Es ist eine bemerkenswerte Woche für die AfD. Zuerst sagt Alice Weidel eine Veranstaltung am Tag der Deutschen Einheit ab und begründet das mit der Bedrohungslage für ihre Familie und die eigene Person. Dann muss Tino Chrupalla eine Kundgebung vorzeitig abbrechen und wird ins Krankenhaus transportiert – die Umstände sind immer noch nicht aufgeklärt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Unbekannt.
Dass die AfD selbst in diesen Momenten als vogelfrei gilt, bekommt sie doppelt zu spüren. Einerseits ist das politische Echo bislang karg. Beileidsbekundungen oder Genesungswünsche sind rar. Dabei sind Weidel und Chrupalla keine Provinzpolitiker, sondern bilden die Spitze der Blauen. Als Fraktionschefs im Bundestag haben sie auch eine wichtige parlamentarische Rolle. Als Mandatsträger vertreten sie Teile des Souveräns nicht weniger als andere.
Andererseits genießen einige politische Gegner die Situation ganz offensichtlich. Spott und Häme von anonymen linksradikalen Accounts sind nicht unüblich. Dass aber ein Ministerpräsident die Chance nutzt, seinen Zynismus über eine unliebsame Oppositionspartei auszuschütten, ist in dieser Art und Weise einzigartig. Bodo Ramelow, der als geschäftsführender Ministerpräsident von Thüringen dank Merkels Unterstützung im Amt sitzt, machte auf X (früher: Twitter) aus seiner Schadenfreude kein Geheimnis. Ramelow postete das Bild einer blauen Sahnerolle mit der Überschrift: „Opferrolle.“
Obwohl die genauen Umstände zu beiden AfD-Personalien vage bleiben, zeigt sich in solchen Gesten erst recht jene Menschenfeindlichkeit, die man sonst so gerne der AfD unterstellt. Der politische Feind ist ein totaler Feind. Er hat de facto kein Recht auf Mitleid oder anderen menschlichen Gefühle. Wenn ein Parteichef auf der Intensivstation liegt, darf man sich noch über ihn lustig machen, weil man über „die Bösen“ immer herziehen darf. Eigentlich ein Zivilisationsbruch. Aber nichts mehr, was man in der aufgeheizten Stimmung des besten Deutschlands aller Zeiten noch als einen wahrnimmt.
Dieser Tage geht häufig das Wort von einer Bürgerkriegsstimmung um. Nun denn: wer den Gegner entmenschlicht, das Individuum nur als feindliches Objekt deklariert und damit zur reinen politischen Verfügungsmasse herabwürdigt, geht genau diesen Weg. Das, was sich im Mitmenschlichen spätestens in der Corona-Zeit offenbart hat, nämlich, dass die so zivilisierten Standards innerhalb von Tagen brechen können, machen Politiker wie Ramelow täglich wieder bewusst. Aber wo „Nazis“ ins Krankenhaus geprügelt werden dürfen, darf man sich auch über Kranke lustig machen. Die Rede von Hypermoral und Moralismus schimmert immer wieder auf; in Wirklichkeit hat dieses Land mittlerweile ein erhebliches Problem mit moralischer Degeneration.