im Nahen Osten nicht anders. Warum aber versucht die Sendung es immer wieder? Zwar konnte Nahostexperte Neumann einige interessante Fakten und Denkanstöße platzieren, zwar war auch der diskursive Umgang des ehemaligen israelischen Botschafters in Deutschland, Shimon Stein, und des Deutsch-Palästinensers Aref Hajjaj durchaus entspannt, doch ihre Redebeiträge waren so wie erwartet.

Sechste Erkenntnis: Die bekannten Talkshow-Mantras „Vier gegen Willy“ oder „Fünf Stühle, eine Meinung“ funktionieren beim Thema Israel nicht. Nicht nur wie üblich einer in der Runde plädiert dafür, man müsse nach den Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas „ein stückweit die Tür offenhalten für Gespräche“ (Kaddor) oder „notfalls mit dem Teufel verhandeln“ (Hajjaj). Dass man für eine solche Idee nicht stante pede verbal gesteinigt wird, ist neu – ganz anders als beim Thema Ukraine, wo jeder Ruf nach Diplomatie sofort als Putin-Trollerei gebrandmarkt wurde und wird.

Siebte Erkenntnis: Es gibt noch gute Nachrichten, denn nächste Woche läuft auf dem „Hart aber Fair“-Sendeplatz ein Film von Loriot.

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