Tichys Einblick
55. Kraftwerk-Kolloqium in Dresden

„Sackgasse Energiewende“: Wissenschaft und Technik und der Luftraum des politischen Traums

Mit technischen Finessen versuchen, die Folgen von Verbotspolitik zu begrenzen und die Energieversorgung trotzdem sicherzustellen, das ist der Ehrgeiz der Wissenschaftler und Techniker – wie zu Zeiten der DDR, wo es ebenso galt, unter Restriktionen und bürokratisch-planwirtschaftlichen Bedingungen beste Lösungen zu finden.

IMAGO / Andreas Franke

Zum 55. Mal fand in Dresden das „Kraftwerkstechnische Kolloquium“ der Technischen Universität statt. Es ist ein Treffen von Wissenschaftlern und Fachleuten aus Konstruktion, Betrieb, Errichtung und Service vorwiegend konventioneller Kraftwerke und des Handlings der Produkte Strom und Wärme. Rund 900 Teilnehmer und 100 Firmenaussteller trafen sich in Elbflorenz. 

Nachfolgend einige Impressionen von Vorträgen und Randgesprächen beim Kraftwerk-Kolloquium, von offiziellen und inoffiziellen Aussagen, von Gesagtem und nicht Gesagtem, Vorder- und Hintergrundinformationen.

Wie bei jedem ordentlichen Kongress standen auch beim diesjährigen Kraftwerkstechnischen Kolloquium Grußworte und Keynotes von prominentem politischen und wissenschaftlich-technischem Personal am Anfang, wobei die Ausführungen des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Viele europäische Regierungen seien verärgert über die deutsche Energiepolitik und man solle künftig wieder heimische Atomkraft nutzen, wie auch über heimisches Gas und die Braunkohle wieder zu reden sei. Er hat Pech mit seiner Bundesspitze, die den Atomausstieg initiierte, dem Kohleausstieg zustimmte und offensichtlich nicht in der Lage war, sachliche Zusammenhänge herzustellen. Nun stehen im nächsten Jahr Landtagswahlen in Sachsen an und seine Sorge, es werde durch diese Form der Energiewende Gegenreaktionen aus der Bevölkerung geben, sind mehr als berechtigt.


Hören Sie im TE-Podcast ein Gespräch mit Frank Hennig, Kraftwerksingenieur und TE-Autor, sowie mit Maschinenbauingenieur Detlev Ahlborn, Inhaber einer kleinen Maschinenfabrik, am Ende des 55. Dresdner Kraftwerk-Kolloquiums über die vielen Illusionen der sogenannten Energiewende >>>

 

Eine Podiumsdiskussion zeigte offensichtliche Differenzen und die Aussagen gingen auch aneinander vorbei, weil weniger auf Fragen geantwortet wurde, stattdessen sich inhaltlich wiederholende Statements abgegeben wurden. Jeder Teilnehmer, der dazu die Bühne erklomm, wurde kurz mit seiner Vita vorgestellt, so Ministerpräsident Kretschmer als Informationselektroniker und Diplom-Wirtschaftsingenieur. Die Anmerkung, dass es gut sei, wenn Politiker eine abgeschlossene Ausbildung vorweisen können, führte zu Raunen im Saal und dann zu donnerndem Applaus – Ricarda Lang von den Grünen war auch da.

Auf dem Podium saßen mit Professor Fischedick vom Wuppertal-Institut und Professorin Grimm vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung weiterhin zwei Prominente, die die Meta-Ebene bedienten und Allgemeinplätze aneinanderreihten. Wenn die Fragen konkret wurden, gab es die Flucht auf die europäische oder globale Ebene. Wie groß dort der deutsche Einfluss ist, kann man sich bei der abnehmenden Wirtschaftskraft Deutschlands denken.

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Mit dem Direktor Kraftwerke der Saale-Energie GmbH durfte ein Praktiker auf die Bühne, der die Diskussion zeitweise erdete. „Ich höre immer, wir müssen, man sollte – wer ist denn der Mann mit dem einen „n“?“

Keine Antwort aus dem Elfenbeinturm des bühnenpräsenten Professors und der Professorin. Frau Grimm hatte übrigens schon vorher angeregt, auf die Produktion eigener „einfacher“ energieintensiver Rohstoffe wie Ammoniak zu verzichten und diesen lieber zu importieren. Damit hat sie, vorerst ohne Echo, ein Fass aufgemacht, denn wie grenzt man einfache Grundstoffe ab? Warum nicht gleich höher veredelte Produkte importieren, zum Beispiel komplette Windkraftanlagen und E-Mobile aus China?

