Die Slowakei ist schon seit letztem Jahr immer stärker zum Umschlagplatz der illegalen Migration nach Deutschland und zu einem zentralen Teilstück der Balkanroute geworden. Polen hat seine Kontrollen zuletzt intensiviert. Tschechien hatte seine Grenzen zur Slowakei bis zum Februar notifiziert, Österreich besitzt noch immer notifizierte Grenzen zu Ungarn und der Slowakei. Nur in Deutschland weigert sich Innenministerin Faeser, endlich echte Grenzkontrollen zu notifizieren, obwohl die Situation – im Innern wie Äußern – für jeden erkennbar radikal aus dem Ruder läuft. In Ungarn beklagt man, dass die slowakische Führung ihr Schicksal ohne Widerstand angenommen hat – und berichtet von zunehmender Gewalt illegaler Migranten an der eigenen Südgrenze.
Die Slowakei ist zur Durchlauf-Stelle für Zuwanderer aus dem Nahen Osten geworden, die aus dem Süden in das Land gelangen, aber keineswegs dort bleiben wollen. So berichten die Einwohner der Gemeinde Chl’aba an der südlichen Grenze aktuell von täglich auftretenden Migrantengruppen, die durch einen kleinen Fluss waten oder eine Eisenbahnlinie überschreiten, um aus Ungarn in die Slowakei zu gelangen. Von der Slowakei ziehen sie über Tschechien und Polen weiter, um letzten Endes nach Deutschland zu gelangen. Es ist der neueste Arm der Balkanroute. Die einfachen Slowaken beobachten, dass die Migranten es ziemlich eilig haben: „Sie sind im Transit, sie laufen so schnell durch, wie sie können“, sagt eine 70-Jährige. Die Schuld gibt man in der Slowakei wie anderswo gern den Ungarn.
Der Chefredakteur von Ungarn heute, Dániel Deme, widerspricht im Grundsatz: Tatsächlich müsste die Slowakei – ähnlich wie andere EU-Mitglieder – Ungarn helfen, seine Süd- und Südostgrenze nach Serbien und Rumänien zu schützen, bei denen es sich um EU- beziehungsweise Schengen-Außengrenzen handelt. Stattdessen sieht Deme bei der slowakischen Führung, dass sie die „Agenda eines anderen erfüllt“ und „fast schon eine Kampagne im Namen der Migranten“ führt. Das Land stelle den Migranten Bescheinigungen aus, die es ihnen ermöglichen, sich frei im gesamten Hoheitsgebiet zu bewegen. Das wäre ein Schengen-Skandal sondergleichen. Die Slowakei, so der transparente Vorwurf, beteilige sich an einer Schlepperroute Richtung Nordwest, anstatt den Ungarn bei der Verteidigung ihrer Außengrenze zu helfen.
Die slowakische Regierung soll selbst 500 Soldaten an die südliche Grenze geschickt haben. Die Truppen scheinen aber – ganz in der Art deutscher Behörden und Beamten – nur dazu da zu sein, den Druck auf die Grenzgemeinden abzumildern und die illegalen Migranten weiter ins Landesinnere zu bringen. In Ch’laba sind dieses Jahr schon 2.000 illegale Migranten aufgegriffen worden. Auch der Ex-Premier Robert Fico beklagt aus der Opposition, dass die aktuelle Führung jeden Migranten hineinlasse, der das Land illegal zu betreten versucht. Die Zahl der in Gewahrsam genommenen Migranten hat sich laut dem Pressburger Innenministerium in diesem Jahr auf 27.000 verneunfacht. Doch viele andere dürften unbesehen durchgeschlüpft sein.
Der vielfach überschrittene Rubikon
Ein Argument gegen die ungarische Grenzschutzpolitik sind solche Szenen und Vorgänge nicht – im Gegenteil. Denn tatsächlich sind beide Länder, die Slowakei ebenso wie Ungarn, Transitländer auf dem Weg der illegalen Migranten aus Nahost nach Deutschland. Die Berichte auch von „weichen“ Quellen wie Infomigrants sind insofern indirekte Aufrufe zu besserem EU-Außen- und Binnengrenzschutz. Infomigrants kritisiert allerdings auch die ungarische Praxis als illegal, beispielsweise durch die Zurückweisungen (Pushbacks), die das Land an der Grenze zu Serbien ausführe. Allerdings ist auch völkerrechtlich nicht einzusehen, warum die nahöstlichen Migranten nicht in Serbien oder den vorherigen Transitländern in Sicherheit sein sollten.
