Tichys Einblick
Ausstieg aus dem Ausstieg

Kernenergie – wann steigt Deutschland wieder ein?

Folgt man Experten, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch Deutschland seinen Anti-Atom-Kurs aufgibt - sogar aufgeben muss, wenn es nicht in Armut verfallen will. Von Claus Folger

Bau des neuen Kernkraftwerks Akkuyu in der Türkei.

IMAGO

Nein, ein Kernkraftwerk kann nicht einfach wie eine Atombombe explodieren. Weil im Kernkraftwerk nur prozentual geringe Spaltstoffanreicherungen verwendet werden, in der Bombe aber weit über 90 Prozent. Heutige kommerzielle Kernkraftwerke fördern auch nicht den Bau von Atombomben, wie es teilweise noch Anfang des Kalten Krieges der Fall war. Wirft man einen Blick auf Länder, die Atombomben besitzen, wie zum Beispiel Israel, sieht man, dass dort eher keine kommerziellen Kernkraftwerke stehen und das für die nuklearen Sprengköpfe benötigte Plutonium in speziellen Atomzentren produziert wird. Trotz internationaler Abkommen entscheiden Länder offensichtlich noch selbst, ob sie im Atombombenzeitalter verhaftet bleiben oder den Weg der zivilen Nutzung der Kernenergie in Atomkraftwerken beschreiten wollen, der Mitte der 1950er Jahre begann.

Wenn Paranoia allerdings zu vernachlässigter Forschung führt, entsteht ein geistiges Klima, in dem progressive Sozialisten Deutschlands Totalausstieg aus der Nukleartechnik betreiben können. Seit dem 15. April 2023 sind alle Kernkraftwerke in Deutschland endgültig abgeschaltet. „Kernenergie ist in Deutschland ein totes Pferd“, verkündete unlängst die lahme Ente Olaf Scholz.

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Es reitet jetzt im aufstrebenden Ruanda, das den Energieverbrauch bis 2040 verzwanzigfachen will. Das passende Umfeld für deutsche Physiker, die hier einen neuartigen Kernreaktor auch mit Atommüll antreiben wollen. Das deutsch-kanadische Kerntechnikunternehmen Dual Fluid Energy Inc. nutzt keine Brennstäbe mehr, sondern stattdessen einen Brennstoff- und einen Kühlmittelkreislauf (der die Neutronen nicht abbremst) im Reaktorkern, um zum einen Atommüll (bei Leichtwasserreaktoren fallen etwa 95 Prozent an) deutlich zu verringern und zum anderen bereits existierende langlebige Abfälle wieder als Brennstoff zu nutzen.

Durch seine Recyclinganlage verspricht Dual Fluid, langlebige Spaltprodukte in kurzlebige umzuwandeln, die anschließend nur noch ein paar hundert Jahre gelagert werden müssten, bis sie weniger radiotoxisch seien als Natururan. Für Lisa Raß, die Kommunikationschefin des Unternehmens, sind Brennstäbe im Reaktorkern „eine Hilfskonstruktion aus den Anfängen der Kerntechnik“. Sie spricht auf einer Kernenergie-Tagung der Akademie Bergstraße in Frankfurt am Main, deren Leiter Henrik Paulitz in der Einführung auf das Bundesverfassungsgericht hinweist: „Eine verlässliche Energieversorgung ist ein Gemeingut von Verfassungsrang.“

Alternativ Atommüll zu recyclen, anstatt ab 2050 jährlich Millionen Tonnen Sonnen- und Windenergieanlagen zu verschrotten – erneuerbare Energien müssen nämlich alle 25 bis 30 Jahre erneuert werden –, ist nach heutiger Leseart zwar kein grüner Weg, aber in Abwendung von der herrschenden politischen Klasse umso überlegenswerter. Die Politik ist das eine, das andere ist die technische Entwicklung aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und unternehmerischer Marktchancen.

Doch wer setzt sich am Ende durch? Copenhagen Atomics entwickelt einen Thorium-Flüssigsalzreaktor, der ebenso langlebigen Atommüll entsorgen und daraus für die öffentliche Stromversorgung interessante 100 MW Leistung erzeugen kann. Wirtschaftsingenieur Wilfried Hahn ist seit 2021 Aufsichtsrat der Copenhagen Atomics in Søborg, Dänemark. Er sagt, dabei die Geschehnisse damals auf seine Weise interpretierend: „Nixon stoppte in den 1960er Jahren die Entwicklung von Flüssigsalzreaktoren, weil er die alten Leichtwasserreaktoren haben wollte, die damals noch bombenfähiges Plutonium produzieren konnten. Die Patente sind nun frei.“ Aber sind wir eine freie Gesellschaft, die Chancen – eine bereits patentierte Technologie – nutzen kann?

