Seit Jahren haben wir die Angewohnheit, jede einzelne Wahl, auch die kommunalen, zu „schicksalhaften“ Entscheidungen zu stilisieren, von denen die Zukunft unserer gesamten Demokratie (und natürlich des Weltklimas) abhängt: Sollten die bösen „Rechten“ gewinnen (die Begriffe „rechts“, „rechtsextrem“, „neurechts“, „populistisch“, „rechtsradikal“, „konservativ“, „nationalistisch“, „faschistisch“ und „traditionalistisch“ sind austauschbar geworden), wird die Welt untergehen. Mindestens.
Aber in Wirklichkeit ist es genau andersherum. Während die linken Parteien aufgrund ihrer überwältigenden weltweiten Unterstützung durch Medien, NGOs, internationale Schwesterparteien, Verwaltung und Bildungssystem die besten Voraussetzungen haben, um jederzeit die Macht zu behalten oder zu erlangen, ist es bei den rechten Parteien genau umgekehrt: Abgesehen von gelegentlicher Unterstützung durch obskure Sponsoren oder Nischenmedien sind sie völlig auf sich allein gestellt. Und sie wissen, dass auf jeden Wahlsieg früher oder später EU-Sanktionen, Gerichtsverfahren und außenpolitische Ächtung folgen werden, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass die nächste Wahlniederlage in der Regel den Zerfall ihrer politischen Partei bedeutet. Denn im Gegensatz zu den Linken kämpft die Rechte in der Tat ständig um ihr Überleben.
Im Moment sehen die Zukunftsperspektiven für die Regierung eher gemischt aus: Der regierende Parteiverband PiS musste nicht nur gegen enormen äußeren und inneren Druck regieren, er wird auch von zahlreichen eigenen Fehlern eingeholt. Da ist zunächst einmal der Konflikt mit der EU: Das Bestreben der PiS, das Rechtssystem zu demokratisieren, das noch weitgehend von postkommunistischen, linksliberal umgefärbten Lobbys beherrscht wurde, machte einen Zusammenstoß mit Brüssel zwar unvermeidlich, aber die jetzige Eskalationsstufe wäre mit ein wenig Diplomatie nicht ganz alternativlos gewesen. Dann ist da der Skandal um die Verschärfung der Abtreibungsgesetze: Bis vor kurzem war Abtreibung mit Ausnahme weniger medizinischer Fälle ohnehin weitgehend verboten. Die Abschaffung selbst der meisten dieser Ausnahmen hat bei den weiblichen Wählern eine noch nie dagewesene öffentliche Empörung hervorgerufen und zeugt vielleicht von großer moralischer Tugend, aber erstaunlich wenig politischem Bauchgefühl.
Und schließlich die Entfremdung Polens von Ungarn: Dass Polen das bestenfalls „neutral“ zu nennende Verhalten seines ungarischen „Bruders“ im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine nicht gutheißen konnte, war zu erwarten; aber die derzeitige Kälte hat in der Tat dazu geführt, dass das Rückgrat des Visegrád-Bündnisses praktisch zerfallen ist. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass Polen zu hoch gepokert hat mit seiner Bereitschaft, Ungarn, seinen besten Verbündeten, zu opfern, um seine quasi-hegemoniale Position innerhalb des Visegrád-Systems zu einer Führungsposition in der gesamten Trimarium-Region auszubauen.
Aber auch abgesehen von der Lockerung der Bindungen zu Ungarn ist Polen politisch weitgehend isoliert. Das liegt nicht nur an den immer stärker werdenden Spannungen mit Deutschland im Zusammenhang mit den polnischen Forderungen nach Kriegsreparationen und der ständigen deutschen Einmischung in die inneren politischen Angelegenheiten Polens. Es liegt auch daran, dass es der polnischen Regierung (anders als in Ungarn) nicht gelungen ist, Unterstützung von anderen europäischen konservativen Parteien, Medien oder Eliten zu erhalten. Orbán ist zu einem gesamteuropäischen Hoffnungsträger für die politische Rechte geworden, aber Kaczyński wird von den meisten europäischen Konservativen als eine weitgehend unbekannte, rein innerpolnische Figur betrachtet, deren Unterstützung für Außenstehende keinen wirklichen Mehrwert bietet.
Ähnlich verhält es sich, wenn es darum geht, die Anliegen der Regierungspartei an die jüngeren Generationen zu vermitteln: Die PiS-Wählerschaft gehört im Wesentlichen der Altersgruppe der über 60-Jährigen an, während junge Frauen eher für linke Parteien und junge Männer für die nationalistisch-libertäre „Konfederacja“ stimmen: Die PiS-Wähler sterben also buchstäblich aus.