Nun hat Ministerpräsident Viktor Orbán in einer Parlamentsrede zur Eröffnung der Herbstsaison eindringlich vor den fortgesetzten Versuchen illegaler Migranten gewarnt, die ungarische Südgrenze (zu Serbien) zu überwinden. „Angriffe auf Grenzbeamte“ hätten zugenommen, seien sogar üblich geworden. Von 168 konkreten Angriffen berichtet Orbán, in denen zahlreiche Polizisten verletzt worden seien: „Die Migrantengewalt wächst.“ In den letzten Tagen seien serbisch-ungarische Patrouillen für drei Nächte nacheinander unter Beschuss durch automatische Waffen gekommen.
Das ist durchaus glaubhaft, zumal in der serbischen Vojvodina rund um die grenznahe Stadt Subotica (einst Maria-Theresiopel) Schießereien überhandgenommen haben, wie etwa der auslandsserbische Familienvater Szilárd Almási aus seinem Alltag in Subotica berichtet:
„Du trinkst deinen Kaffee. Du öffnest das Fenster, um frische Luft zu bekommen. Du lehnst dich in deinem Stuhl am Küchentisch zurück und hörst die drei Schüsse. Du kannst das Maschinengewehr deutlich hören. Es ist nicht weit von hier. Du nippst an deinem Kaffee. Wie lange noch… ob wir es morgen sein werden? Die Luft an diesem Morgen ist voller Angst… und mit dem Geruch des Todes versetzt.“
Die Website Pesti Srácok.hu hat das Zitat wohl als erste abgedruckt und berichtet von Kämpfen „entlang fast der gesamten Südgrenze … zwischen terroristischen Banden, die Menschen schmuggeln“. Auch ein Polizeifahrzeug sei von den Schüssen getroffen worden. Die serbische Website Suboticke.rs berichtet gar von einem fortgesetzten „Krieg zwischen den Migranten“, der sich über Wochen hinzieht: „Es wird angenommen, dass es sich um einen Konflikt zwischen Afghanen und Syrern handelt, und nach Angaben von Zeugen und Bewohnern dieses Teils der Vororte gibt es Verletzte und Tote.“
Anwohner in Angst um ihr Leben: Unterdruck führt zu Druck
Auch hier ist klar, dass die Anwohner inzwischen Angst um ihr eigenes Leben haben und keine Ruhe mehr finden. Schon Anfang September hatte Hungary today von Schießereien auf einem Supermarkt-Parkplatz in Subotica berichtet: „Kunden waren sprachlos angesichts des Vorfalls. Sie sagten, es sei unfassbar, dass illegale Einwanderer im Stadtzentrum und nicht nur im nahe gelegenen Wald schießen würden.“
Auch Euronews (in der Folge auch TE) berichtet von tödlichen Schießereien im serbisch-ungarischen Grenzbereich. Es handelt sich also keineswegs um einseitige Propaganda aus Budapest.
Doch es gibt auch andere Kräfte wie diese antiautoritäre „NoNameKitchen“, welche die gewaltbereiten Schlepper und Migranten anscheinend sogar noch bekocht, sie mit Duschen und Hygieneartikeln versorgt. Die deutsche, aus dem Mittelmeer durch Beschlagnahmung vertriebene NGO Iuventa findet das gut. Nebenbei erfährt man vom Druck, der in Serbien auf dem Kessel ist: 725 Personen jede Woche.
Dem Durchziehen an der slowakischen – und danach der polnischen, tschechischen und deutschen Grenze – entsprechen diese Zustände an der EU-Außengrenze mit spiegelbildlicher Genauigkeit: Wo ein Unterdruck – nennen wir das Phänomen im Herzen oder der Mitte Europas einmal so – ständig neues Material ansaugt, wächst der Druck auch auf die äußeren Teile des gemeinsamen Schengenraums. So ergeben sich auch Reibungsverluste an den engen Zugängen. Dass der Regierungschef eines Landes, das derart unter Druck von zwei Seiten gerät, mit den Mitgliedern im Zentrum streng ins Gericht geht, ist zu erwarten.