Es wäre sehr hilfreich für die Senkung unserer eigenen Emissionen, denn nur die interessieren unsere Politiker und politischen Wissenschaftler. Der deutsche Vorgarten muss sauber werden, auch wenn die Emissionen bei ausländischer Ammoniakproduktion höher sein dürften. Grünes nationales Gewissen geht vor globaler Wirkung. Wenn eine Regierung in dieser Weise beraten wird, muss man sich über manche Entscheidungen nicht wundern.

Dafür gab es mehrfach die Ansage, dass die Diskussion über die Atomkraft nun endlich abzuschließen sei. Diese Forderung, auch von vielen Politikern im Land erhoben, wird sich nicht erfüllen, denn die Folgen dieser fulminanten Fehlentscheidung deutscher Energiepolitik werden die Diskussion darüber eher anheizen als abflachen. Das Thema wird entsprechenden Politikern anhaften bleiben wie der bekannte Hundedreck am Schuh.

Hoffnungsbeladenes Nichts

Ein Vertreter der Wasserstoffwirtschaft durfte nicht fehlen, in Person erschien der Präsident des Wasserstoff- und Brennstoffzellenverbandes. Er beklagte vor allem die Bürokratie, wies aber darauf hin, dass es nicht nur um grünen Wasserstoff gehen kann und der Einstieg in diese Wirtschaft Jahrzehnte brauche. Auch diese Erkenntnis dringt bei Grünen nicht durch. Der schnelle Ausstieg hat Priorität vor dem langsamen, aber notwendigen Einstieg in Alternativen.

Der negative Gewinn der Energiewende
Das flüchtige Gas war auch Thema des Keynote-Sprechers Jorgo Chatzimarkakis von Hydrogen Europe, der aus Brüssel zugeschaltet war. Er hob den Blick aus der deutschen Selbstbespiegelung und thematisierte die Bedingungen für den nötigen Wasserstoffimport. Die politischen Verhältnisse in den Exportländern seien zu beachten, auch sei kein Energiekolonialismus möglich. Wenn in Namibia große Erzeugungskapazitäten für grünen Wasserstoff aus Deutschland finanziert werden, muss er natürlich den Menschen vor Ort zuerst zu Gute kommen, deren Versorgung sichern und die dortigen Emissionen senken. Angrenzend ringt Südafrika mit gravierenden Problemen der Energieversorgung. Der Energieexport dahin von Namibia aus wäre aus ökonomischen, ökologischen und moralischen Gründen einem solchen nach Europa vorzuziehen.

Insgesamt nahm das Thema Wasserstoff einen breiten Raum ein, was insofern erstaunt, als dass es ihn nicht in nennenswerten Mengen gibt, auch keine konkreten Lieferverträge mit Mengen, Terminen und Preisen. Es gibt nur Absichtsbekundungen. Das hat was vom Luftreich des Traums oder des Wartens auf Godot.

Ricarda Lang (Grüne) hatte offensichtlich etwas Kreide genommen, zumindest sprach sie nicht vom vorgezogenen Kohleausstieg 2030, einem Ziel, das ihre Partei unbeirrt weiter verfolgt. Gemäß grüner Ideologie mahnte sie den schnelleren Ausbau der „Erneuerbaren“ an. Randprobleme wie Dunkelheit und Windstille spielten in ihren Ausführungen keine Rolle. Vor allem müssten wir so schnell sein, um uns im Erfolgsfall einen internationalen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Was passiert, wenn es kein Erfolgsfall wird, sagte sie nicht. Die deutsche Dekarbonisierung steht nicht zur Disposition. Auch „Europa“ müsse schneller werden. Dass es keine abgestimmte Energiepolitik in Europa gibt und Deutschland einen Sonderweg geht – kein Thema. Ministerpräsident Kretschmer dazu: „Wir sind die Falschfahrer, nicht die anderen.“

Die veranstaltenden Professoren Beckmann und Hurtado von der TU Dresden reflektierten die Situation später und kritisch auch hinsichtlich der Rolle der Wissenschaft. Als Gleichnis diente die Suche Johann Friedrich Böttgers nach dem Gold aus der Alchimistenküche. Die Machbarkeitsillusion der Goldherstellung konnte gegenüber August dem Starken einige Jahre aufrechterhalten werden und so die Absicherung der Mittel für die Versuche, für die Manufaktur, Material und Personal. Zumindest stand am Ende das Meissner Porzellan. Auch heute werden Studien geschrieben, die die Erfolge einer wind- und solarbasierten Energieversorgung in Aussicht stellen, womit neue Aufträge für weitere Studien generiert werden. Davon kann man leben.

