Tichys Einblick
Heiligt der Zweck die Mittel?

Universität Bielefeld lässt heimlich Abgeordnete auf Rassismus testen

Du sollst Menschen nicht instrumentalisieren! Dieser moralische Grundsatz gilt offensichtlich nicht für die Universität Bielefeld. Sie verschickte fingierte Bewerbungsschreiben an Landtagsabgeordnete, um zu testen, ob sie „rassistisch“ reagieren.

IMAGO / Schöning

„Rassistische Diskriminierung in Institutionen: Erhebungen tatsächlichen Verhaltens“ lautet ein Projekt des „Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ (FGZ) der Universität Bielefeld. Dabei wird unter „rassistischer Diskriminierung“ verstanden, dass Personen nichtdeutscher Herkunft in Gesellschaft und Staat gegenüber Herkunftsdeutschen benachteiligt würden. Mit „Rasse“ hat dies zwar nichts zu tun, aber der Begriff „Rassismus“ wird – wie der Begriff „Geschlecht“ – im heutigen (pseudo)wissenschaftlichen Diskurs nicht mehr biologisch interpretiert, sondern „kulturell“.

Zu den Institutionen, die Gegenstand der Untersuchung sind, gehören auch politische Institutionen, zum Beispiel die deutschen Landtage: Hier soll das „tatsächliche [Diskriminierungs]Verhalten“ der Abgeordneten erhoben werden. Aber wie? Man könnte die Abgeordneten diesbezüglich interviewen oder einen Fragekatalog beantworten lassen. Damit wüssten sie aber, worum es geht, und das kann ihre Antworten beeinflussen. Will man dies von vornherein ausschließen, muss die Datenerhebung „verdeckt“ erfolgen – was allerdings wissenschaftsethische Probleme aufwirft.

In der Diskriminierungsstudie des FGZ wurden die Daten „verdeckt“ erhoben: Alle Landtagsabgeordneten erhielten Bewerbungs-Mails fiktiver Absender, zum Beispiel einer gewissen Hüliya Güler:

Sehr geehrte….,

mein Name ist Hüliya Güler. Nicht zuletzt aufgrund Ihrer Expertise zu …  möchte ich Sie fragen, ob es prinzipiell möglich ist, dass ich bei Ihnen im Rahmen meines Studiums der Politikwissenschaften ein sechswöchiges Pflichtpraktikum (unbezahlt) machen könnte.

Ich würde mich freuen, von Ihnen zu hören!

Mit freundlichen Grüßen

Hüliya Güler

Einen Monat später wurden die Empfänger der Fake-Bewerbungen darüber aufgeklärt, dass sie (unfreiwillige) Teilnehmer einer Studie gewesen waren. Der Projektleiter teilte ihnen per Mail mit:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie haben im September dieses Jahres [2023] an Ihre Mailadresse eine Anfrage erhalten, in der sich ein junger Mensch vermeintlich für ein Praktikum bei Ihnen interessiert  hatte. Die Senderin bzw. der Sender der Mail hatte einen Namen, der entweder auf eine deutsche (Achim Günther, Julia Günther, Alexander Dahnhoff) oder eine nicht-deutsche Herkunft schließen ließ (Ahmet Güler, Hüliya Güler, Alexej Danowitsch). […]

In Wirklichkeit existieren diese Personen so nicht. Im Rahmen eines vom Bundesministerium des Innern und für Heimat geförderten Forschungsprojekts haben wir entsprechende Anfragen erstellt. […]

Die Studie wurde von der Ethikkommission der Universität Bielefeld begutachtet und als unbenklich bewertet. 

[…]

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jens Hellmann & Forschungsteam an der Universität Bielefeld

Was wird die Auswertung dieser Bielefelder Fake-Bewerbungen zeigen? Vermutlich, dass Bewerber mit nichtdeutschem Vornamen signifikant häufiger keine oder eine negative Rückmeldung der Abgeordneten (bzw. deren Büros) erhielten als Bewerber mit deutschem Vornamen. Womit der institutionelle Rassismus „bewiesen“ wäre und das Innenministerium für seinen „Kampf gegen rechts“ neue „Erkenntnisse“ hat. Dass dieser Kampf mit ethisch und demokratisch fragwürdigen Mitteln geführt wird, spielt hier keine Rolle.

Verdeckte Forschung beruht auf Betrug. Daran ändert auch nichts, dass sie – wie im Fall der Bielefelder Rassismus-Studie – vorher von einer sogenannten „Ethikkommission“ genehmigt wurde, und man nachträglich die (unfreiwillig) ausgeforschten Personen über den Betrug informiert und ihre persönlichen Daten löscht. In Ausnahmefällen mag verdeckte Forschung gerechtfertigt sein, aber ein solcher liegt hier nicht vor: Die Bielefelder Studie könnte ihre Daten auch mit den üblichen Forschungsmethoden erheben, und dazu gehört die „informierte Einwilligung“ (informed consent) der Befragten. Ohne diese Einwilligung, also bei Betrug, geht das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft verloren, und „Vertrauen“ ist – das müsste ein „Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt“ eigentlich wissen – die Währung einer funktionierenden Gesellschaft.

Im konkreten Fall wurden Landtagsabgeordnete betrogen, also Personen, die tagtäglich viele Anfragen und Mitteilungen erhalten. Sollen sie in Zukunft stets prüfen, ob es sich dabei um Fakes handelt? Wenn das Bielefelder Beispiel Schule macht, dann ja; denn diese „verdeckte Forschung“ ist ja ziemlich einfach: Man verschickt eine Fake-Mail und wertet dann die Reaktionen aus – am besten in dem vom Auftraggeber gewünschten Sinn: Warum sollte jemand, der bei der Erhebung der Daten betrügt, nicht auch bei deren Auswertung betrügen?

Ungewiss bleibt dabei die Rolle des Bundesministeriums des Inneren (BMI), das dieses Projekt finanziert hat. Wusste es von den Abläufen? In einer TE-Anfrage dementiert ein Sprecher den direkten Einfluss des Ministeriums auf die Erstellung von Gesinnungsprofilen. Die alleine Verantwortung liege daher bei dem Institut. Zitat:

Bei dem genannten Forschungsprojekt der Universität Bielefeld handelt es sich um ein Teilprojekt der vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) geförderten und formal am 1. Oktober 2021 – und damit in der Amtszeit des damaligen Bundesinnenministers Seehofer – gestarteten empirischen Verbundstudie „Rassismus als Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts im Kontext ausgewählter gesellschaftlich-institutioneller Bereiche“ des „Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt“.

Konkrete Entscheidungen zu Anwendungen oder Vorgehensweisen in den Forschungsarbeiten liegen in der alleinigen Verantwortung der jeweiligen wissenschaftlichen Forschungsinstitutionen im Rahmen ihrer grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit. Gleiches gilt auch für entsprechende Datenauswertungen.

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