Ein gern geäußerter Vorwurf gegen Olaf Scholz (SPD) ist von fehlendem Wissen geleitet. Oder zumindest von mangelnder sprachlicher Präzision. Denn der häufig getätigte Vorwurf, der Kanzler kommuniziere nicht, trifft nicht zu. Scholz tritt ständig in Talkshows auf oder gibt Regierungserklärungen im Bundestag ab.
Nun ließe sich sagen, dass Scholz nicht verständlich kommuniziert. Das wäre zumindest nicht gänzlich falsch. Aber auch ein wenig billig. Ein paar Mitleidspunkte für Schmalspuranalysten. Ja, Scholz kommuniziert verschlüsselt. Aber deutlich weniger als seine Vorgängerin. Und letztlich muss ein Politiker das heutzutage. All die, die sich den deutlichen Worten eines Herbert Wehner oder Franz Josef Strauß zurückwünschen, würden heutige Politiker erbarmungslos zerpflücken, wenn die ebenso deutlich wie die Genannten kommunizieren würden.
Olaf Scholz‘ Problem mit der Kommunikation reicht tiefer. Der Kanzler selbst wäre vielleicht der richtige Mann zur richtigen Zeit. Zumindest wenn man ihn mit Alternativen wie Armin Laschet (CDU), Annalena Baerbock (Grüne), Friedrich Merz (CDU) oder – Gott bewahre – Robert Habeck (Grüne) vergleicht. Doch Olaf Scholz hat drei Probleme: Er ist in der falschen Koalition. Er ist in der falschen Partei. Und er lebt in der falschen Realität.
Auch berichtet der Kanzler dem Bundestag, dass er sich für eine Befreiung der Geiseln einsetzt, die die Hamas genommen hat. Diese müssten ohne jede Bedingung freigelassen werden. Zudem will Scholz Ausschreitungen nicht zulassen, wie sie Berlin in den letzten Tagen im Stadtteil Neukölln und am Potsdamer Platz erlebt hat. „Es ist hier auch eine klare Kante gefragt.“
Bis dahin alles richtig. Soweit klarer gesprochen als Angela Merkel in ihrer Amtszeit. Nur hier fangen die drei Probleme an zu wirken, die Scholz hat: Er ist in der falschen Koalition. Er ist in der falschen Partei. Und er lebt in der falschen Realität. So hat Scholz mehrfach die Ausschreitungen in Neukölln verurteilt und angemahnt, dass es diese nicht mehr geben darf. Doch seit Tagen zeigt sich die Berliner Polizei überfordert mit jungen Männern, die Brandkörper werfen, Polizisten attackieren, volksverhetzende Parolen skandieren und zwischenzeitlich „Allahu akbar“ auf den Lippen führen. Es ist richtig, wenn Scholz sagt, dass das nicht stattfinden darf. Nur ignoriert die Realität den Kanzler.
Der Fairness halber muss man sagen: Umgekehrt ignoriert auch Scholz die Realität. Jetzt habe sich die EU darauf geeinigt, die Außengrenzen besser zu schützen, sagt er. Über viele Jahre sei eine solche Reform nicht nach vorne gekommen, sagt Scholz mit Verweis auf die Regierung Merkel. Was der Kanzler dabei vergisst: In dieser Regierung war er Vizekanzler. Heute tut er so, als ob dieses Amt eine Art Opposition gewesen sei. Ein Inneres Exil. Nur halt besser bezahlt. Und mit Dienstwagen.
Und in der falschen Partei. Deutlich wird dies in der Aussprache, als Christian Petry (SPD) seinen Kanzler lobt. Dafür bekommt der saarländische Abgeordnete einen noch dürftigeren Applaus, als vorher Amira Mohamed Ali von dem erhält, was von der Linken noch übriggeblieben ist. Als es um den Aspekt Ukraine-Krieg geht, erinnert CDU-Chef Friedrich Merz den Kanzler daran, dass der gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern sei – aber seine Fraktion die fordere. Daraufhin gibt es keine Protestrufe aus der SPD-Fraktion.
Die kommen aber, als Merz das Thema „Brandmauer“ gegen die AfD anspricht. Da zeigt sich, dass ein Großteil der SPD-Fraktion mit Kopf und Gefühl beim „Kampf gegen Rechts“ ist, aber den Kampf gegen islamistischen Antisemitismus nicht aufnehmen will. Am Vortag hatte der Bundestag in einer Aktuellen Stunde fast geschlossen eingeräumt, dass Deutschland aus der ungesteuerten Einwanderung ein eben solches Problem mit islamistischem Antisemitismus entstanden ist. Doch bei der letzten Bundestagswahl ist die SPD einer Forderung Malu Dreyers nachgekommen und hat viele Kandidatinnen nominiert, die das Kriterium „weiblich, jung und links“ erfüllen. Die sitzen jetzt im Bundestag. So wie Sonja Eichwede (35). Die Sozialdemokratin war in der Aktuellen Stunde die Einzige, die sich weigerte, den importierten Antisemitismus in ihrem Elfenbeinturm als Problem anzuerkennen. Olaf Scholz ist in der falschen Partei.
2019 wollte die SPD Scholz nicht als Vorsitzenden. Als Kandidaten hat ihn die Partei zu einer Zeit aufgestellt, als sie sich selbst gar keine Chance auf das Kanzleramt ausgerechnet hat. Stattdessen hat die SPD auf eine Saskia Esken als Vorsitzende gesetzt und auf Kandidatinnen wie Sonja Eichwede – in der Hoffnung, eine Art grüne Rote zu werden. Dieser Teil der SPD will nun zusammen mit den Grünen die „humanitäre Hilfe“ für Gaza aufrechterhalten. Was nichts anderes als Geldzahlungen bedeutet. Scholz verspricht, dass diese Zahlungen nun möglich sein sollen, ohne dass die Hamas davon profitiert. Wenn das aber möglich ist, stellt sich schon die Frage, warum das bisher nicht passiert ist.
Scholz will das Richtige. Etwa Rückführungen von illegalen Ausländern. Doch der Kanzler geht von einer Realität aus, die mit der eigentlichen Realität nichts zu tun hat. So will er Rückführungsabkommen. Das will Deutschland schon lange. Doch jetzt werde das klappen. Wobei Scholz‘ Argumentation sensationell ist: Durch bessere Integration werden mehr illegale Einwanderer in Deutschland arbeiten, das wird andere Staaten motivieren, die anderen Einwanderer zurückzunehmen.
Nochmal die Logik Scholz‘ zum Nachvollziehen: Weil es Deutschland nun gelingen werde, diejenigen zum Arbeiten zu motivieren, die arbeiten wollen und können, werden Staaten wie Tunesien oder Marokko bereit sein, die zurückzunehmen, die nachweislich nicht arbeiten können oder wollen. Ja. Das kann Olaf Scholz sich wünschen. Genauso gut wie zu Weihnachten ein goldenes Einhorn, das auf einem rosa Elefanten durch den Spreebogenpark tanzt – nur bekommen, bekommen wird er beides nicht. Die Realität ist gegen Olaf Scholz. So wie seine Koalition und seine Partei.