Ein „Sammelsurium“. Ein Gesetz, das 22 andere Gesetze und Verordnungen verändere. Darüber „kann man nicht seriös diskutieren“. So fasst Matthias W. Birkwald (Linke) das Wachstumschancengesetz (WC-Gesetz) der Ampel zusammen. Die Linke lehne solche „Omnibus-Gesetze“ ab. Sie seien dem Bürger nicht zu vermitteln.
Tatsächlich fasst das WC-Gesetz unterschiedliche Bereiche wild zusammen: Es soll laut Finanzminister Christian Lindner (FDP) im Wesentlichen die Wirtschaft durch Steuererleichterungen und den Abbau von Bürokratie ankurbeln – behandelt aber auch die Doppel-Besteuerung von Rentnern – und verlangt von Anwälten und Steuerberatern, dass sie ihre Mandanten beim leisesten Verdacht der Steuerhinterziehung dem Staat denunzieren. Kurzum: Das WC-Gesetz ist Ampel-Allerlei, bei dem SPD und Grüne auch etwas fordern durften, wenn sie der FDP schon mal in einem Punkt nachgeben.
So gehören zum Ampel-Allerlei im WC-Gesetz:
- „Investitionsprämien“ für Menschen, die ihr Geschäftsvorhaben mit dem Klimaschutz in Verbindung bringen können;
- bessere Möglichkeiten zur Abschreibung;
- Erhöhung von Schwellenwerten bei der Versteuerung;
- mehr digitale Möglichkeiten bei der Abrechnung von Spenden;
- „Die Pflicht zur Mitteilung von grenzüberschreitenden Steuergestaltungen wird auf innerstaatliche Steuergestaltungen ausgeweitet“;
- eine „gesetzliche Regelung zur verpflichtenden Verwendung von elektronischen Rechnungen zwischen inländischen Unternehmen“.
Die Opposition zerpflückt in seltener Einigkeit das WC-Gesetz: Der Linke Birkwald konzentriert sich auf die Doppelbesteuerung von Rentnern. Die Ampel gebe im Entwurf selbst zu, dass der Vorschlag das Problem nicht löse. Auch der Gewerkschaftsbund DGB sei zu dem Ergebnis gekommen. In einem ersten Schritt fordert Birkwald, dass die Freibeträge für Rentner erhöht werden, sodass Rentner mit geringen Einkommen verschont blieben.
Union und AfD nähern sich dem WC-Gesetz von dessen wirtschaftlicher Seite. Mathias Middelberg (CDU) kritisiert die geringe steuerliche Entlastung: Die beträgt laut Lindners Entwurf sieben Milliarden Euro im Jahr. Derzeit zahle der Bund allein für den Bau von zwei Chipfabriken 15 Milliarden Euro an Zuschüssen, erinnert Middelberg im Bundestag. Da sollen Einsparungen von sieben Milliarden Euro die gesamte Volkswirtschaft ernsthaft ankurbeln?
Ohnehin widerspreche sich die Ampel in ihrer Wirtschaftspolitik selbst, klagt Middelberg. So würde die Regierung den Abbau von Bürokratie versprechen, habe aber in ihren Ministerien 1700 neue Stellen für Beamte aufgebaut. Auch würde die Ampel versprechen, Anreize für Arbeitslose zu schaffen, wieder ins Berufsleben einzusteigen. Das Gegenteil passiere, analysiert Middelberg. Die Ampel trage dazu bei, dass der Abstand zwischen Nettolohn und Bürgergeld immer kleiner werde: „Wer bei Ihnen Bürgergeld bezieht, ist gut dran. Wer arbeitet, ist bei Ihnen in diesem Land ganz übel dran.“
Jörn König (AfD) stellt die Frage, wer überhaupt von den sieben Milliarden Euro Steuererleichterungen profitieren könne? Das 250 Seiten umfassende Gesetzeswerk sei so komplex, dass es kaum ein Mittelständler oder Betreiber einer Personengesellschaft durchforsten könne. Kleinere Unternehmen würden folglich vom WC-Gesetz kaum profitieren.
