Tichys Einblick
Regierungserklärung des Kanzlers

Wir stehen zu Israel – und jetzt?

Kanzler Olaf Scholz hat eine Regierungserklärung im Bundestag gehalten. In der folgenden Aussprache zeigt sich: Alle Parteien stehen zu Israel. Nur: Was heißt das? Nimmt man die Verantwortlichen beim Wort, müssen sie jetzt das Land umkrempeln.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Regierungserklärung im Deutschen Bundestags zur Lage in Israel, Berlin, 12.10.2023.

IMAGO / photothek

Es mache Vergnügen zuzuschauen, „wenn hinten, weit, in der Türkei, die Völker aufeinanderschlagen“, schreibt Goethe in seinem Faust. Das mag vor gut 200 Jahren gestimmt haben. Doch heute leben diese Völker an Rhein, Main und vor allem an der Spree. Für morgen sind terroristische Anschläge in Berlin erwartet. Die Hauptstadt bereitet sich darauf mit einer Selbstverständlichkeit vor – als wenn es ein Volkswandertag wäre. Auf der Sonnenallee fanden bereits verbotene Demonstrationen statt – Gesetze sind im Deutschland der Letzten Generation relativ.

Der Terror, den die Hamas in Israel ausgeübt hat, bleibt nicht in Israel. Er kommt zu uns. Nicht mit geköpften Babys oder geschändeten Leichen. Diese Bilder bleiben uns hier erspart. Noch. Aber die äußeren Wellenausschläge des Terrorbebens der Hamas erreichen uns in Deutschland: Der Verein Makkabi Berlin hat den Spielbetrieb komplett eingestellt. Die Menschen wären bei Spielen und Training nicht mehr ausreichend sicher.

Das ist keine Verschwörungstheorie. Kein rechter Versuch, den Staat zu „delegitimieren“. Das ist eine Beschreibung der Lage in Deutschland 2023: Ein Fußballverein, Teilnehmer in der Endrunde des DFB-Pokals, kann aus Sicherheitsgründen nicht mehr spielen. Nicht „hinten, weit, in der Türkei“, sondern in der Passauer Straße in Berlin – auf halbem Weg zwischen Gedächtniskirche und Kaufhaus des Westens gelegen.

In Mainz wurde derweil eine israelische Flagge beschädigt. Am Stadthaus. Zwei Fußminuten vom Hauptbahnhof entfernt – Sitz einer großen Wache der Bundespolizei. Wer richtig steht, kann vom Hauptbahnhof aus das Stadthaus sehen. Den Rhein abwärts in Köln wird eine israelische Fahne vom Mast gerissen – vorm Rathaus. In Leverkusen findet eine Passantin eine verbrannte israelische Fahne auf der Europabrücke. Der Terror ist nicht „hinten, weit, in der Türkei“. Er findet in Deutschland statt. Auf seinen prominentesten Plätzen. Unter den Augen der Polizei.

Vor diesem Hintergrund spricht Olaf Scholz (SPD) zur Nation. Zweimal. Einmal im Fernsehen wirkt er bizarr. Er fordert die Menschen auf, den Staat beim Schutz israelischer Einrichtungen zu unterstützen. Was will er? Bürgerwehren? Seine Hilflosigkeit ausdrücken? Oder ein völlig verpatztes Wording von sich geben? Gut wirkt der Kanzler jedenfalls nicht dabei.

Am Morgen danach spricht Scholz vor dem Bundestag. Er ist aufgeräumt. Das Wording sitzt: „Ein paar Sätze des Mitgefühls“, wie es in Rheinland-Pfalz Malu Dreyer (SPD) nach der Ahrflut von ihren Redenschreibern verlangt hat, kommen Scholz flüssig von den Lippen. Doch der Kanzler wird auch konkret. Für seine Verhältnisse sogar ziemlich konkret:

Scholz‘ Rede war gut. Angemessen. Er hat die richtigen Punkte angesprochen, er hat die richtigen Worte gefunden. Nun sagen manche Kritiker, die Rede käme zu spät und würde jetzt nichts mehr bringen. Das ist Fatalismus. Ab da an bleibt einem nichts mehr anderes übrig, als sich jeden Tag zu versichern, dass eh alles keinen Zweck hat.