Technische Vielfalt statt energetischer Einfalt

Das kraftwerkstechnische Kolloquium ist auch ein Treffen des Who-is-who aus Wissenschaft und Branche. Mehr als 90 Fachvorträge verschafften einen Eindruck von der notwendigen Vielfalt eines funktionierenden Energieversorgungssystems. Von der Digitalisierung der Prozesse bis hin zu KI, Verbrennungsvorgängen in Dampferzeugern, Reparaturtechnologien, neuer Armaturentechnik, Batteriespeichern, rotierenden Massen und deren Ersatz, Power-to-X, neuen Messverfahren, der Sattdampfreinheit, Speichersystemen, Wärmerückgewinnung, der Reduzierung von NOx-Emissionen (insbesondere bei der Verbrennung von Wasserstoff ein weites Forschungsfeld), dem Rückbau von Kernkraftwerken bis zur Simulation von Latentwärmespeichern reichte das Themenspektrum. Die Aufzählung ist nicht abschließend. Man erhält einen Eindruck, in welcher Breite ein Versorgungssystem betrachtet werden muss und dass mehr notwendig ist, als möglichst viele Solarzellen auf Dächer zu schrauben oder in die Landschaft zu legen und exzessiv das Land mit Windkraftanlagen vollzustellen.

Teurer Strom und tote Wale
Die teure Zukunft der Windenergie
Es ging um das Machbare, das unter den für die Energiebranche eingeschränkten Bedingungen zu erreichen ist. Mit technischen Finessen zu versuchen, die Folgen von Verbotspolitk zu begrenzen und die Versorgung trotzdem sicher zu gestalten, das ist der Ehrgeiz der Wissenschaftler und Techniker. Insofern schließt die diesjährige Veranstaltung an ihre Tradition aus DDR-Zeiten an, wo es ebenso galt, unter Restriktionen und bürokratisch-planwirtschaftlichen Bedingungen – damals war es der Mangel an Rohstoffen und Devisen – beste Lösungen zu finden.

Erwartungsgemäß blieb auf der von Technikern dominierten Veranstaltung die ökonomische Seite unterbelichtet. Rechnerisch sei ein Wasserstoffbus kostenmäßig paritätisch zu einem Dieselbus – wenn der Elektrolyseur zu 45 Prozent, die Wasserstofftankstelle zu 90 Prozent und der Bus zu 80 Prozent subventioniert werden. Technisch ist vieles, fast alles möglich, aber zu welchem Preis? Beim grünen Wasserstoff wurde die Frage der Wirtschaftlichkeit kaum diskutiert, es besteht die unausgesprochene Übereinkunft, dass dieser zu global konkurrenzfähigen Preisen nicht herstellbar ist. Große Mengen sehr billigen Stroms sind in Deutschland und auch international mittelfristig nicht zu erwarten.

Zudem wirken alle netzstabilisierenden Maßnahmen wie der Netzausbau und der Ersatz rotierender Massen kostentreibend auf die Netzentgelte. Diese werden nach Genehmigung durch die Bundesnetzagentur im nächsten Jahr ohnehin um zehn Prozent steigen. Die Modellierung nötiger Speicherkapazitäten nimmt auch den Optimisten die Luft. Abwandernde Industrie und hohe Importmengen können das Problem lindern.

Das Dresdner Kolloquium hebt sich in Breite und Qualität wohltuend von anderen Branchen- und Verbändeveranstaltungen ab, bei denen die gegenseitige Vergewisserung des eingeschlagenen vermeintlich richtigen Weges und die dazugehörige PR im Vordergrund stehen. Die Diskussion der naturwissenschaftlich-technischen Grundlagen der Energieversorgung ist wichtig, leider wird in einem zunehmend bürokratischen und staatlich beeinflussten System die Kreativität der Findigen umgeleitet in die Akquise von Fördermitteln im stets dichter werdenden Dschungel entsprechender Gesetze. Dies ist ein internationaler Wettbewerbsnachteil, der langfristig wirken wird.

„Energietransitionen dauern Jahrzehnte“ schreibt Ministerpräsident Kretschmer in seinem Grußwort. Grünes Tempo und einseitige Technologievorgaben sind dabei schädlich. Es wäre wünschenswert, wenn die Erkenntnisse des Dresdner Kolloquiums Raum greifen und über die Fachleute auch in Öffentlichkeit und Politik bekannter werden. Die nächste, 56. Folge dieser Veranstaltungsreihe ist nötiger denn je, politische Folgerungen wären es auch.

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