Aber ohne eine angemessene interne und externe Kommunikation müssen diese Erfolge wahltaktisch erfolglos bleiben. Obwohl es immer noch so aussieht, als ob die PiS die stärkste politische Partei im polnischen Parlament bleiben wird, scheint der Rückhalt in der Bevölkerung nicht stark genug zu sein, um ihr eine Regierungsmehrheit zu verschaffen. Da eine Allparteienkoalition gegen die PiS unter der Führung von Donald Tusk und seiner „Koalicja“, die sich stark am deutschen politischen Mainstream orientiert, ebenfalls eher unwahrscheinlich ist, wird sich das Land wahrscheinlich auf eine lange und schwierige Phase der Regierungsbildung einstellen müssen, deren Ausgang weitgehend davon abhängt, ob die „Konfederacja“ mit der PiS zusammenarbeiten wird oder nicht.
Aber wer weiß, welche Wahlüberraschungen die nächste Woche noch bringen wird. Schon jetzt erstaunte die öffentliche Abkehr Selenskyjs von Polen und die Hinwendung zu Deutschland (obwohl letzteres seit Beginn des Krieges die Lieferung von Waffen und anderer Unterstützung an die Ukraine eher behindert als gefördert hat); ein Schritt, der kaum anders zu erklären ist als mit dem Wunsch Kiews, Berlin (und Brüssel) zu gefallen, indem es die polnische Regierung in einem entscheidenden Moment des Wahlkampfes öffentlich desavouiert. Da sich der Krieg einem Waffenstillstand zu nähern scheint, sind Deutschland und seine starken finanziellen Mittel für Selenskyj im Hinblick auf den Wiederaufbau der Ukraine wahrscheinlich interessanter als die Freundschaft Polens – eine Situation, die von allen Feinden der derzeitigen polnischen Regierung, die ihr politische Naivität vorwerfen, genüsslich ausgenutzt wird.
Ähnlich verhält es sich mit dem angeblichen „Visa-Skandal“, der wahrscheinlich nur ein Sturm im Wasserglas war: Die (falsche) Behauptung, die polnischen Behörden hätten irregulär circa 200.000 Visa an Migranten verkauft, die dann über Polen nach Deutschland eingereist seien, brachte die Regierung ebenfalls vorübergehend in erheblichen Misskredit.
Und schließlich ist da noch der jüngste Skandal: eine unappetitliche angebliche Sexorgie einiger katholischer Geistlicher, die als Anlass für eine Generaloffensive gegen die Bedeutung des Christentums als Hauptträger der polnischen politischen und kulturellen Identität – und als starke Stütze der Regierungspartei – instrumentalisiert wird.
Andererseits hat die Regierung einen mächtigen Gegenangriff gestartet, als sie ankündigte, dass die Wahlen an ein Referendum darüber gekoppelt werden sollen, ob die Bürger zentrale Themen wie die Ablehnung der EU-Migrationspolitik, die Senkung des Rentenalters, den Bau eines Anti-Migrationszauns gegen Weißrussland oder die Re-Polonisierung von Schlüsselindustrien, die unter der vorherigen, liberalen Regierung privatisiert worden waren, unterstützen oder nicht.
Dieses Referendum wird wahrscheinlich dazu beitragen, die Mobilisierung der Wähler zugunsten der Regierung zu erhöhen, und selbst im Falle einer Wahlniederlage der PiS wird diese Befragung ein ernsthaftes Legitimationsproblem für jede liberale Nachfolgeregierung darstellen, da zu erwarten ist, dass eine Mehrheit der Teilnehmer des Referendums für die aktuelle Politik stimmen wird (wenn auch vielleicht nicht für die Fortsetzung der Regierung selbst).
Die kommende Woche wird also zweifellos sehr spannend für alle ausländischen Analysten sein – aber sie könnte auch entscheidend für die Zukunft des Konservatismus in Europa sein, zu einer Zeit, in der sich die EU anschickt, mit dem Migrationspakt, der Abschaffung des politischen Einstimmigkeitsprinzips, der Ablehnung fossiler Brennstoffe, weitreichenden Zensurgesetzen und natürlich dem ominösen „Green Deal“ eine grundlegende Umgestaltung der gesamten europäischen Gesellschaft einzuleiten. Denn ohne ein starkes polnisches Veto ist eine exponentielle Beschleunigung der gegenwärtigen Mutation der EU in etwas zu befürchten, das den meisten Werten und Idealen, für die sie einst zu stehen vorgab, völlig zuwiderläuft …
Die ursprüngliche englische Fassung dieses Beitrags erschien am 9.10.2023 in „The Critic“: What the Polish election means. Wir danken für die Übernahme.