Es gibt historische Beispiele dafür, dass diese Einstellung falsch ist. Die DDR hat 1975 die Helsinki-Akte unterschrieben. Das Ergebnis der „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“. Darin bekannte sich Regierungschef Erich Honecker (SED) zu Menschenrechten, die es in seinem Staat trotz Helsinki-Akte nicht geben sollte. Also hätte man die Helsinki-Akte 14 Jahre aus gutem Grund als Geschwätz brandmarken können. Das war sie aber eben nicht. Für viele Bürgerrechtler in der DDR war sie die Grundlage, die versprochenen Menschenrechte einzufordern. Das Ergebnis ist bekannt.

Die Regierungserklärung Scholz‘ zu den barbarischen Anschlägen der Hamas war wichtig. Wenn ihn nun eine kritische Öffentlichkeit beim Wort nimmt. Wenn sie einfordert, dass der Kanzler dieses Mal auch hält, was er verspricht. Denn auch dieses Mal hat sich Scholz Hintertüren in die Wand aus vollmundigen Versprechen eingebaut.

Der Kanzler verspricht Israel Unterstützung und nennt als Beispiel die Behandlung Verwundeter. Nun ist die Infrastruktur an Krankenhäusern in Israel intakt. Warum wählt Scholz also ausgerechnet dieses Beispiel? Ob er Israel militärisch unterstützen kann, weiß der Kanzler noch nicht. Seine Koalitionspartner sind dagegen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann zum Beispiel. Sonst um keine Waffenforderung für die Ukraine verlegen, spricht sich die FDP-Spitzenkandidatin fürs Europaparlament gegen Waffen für Israel aus. Es genüge zu erklären, Deutschland stehe an der Seite Israels. „Ein paar Sätze des Mitgefühls“ und so.

Auch in den außenpolitischen Ankündigungen ist Scholz nur bedingt glaubwürdig. Es war schließlich sein Parteifreund Frank-Walter Steinmeier, der den Mullahs im Iran liebedienerisch zum Jubiläum ihrer Revolution gratuliert hat. Es war Scholz, der neben Palästinenser-Führer Mahmut Abbas stand und so tat, als sei nichts passiert, als der in Deutschland den Holocaust leugnete. Was hierzulande eine schwere Straftat ist.

Doch am wichtigsten wird sein, wie Scholz mit den Teilen des Terrors umgeht, die nicht „hinten, weit, in der Türkei“ bleiben, sondern die Deutschland 2023 ausmachen: die brennenden Israel-Flaggen. Die Buben, die auf der Sonnenallee das Abschlachten von Babys feiern. Oder das Staatsversagen, das einem Verein wie Makkabi Berlin das Fußballspielen unmöglich macht. Scholz hat jetzt Versprechen gemacht. Das ist wichtig. Auch wenn er sie nicht einhält. Gerade dann. Denn dann ist über eine Bundesregierung zu reden, die sich an die von ihr selbst verkündeten Maßstäbe nicht hält.

Olaf Scholz hat für diese Versprechen den Bundestag grundsätzlich hinter sich. Alle fünf Fraktionen haben sich erfreulich deutlich gegen den Hamas-Terror ausgesprochen. Sogar Dietmar Bartsch: Die Hamas betreibe keinen „Freiheitskampf“ – sondern „Barbarei“. Der Linke fordert die sozialdemokratische Regierung auf, ihre Iran-Politik zu überdenken. Ohne das Know-how von dessen Ingenieuren hätte es keine Bomben auf Israel gegeben. Und der Linke warnt Anhänger der Palästinenser davor, sich in Deutschland als „nützliche Idioten“ zu betätigen. Allein diese Aussage Bartschs war die Aussprache im Bundestag wert.