Orbán: Werden Migrationsdiskussion vertiefen und ausweiten
Orbán nutzte an dieser Stelle seiner Rede ein antikes Bild aus der römischen Geschichte: Mit der hemmungslosen Gewalt gegeneinander wie gegen die Grenzbeamten hätten die Migranten „den Rubikon überschritten“. Damit evoziert Orbán den feindlichen Akt Caesars gegen die Republik, als er mit seiner Armee einen eindeutig als Grenze bezeichneten italischen Fluss überschritt, wobei er den Ausdruck „Die Würfel sind gefallen“ (iacta alea est) prägte, oder auch: Man werfe den Würfel (griechisch ἀνερρίφθω κύβος). Die Folgen einer solchen Handlung sind in gewisser Weise unberechenbar.
Der Ungar nimmt den aus seiner Sicht fatalen Akt zum Anlass, um sich von neuem mit den „Brüsseler Bürokraten“ über die notwendigen Maßnahmen zu einem wirklichen EU-Außengrenzschutz zu unterhalten. Diese Unterhaltung, so sagt er schon einleitend, werde sich im Herbst „vertiefen und wahrscheinlich ausweiten“.
Für Orbán hat auch der im Juni durchgeboxte EU-Migrationspakt, den Ungarn und Polen in einem wichtigen Punkt ablehnten, bereits heute versagt. Man darf freilich fragen, ob der Pakt schon wirken konnte. Doch das bedeutet nicht, dass nicht weitere Maßnahmen nötig sein können, um einer veränderten Lage an den Außengrenzen rasch zu antworten. Orbán kritisiert vor allem, dass Polen und Ungarn mit dem Pakt zur Aufnahme von illegalen Migranten gezwungen werden sollen. Für ihn bleibt aber klar, dass man sich ihrer erwehren muss: Zum einen gäben die Migranten auf der Mittelmeerinsel Lampedusa nun den Einruck einer „wahrhaften Invasionsarmee“. Zum anderen mussten und konnten ungarische Grenzjäger bisher 128.000 teils gewaltsame Versuche der illegalen Einreise verhindern. In Ungarn werde es keine „Migrantenghettos“ geben.
Die Gewalt der Migranten und die Korruptheit der deutschen Politik
Auf Videomaterial, das Orbán direkt vor seinem Redeausschnitt auf der Plattform X teilte, sieht man, wie die Migranten teils mit Stangen bewaffnet angreifen, teils Flüssigkeiten oder andere Stoffe auf die Grenzbeamten schütten. Wie sie versuchen, mit Leitern Stacheldraht-Schutzwälle zu überwinden, und es sogar schaffen, Kraftfahrzeuge der Grenzer jenseits des Zauns gezielt zu beschädigen. Natürlich fliegen auch Steine, und Bolzenschneider kommen zum Einsatz. Der Nato-Draht wird auch gegen die Grenzer gewandt, indem damit Überwachungsgassen gesperrt werden – anscheinend durch illegale Migranten oder ihre Helfer.
Diese Bilder sind nichts Neues für den, der sich mit dem Schutz der polnisch-weißrussischen oder der griechisch-türkischen Grenzen befasst hat. Sie sind mit Sicherheit eine alltägliche Realität auch für die ungarischen Grenzjäger, über die bisher nur nicht in diesem Maße berichtet wurde. Es gehört zur Wahrheit dazu, dass es ohne ungarische Probleme beim Grenzschutz keine funktionierende Balkanroute gäbe. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wenn man den Ungarn wirklich bei ihrem EU-Außengrenzschutz helfen würde, sie auch durch entsprechende EU-Regelungen unterstützen würde, könnte ein Großteil jener illegalen Migration, die derzeit die deutschen Grenzen zu Polen, Tschechien und Österreich betrifft, versiegen.
Aber das wäre wohl ein Zustand, den in der deutschen Polit-Klasse schlicht kaum einer herbeiführen will. Er würde ja nur die eigenen Asylindustrie-Kreise stören. Das Agieren der deutschen Politik in der aktuellen Migrationskrise ist über weite Strecken eines von tiefster Korruptheit und Selbstkorruption. Daran ändern auch die mit Sicherheit wirkungslosen, effektfrei sein sollenden „intensivierten“ Kontrollen an der Grenze zu Polen oder Tschechien nichts.