In Zeiten hoher oder sogar zunehmender Inflationsraten wollen Notenbanken mit einer verschärften Zinspolitik der Inflationsmentalität in der Gesellschaft entgegenwirken und den Inflationstrend brechen. In den zurückliegenden Jahrzehnten hat das bei der Bundesbank immer funktioniert. Funktioniert das auch bei der Europäischen Zentralbank (EZB)? Zumindest am Automarkt ist der EZB das nachweislich gelungen. Bei Nahrungsmitteln noch nicht, doch das ist hier nicht das Thema.
Jüngst veröffentliche Verbraucherumfragen (Meinungsforschungsinstituts CIVEY, Automobilwoche) belegen, dass die Hochzinspolitik der EZB Wirkung zeigt: Hohe Zinsen schrecken Autokäufer ab. Seit dem 20. September 2023 gilt für den Euroraum ein Zinssatz von 4,5 Prozent. Damit liegt der Leitzins so hoch wie zuletzt zu Beginn der 2000er Jahre. Begründung von Christine Lagarde, Präsidentin der EZB, für die erneute Zinsanhebung ist die nur sehr langsam zurückgehende Inflation in der Eurozone.
Die hohen Zinsen für Finanzierung und Leasing zeigen also Wirkung: Viele Kunden überdenken ihre Kaufpläne. Das kann auch nicht wundern, denn Autokäufe sind heute mehr denn je eine vermögenswirksame Anlage für den Käufer. Auch wenn derzeit angesichts der sich leerenden Händler-Verkaufsräume langsam wieder die Rabatte zurückkehren, sind Autos zum einen immer noch deutlich teurer als vor der Corona-Pandemie – allein von 2019 bis 2022 legten die Neuwagenpreise im Schnitt um mehr als 9000 Euro zu (Automobilwoche).
Zum anderen sind zugleich die Finanzierungskosten binnen kurzer Zeit auf ein Vielfaches des Niveaus von vor wenigen Monaten gestiegen. Lagen die Kreditzinsen bei freien Autobanken (Non-Captives) im Januar 2022 noch bei rund 2,5 Prozent, stehen sie aktuell bei mehr als sechs – bei Herstellerbanken (Captives) sogar bei sieben bis acht Prozent. Dieser Anstieg hat deutliche Folgen für das Verhalten der Neuwagenkunden, vor allem für den Kauf von strukturell teureren Elektroautos. Laut der Umfrage CIVEY wollen demnach die meisten der Kaufinteressenten auf ein günstigeres Modell ausweichen (14 Prozent), acht Prozent wollen den Autokauf verschieben, vier Prozent komplett absagen und das alte Auto weiterfahren. Bis dass der TÜV uns scheidet…
„Das neue Zinsniveau macht einem erheblichen Teil der Autokäufer gerade einen Strich durch die Rechnung. Die Gesamtbilanz für die Fahrzeughersteller ist verheerend: Insgesamt wird weniger, günstiger oder gar nicht gekauft“ (CIVEY; Automobilwoche). Gerechnet wird mit einem spürbaren Abschwung für die Autobranche. Das gilt zum einen generell für Volumenmodelle, die vor allem von Privaten gekauft werden, zum anderen aber auch für die strukturell ohnehin teureren Elektroautos, bei deren Käufen die Subventionen ab September auf Euro 3000 gekürzt wurden. Vielen potenziellen Kunden reicht diese verbleibende pekuniäre Anreiz offensichtlich nicht mehr aus, um die sonstigen Nachteile beim Fahren eine E-Autos zu kompensieren; vergleichbare Dieselfahrzeuge rücken wieder stärker in den Fokus.
Nach drei Quartalen resultiert aus diesen gegensätzlichen Entwicklungen insgesamt ein moderates Wachstum des Elektromarkts um knapp 5 Prozent auf rund 510.900 Einheiten, während der Gesamtmarkt im gleichen Zeitraum noch um 14 Prozent auf 1.2 Millionen Neuzulassungen zulegte.
Die restlichen Automobil-Monate 2023 dürften bei anhaltend hohen Zinsen – eine Änderung ist vorerst nicht in Sicht – weiterhin schwach verlaufen. Das Vor-Corona-Absatzniveau von über 3 Millionen Neuzulassungen dürfte weiterhin um rund ein Viertel verfehlt werden.
Doch wie immer im Leben, des einen Uhl ist des anderen Nachtigall. Die Werkstattbranche profitiert von der Kaufzurückhaltung. Hier macht sich die Kaufzurückhaltung der Verbraucher infolge der hohen Zinsen, hoher Preise und allgemeiner wirtschaftlicher Unsicherheit deutlich bemerkbar. Die Werkstätten arbeiten am Anschlag und können sich vor Aufträgen kaum mehr retten. Zugleich steigt das durchschnittliche Fahrzeugalter auf immer neue Höchststände (Automobilwoche). Bis Jahresende prognostizieren Experten ein Durchschnittsalter von 10,7 Jahren – zu Jahresbeginn lag der Schnitt noch bei 10,1 Jahren.