Doch eben in dieser Aussprache zeigten sich auch die Risse in der deutschen Politik. Oppositions-Politiker wie Friedrich Merz (CDU) wiesen darauf hin. Etwa, wenn Merz an die „unerträglichen“ Bilder von der Sonnenallee denke. Die von einer Polizei zugelassen wurden, die über Jahre grün-rot geprägt wurde. Die Risse werden aber noch deutlicher, wenn Vertreter der Ampel reden.

Etwa Rolf Mützenich. Fraktionsvorsitzender und Vorzeige-Linker der SPD. Er sagt: „Da braucht Israel keinen Nachholbedarf – schon gar nicht von uns.“ Er wollte vermutlich etwas sagen wie: Israel habe keinen Nachholbedarf an Belehrungen. Doch das kam Mützenich nicht über die Lippen. Freud hat ihm ein Schnippchen geschlagen. Denn nur eine Passage vorher hatte der SPD-Linke Israel gesagt, später solle es seine „eigenen Fehler und Versäumnisse“ aufarbeiten. Was das bitte anderes sein soll als eine Belehrung? Das weiß Mützenich offensichtlich auch nicht, deswegen lässt sein Mund ihn sagen, dass Israel keinen Nachholbedarf braucht.

Doch Mützenich ist seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs ohnehin nur noch eine lahme Ente. Ein Ausstellungs-Linker in der SPD. Andere Abgeordnete haben in der Aussprache zum Hamas-Terror kluge Hinweise gegeben: Alexander Gauland (AfD) weist darauf hin, dass die Hamas nicht nur vom Iran unterstützt wurde – sondern auch mit deutschem Steuergeld. Und dass das ein Skandal sei, der sofort aufhören müsse. Alexander Dobrindt (CSU) erklärt, wie wichtig der richtige Umgang mit Sprache sei. Falsch sei es, von „Kämpfern“ zu sprechen, in der Hamas agierten „abscheuliche Terroristen“. Auch gebe es in Deutschland keine „Palästinenser Aktivsten“, sondern „Terror-Unterstützer“. Christian Dürr (FDP) benennt das Islamische Zentrum in Hamburg als eine Einrichtung, die geschlossen werden müsse. Omid Nouripour (Grüne) macht deutlich, dass Deutschland nur an der Seite von Israel stehe – also nicht auf der Seite des palästinensischen Terrors.

Der Terror der Hamas ist nicht „hinten, weit, in der Türkei“. Er ist nicht nur in Deutschland angelangt. Seine Sympathisanten besitzen oft genug sogar deutsche Pässe. Die Problemlage ist vielschichtig. Die einzelnen Aspekte sind miteinander verwoben und bestärken sich gegenseitig. Einfache Lösungen wird es nicht geben. Also kapitulieren? Das ist eine Perspektive für Menschen, die nichts mehr vom Leben erwarten.

14 Jahre hat es gedauert, bis die Helsinki-Akte in der DDR spürbar gewirkt hat. Es wäre schön, heute zu wissen, dass wir in 14 Jahren mit dem Fakt, dass wir Terror-Sympathisanten eingebürgert haben, vernünftig umgehen können. Dass wir uns in 14 Jahren nicht daran gewöhnt haben, dass wir freitags halt mit Terror-Aktionstagen leben müssen – sondern die im Ansatz unterbinden. Dass in 14 Jahren niemand mehr auf die Idee kommt, dass Makkabi Berlin aus Sicherheitsgründen nicht spielen kann.

Olaf Scholz hat schon oft demonstriert, dass seinen Worten nicht zu trauen ist. Das jüngste Beispiel ist das leere Versprechen eines „Deutschlandpaktes“. Doch es ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, ihn an das Einlösen dessen zu erinnern, was er in der Regierungsansprache versprochen hat. Resignation ist etwas für Hoffnungslose.

Anzeige
Die mobile Version verlassen