Tichys Einblick
Ernährungsreport 2023

Gesundheitsstudie kontra Özdemirs Ernährungs-Diktat

Laut Ernährungsreport 2023, den Cem Özdemir am Freitag vorstellte, greifen immer mehr Verbraucher zu vegetarischen und veganen Produkten – ganz im Sinne seines „Ernährungsprogramms“. Aber: Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Ernährung nicht das Problem ist. Der Bewegungsmangel ist gefährlicher. Özdemir sollte sich heraushalten. Von Detlef Brendel

Vorstellung Ernährungsreport 2023 durch Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir, Berlin, 13.10.2023

IMAGO / Chris Emil Janßen

Im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wird die Gesundheit der Deutschen geplant. Nicht etwa im Gesundheitsministerium, wie man vom Namen her vermuten sollte. Das beschäftigt sich mit einem zunehmend maroden Gesundheitssystem, unterfinanzierten Kliniken und mangelhafter Medikamentenversorgung.

Das BMEL glaubt, die Risiken für die Gesundheit der Bundesbürger erkannt zu haben. Sie sind vielfältig und sollen vor allem aus der Ernährung resultieren. Die Ministerialbürokratie plant Abhilfe mit einer ganzen Palette von Maßnahmen. Das fängt mit staatlich verordneter Kost in der heimischen Küche an. Dazu gibt es ein Ernährungsprogramm. Die Bürger sollen stärker vegetarisch und am besten vegan essen. Von Food-Designern kreiertes Kunstfleisch soll besser sein als ein natürliches Steak. Wir stehen vor dem Zeitalter der Erbse, aus der in Food-Laboren Wurst entsteht.

Die Unerträglichen
„Nichtregierungsorganisationen“ (NGO), die wie Regierungsorganisationen agieren
Die Ernährungswirtschaft, die den Menschen eine Vielfalt an bestens kontrollierten und geschmacklich variantenreichen Lebensmitteln bietet, soll an die Kandare einer politisch verordneten Nahrungsmittel-Gestaltung genommen werden. Reformulierung heißt das Thema. Vorgefertigte Lebensmittel sollen an staatlich geprüfte Rezepturen angepasst werden. Grüne Punkte erhalten dann nicht mehr wohlschmeckende Spezialitäten, sondern der ideologisch korrekte Einheitsbrei.

Kinder und Jugendliche dürfen keine TV-Werbung für beliebte Nahrung mehr sehen, weil das angeblich dick macht. Niemand hat bis heute untersucht, welches Konsumverhalten bei ihnen aus einem Werbespot resultiert. Dennoch sollen für die kleinen Nascher rund um Schulen und Kindergärten plakatfreie Schutzzonen entstehen. Und wenn sie trotzdem einen Softdrink konsumieren, sollen die Eltern beim Einkauf mit Strafsteuern zur Rechenschaft gezogen werden. Dann wird eben im Interesse der Haushaltskasse und des Durstes auf ein preiswerteres No-name-Produkt umgestiegen.

Der Triumph des Gesäßes über Özdemirs Pläne

„Wie gesund lebt Deutschland?“ fragt eine aktuelle Studie der Deutschen Sporthochschule Köln und des Instituts für Sportwissenschaft der Universität Würzburg. Prof. Dr. Ingo Froböse und Dr. Birgit Wallmann-Sperlich kommen im Kern zu zwei wichtigen Erkenntnissen. Bei der Ernährung zeigen sich im Bundesdurchschnitt durchaus positive Aspekte. 67 Prozent verzehren täglich Obst und Gemüse. 42 Prozent essen täglich Vollkornprodukte und nur zwölf Prozent jeden Tag Fleisch und Wurstwaren. Ein- bis zweimal pro Woche kommen Fisch und Meeresfrüchte auf den Tisch. Süßigkeiten und Knabbereien stehen nur bei 26 Prozent auf dem täglichen Ernährungsplan. Aus einem solchen Ernährungsverhalten sollte sich Cem Özdemir bei aller ihn antreibenden Ideologie heraushalten.

Alarmierend ist dagegen ein anderes Ergebnis der Gesundheitsstudie. Sitzen ist das leidvolle Laster des modernen Lebenswandels. Jeder Deutsche sitzt täglich rund 9,2 Stunden. Während der letzten sieben Jahre hat sich die tägliche Sitzzeit um mehr als 1,5 Stunden erhöht. Bei jungen Menschen im Alter von 18 bis 29 Jahren sind es sogar über zehn Stunden täglich, die inaktiv sitzend verbracht werden.

Jenseits aller Fakten
Cem Özdemir: Essgebote und Verbote vom Pädagogen der Nation
Prof. Froböse erinnert in seinem Vorwort zur Studie daran, dass die über 650 Muskeln des Körpers ein Aktivposten für die Gesundheit sind. Sie bilden das größte Stoffwechselorgan, das Nährstoffe verbrennt, Energie erzeugt, Botenstoffe produziert und uns nicht zuletzt aufrecht hält. Von schädlicher Werbung spricht Froböse nicht. Allerdings hat es eine zwingende Logik, dass der Bildschirm mittelbar das Sitzfleisch beansprucht. Täglich werden 1,75 Stunden vor dem Fernseher verbracht und weitere 1,5 Stunden mit Computer und Tablet.

Die Lektüre solcher Studien könnte die Gesundheitsexperten im BMEL auf den Weg der Tugend bringen. Sie versuchen allerdings eine andere politische Strategie, die zur Ideologie der Grünen passt und von der gewohnten Verbotspolitik ihrer Aktivisten ablenken soll. Sie lassen einen Bürgerrat zur „Ernährung im Wandel“ tagen. Wenn es schon keine evidenzbasierten Erkenntnisse der Wissenschaft gibt, soll ein Bürgergutachten, das dem Bundestag im Februar 2024 vorgelegt werden soll, Licht ins Dunkel bringen. Auf jeden Fall soll ein derart populistischer Schachzug die paternalistische Strategie grüner Politik mildern. Den Betroffenen, wie die Wahlergebnisse zeigen, schmeckt diese zunehmend weniger.

Detlef Brendel ist Wirtschaftspublizist.

Anzeige
Die mobile Version verlassen