Dabei zeigen die USA laut König mit dem „Inflation Reduction Act“, wie Wirtschaftsförderung wirklich geht: Dort gewährt der Staat Steuererleichterungen in einem Volumen von rund 700 Milliarden Euro. In Deutschland sei hingegen in den letzten vier Jahren die steuerliche Belastung um fast 200 Milliarden Euro gestiegen. Allein ein Verzicht auf die CO2-Steuer würde die Wirtschaft um 18 bis 30 Milliarden Euro im Jahr entlasten. Angesichts dieser Größenverhältnisse nennt Klaus Stöber eine Entlastung von sieben Milliarden Euro einen „Witz“.
Und selbst diese Entlastung sei nur zum Preis einer „irrsinnigen Bürokratie“ zu erhalten, ergänzt Sebastian Brehm (CSU). Zumal die Ampel die Bürger weiter belaste: mit einer Erhöhung der CO2-Steuer, der LKW-Maut und der Sozialabgaben, etwa für die Krankenversicherung: „Mit der einen Hand geben Sie vor, etwas zu geben“, sagt Brehm. „Und mit der anderen Hand sind Sie tief in den Hosensäcken der Steuerzahler.“
Selbst die „Investitionsprämien“ für „klimafreundliche“ Investitionen seien der Ampel nicht gelungen, beklagt Brehm. Dass die Regierung nur 200 Millionen Euro bereitstelle, zeige, dass sie selber nicht an die Idee glaube. Wer aber selbst von diesem Geld etwas haben wolle, müsse sich einer „unglaublichen Bürokratie“ aussetzen. Sodass Brehm vorschlägt, das WC-Gesetz solle lieber „Bürokratiewachstumsgesetz“ heißen. Denn es schaffe einen „administrativen Flaschenhals“.
Bezeichnend ist laut Brehm, dass die Ampel das WC-Gesetz als großen Wurf angekündigt habe – und nun seien weder der Finanzminister noch „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne) oder Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag, um es vorzustellen. Stattdessen übernahm Staatssekretärin Katja Hessel (FDP) die Aufgabe. Mit einem Enthusiasmus und einem rhetorischen Geschick, die nicht einmal reichen würden, um in das Debattierteam der Siebten Klasse aufgenommen zu werden.
Auch die Abgeordneten der Ampel haben nicht viel beizutragen, um das Gesetz zu rechtfertigen. Ein bisschen Aufzählen der Spiegelstriche samt Rhetorik, das Gesetz werde die Wirtschaft ankurbeln hier. Ein bisschen 16 Jahre lang sei nichts passiert dort. Und dann noch die neueste Sprachregelung: Die deutsche Wirtschaft sei nicht schlecht, die Opposition rede sie nur schlecht, wie Katharina Beck (Grüne) sagt. Nach dem Ranking des Internationalen Währungsfonds ist Deutschland unter den Wirtschaftsnationen die Nation mit dem schlechtesten Wachstum. Während es in allen Ländern wächst, schrumpft es in Deutschland. Will Beck, dass das „Schlechtreden“ der Wirtschaft aufhört, muss künftig die Tabelle des Internationalen Währungsfonds nur umgedreht werden – dann ist Deutschland Spitzenreiter.
Markus Herbrand (FDP) verteidigt das Gesetz. Eigentlich. Er räumt aber auch ein, dass die von seinem Parteifreund Lindner vorgeschlagenen Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuermissbrauch die Ziele des WC-Gesetzes „konterkarieren“. Sie würden an der Stelle folglich nicht helfen, Wachstum zu generieren und Bürokratie abzubauen.
Die Bundesrechtsanwaltskammer wird in ihrer Kritik um einiges klarer. Sie sagt, das WC-Gesetz bringe nur marginal Erleichterungen für die Wirtschaft. Die Ampel gebe nur dem, der ohnehin schon habe. Die in dem umfangreichen Gesetzespaket versteckten Repressalien gegen Anwälte und Steuerberater wirkten sich umso drastischer aus. Sie brächten „erheblichen Verwaltungsmehraufwand“ und „eine weitere Bußgelddrohung“ für die Steuerzahler mit sich.