Konsens auf der Kernenergie-Tagung ist: Langfristig kann eine Industrienation ohne Kernkraft nicht im Wettbewerb überleben. Warum nicht? Der entscheidende Leistungsindikator für Energietechnologien ist der Erntefaktor (Energy Return on Investment, EROI). Er bezeichnet das Verhältnis der gewonnenen Energie zur Gesamtmenge der eingesetzten Energie, betrachtet über den kompletten Lebenszyklus – also für Bau, Betrieb, Brennstoff, Sicherheit, Rückbau, Entsorgung einer Anlage und verbrauchsgerechte Energiebereitstellung. Ein Erntefaktor von 10 bedeutet, dass eine Anlage zur Erzeugung von Elektrizität während seiner Laufzeit zehnmal mehr Energie bereitstellt als insgesamt aufgewendet werden muss.

Ausstieg aus dem Ausstieg
Im vorindustriellen Altertum lag der EROI knapp über 1. Die Menschen nutzten die Energie (also ihre Muskelkraft) im Prinzip nur zum Überleben. Andere Quellen weisen Jägern und Sammlern allerdings schon den Faktor 4 zu. Mittendrin positioniert sich die Photovoltaik (etwa Faktor 2). Zum Beerensammeln ideal sind auch Biomasse und Wind (beinahe Faktor 4). Ein Erntefaktor größer 5 würde es einer Gesellschaft schließlich ermöglichen, sich angemessen zu ernähren und ein einfaches Bildungssystem zu unterhalten. Fossil befeuerte Kraftwerke haben je nach Quelle Faktor 30 bis 40. Heutige Leichtwasserreaktoren erreichen in der Spitze einen Erntefaktor von 100.

Kommunikationschefin Lisa Raß prognostiziert für den neuen in Berlin entwickelten Reaktortyp Dual Fluid Energy Inc. die 10-fache Leistung und streift damit nur das Entwicklungspotential bei Kernenergie, da eine Kernspaltung tatsächlich millionenfach Energie freisetzt. Für ein Land der Tüftler und Ingenieure sollte die zivile Nutzbarmachung dieser phänomenalen Energiedichte eigentlich eine spannende Herausforderung sein.

Wohin geht also unser Weg? Zurück ins vorindustrielle Zeitalter, während unsere besten Wissenschaftler wieder einmal im Ausland reüssieren, oder in ein Traumland von wirklichen technischen Innovationen, die wir uns heute nicht einmal vorzustellen vermögen? Wenn nur die Anzahl der Lehrstühle für Genderforschung die der für Kernforschung nicht mittlerweile um ein Vielfaches übertreffen würde.

Der Traum zerplatzt schließlich mit der Präsentation des ehemaligen Hamburger Umweltsenators Prof. Dr. Fritz Vahrenholt. Er erinnert an das politische Ziel der Bundesregierung, ab 2045 Deutschland zu 100 Prozent durch erneuerbare Energien zu versorgen. Er sagt auch: „Im deutschen Schiefergestein liegen bis zu 2,3 Billionen Kubikmeter erschließbares Erdgas, das die Versorgung Deutschlands auf Jahrzehnte sichern kann.“ Für ihn sind eigene Gaskraftwerke eine Frage des Überlebens unserer Gesellschaft. Doch 2017 verbot die grüne Merkel-Regierung die umstrittene Form der inländischen Gasgewinnung.

Die tiefe Emotion, sich unabhängig von fremden Mächten mit Energie zu versorgen, fehlt offenbar als Komponente in Deutschlands Gefühlshaushalt. Das Streben nach Unabhängigkeit ist aber gerade das, was die Diskussionsteilnehmer bei ihren Reisen in Ländern ausmachen, die sich der Atomkraft zuwenden und erste Atomkraftwerke bauen, während die Deutschen nach der Atomeuphorie in den 1950er/1960er, in der unter anderem die Nuklearmedizin ihren Ausgangspunkt hatte, wieder in der Atomangst der 1980er Jahre gefangen seien, wie der Psychotherapeut mit verhaltenstherapeutischer Ausrichtung Dietmar Hansch diagnostiziert.

Den Sorgenstand der breiten Bevölkerung skizziert er wie folgt: „Atommüllgefahr für Jahrtausende, maximal unheimlich, totaler Kontrollverlust, Maximalschaden in Raum und Zeit, gewaltig, furchteinflößend, imaginierte Strahlengefahren triggern Noceboeffekte bis hin zum Voodootod.“ Während die Menschen im „Energiewendeland Deutschland, in der Atomgegnerschaft quasi Staatsreligion ist“, die fragilen und volatilen erneuerbaren Energien mit „klein, sanft, dezentral, einfach, verständlich, partizipativ, natürlich und naturschonend“ assoziierten.

Aber sind sie auch bezahlbar? Und wenn Deutschland in 4 bis 5 Jahren seine AAA-Bonität verloren haben wird und kein Geld mehr vom Markt bekommt, will dann niemand von einem sozialen Niedergang gewusst haben?

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