Tichys Einblick
Neuer Türkei-Deal nötig?

Griechischer Migrationsminister: Deutscher Ampel-Streit bremst EU

Ein neues EU-Abkommen mit der Türkei kündigt sich an. Diesmal wollen die Griechen federführend daran mitwirken, um wieder in das Land rücküberstellen zu können. Doch die Türkei wird Gegengaben fordern. Die deutsche Ampel, beklagt der griechische Migrationsminister, fördere nicht das Vorankommen in der EU.

IMAGO / ANE Edition

Es gibt wieder Gespräche zwischen Griechenland und der Türkei, das ist die eine Nachricht. Und die illegale Migration soll eine zentrale Rolle in diesen Gesprächen spielen, das wäre die andere. Die illegale Migration wird so wiederum zur Verhandlungsmasse zwischen der EU und dem großen Nachbarn. Die griechische Führung will im Grunde dasselbe heraus verhandeln wie Angela Merkel im Jahr 2016, auch wenn nicht alle damals gegebenen Versprechungen von Ankara gehalten wurden. Die Ampel, verrät Migrationsminister Dimitris Kairidis, ist nicht hilfreich, wo es um eine einheitliche EU-Asylpolitik geht.

Die Türkei ist Hauptproduzent jenes Bootstyps, der auch als „Ägäis-Modell“ bezeichnet wird. Es handelt sich um ein Schlauchboot mit Holzboden und wahlweise chinesischem Außenbordmotor. Wie Asyl- und Migrationsminister Kairidis (ausgesprochen Keridis) sagte, habe die Türkei gleichsam „das Patent“ für diesen Bootstyp und exportiere ihn bis hin zum Ärmelkanal. Das ist bekannt, ebenso, dass Schlepperringe mit Nebensitzen in Deutschland und Frankreich daran mitwirken müssen (TE berichtete).

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Minister Kairidis und Premier Kyriakos Mitsotakis haben insofern etwas zu verhandeln mit der türkischen Führung, nachdem Recep Tayyip Erdogan den griechischen Premier doch wieder für gesprächswürdig befand. Er hatte sich vor einiger Zeit überdeutlich von Mitsotakis distanziert und weitere Gespräche mit ihm ausgeschlossen. Das scheint nun wieder vorüber, auch weil der türkische Staatspräsident in anhaltenden Finanznöten ist. Die Türkei will – ähnlich wie Tunesien – angesichts magerer Wirtschafts- und Finanzdaten eine Intervention der Welthandelsorganisation vermeiden.

Auch so erklären sich die neuen Verhandlungen mit dem griechischen Nachbarn, nachdem man seit Ausrufung der „Pandemie“ alle Rücknahmen von Migranten, wie im EU-Türkei-Memorandum von 2016 vereinbart, ausgesetzt hatte. Nun könnte dieses Instrument wieder kommen und die Zahlen in griechischen Lagern etwas senken. Daneben soll Erdogan, wie schon lange, auf die Verminderung der primären Migrationsströme verpflichtet werden – natürlich mit Geldvorteilen für die Türkei, aber auch mit freien EU-Touristenvisa für türkische Bürger.

Was in der Ägäis passiert, bleibt nicht in der Ägäis

Allein auf der Insel Samos, deren Aufnahmelager zuvor nahezu leer war, sind in diesem Sommer 2.000 neue Migranten angekommen sein. Auf Lesbos, das – so Kairidis – aus „verschiedenen Gründen“ seit langem das Zentrum der illegalen Einschleusungen in der Ägäis ist, dürften es noch mehr sein. Insgesamt sind heute schon wieder 8.000 Migranten auf den Ägäis-Inseln geparkt. Weitere 17.000 wurden übers ganze Land verteilt, worüber sich kaum jemand in dem Zehn-Millionen-Volk freuen dürfte. Weitere Zehntausende sind ohne Frage – und ohne zu fragen – weiter Richtung Deutschland gezogen, dem Hauptziel der Ägäis- und Balkan-Migranten, die immer noch beschönigend „Flüchtlinge“ genannt werden.

Die Türkei hat, so Kairidis, mehr zu gewinnen als das EU-Geld. Auch ihr eigenes Migrantenproblem rufe nach einer Lösung: Vier Millionen „Syrer“ leben in der Türkei. In Urfa habe es kürzlich eine Schießerei unter solchen „Flüchtlingen“ gegeben. Aus diesem Grund wünscht sich Erdogan, dass eine halbe Million Syrer die Stadt am Bosporus verlässt, möglichst noch vor kommendem März, wenn in Istanbul und Ankara Kommunalwahlen stattfinden, in denen die AKP auf eine Macht-Renaissance hofft.

Was in der Ägäis passiert, bleibt nicht in der Ägäis. Es wirkt sich auch ständig anderswo aus, sei es in Berlin, Frankfurt oder Stockholm, so der 1969 im nordgriechischen Kavala geborene Minister. Das ist dasselbe wie in Lampedusa und den Meeresteilen, die die Insel umgeben. Kairidis war vor seiner Ministerberufung Professor für internationale Beziehungen in Athen und dabei nicht immer für einen nationalen Standpunkt bekannt.

Sagen wir es elegant: Die Ampel ist nicht immer einig

Durch eine „Reihe von politischen Gründen“ gebe es derzeit aber keine Abstimmung in der EU zur Migrationspolitik. „Wir haben eine Drei-Parteien-Regierung in Berlin, die – sagen wir es elegant – nicht immer einer Ansicht bei diesem Thema ist, vor allem die Liberalen und die Grünen. Und deshalb haben wir Unvollkommenheiten bei der Abstimmung.“ Schon die Nennung der hessischen Metropole Frankfurt lässt dabei auch an Kairidis’ Amtskollegin Nancy Faeser denken, die nicht weniger als die Grünen dafür sorgt, dass vernünftige Lösungen bei Fragen des Asyls und der Migration nicht vorankommen.

Faeser bleibt unglaubwürdig
Kurz vor der Wahl will Faeser „zusätzliche Kontrollen“ an den Grenzen im Osten
Gerade hat nun der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai die Grünen zum „Sicherheitsrisiko für das Land“ erklärt. Das dürfte das Ampel-Klima nicht verbessern. Periphere Figuren wie Katarina Barley, frisch gekürte SPD-Spitzenkandidatin für die kommenden EU-Wahlen, finden das nicht gut. „Krass formulieren“ sei ja schön und gut, aber hier wäre Djir-Sarai übers Ziel hinausgeschossen. Barley will „über die großen und emotionalen Fragen in einem demokratischen Konsens sprechen“. Dabei stört es sie, dass die Union „rechtsaußen zündelt“.

Eigentlich ist ja Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) das Sicherheitsrisiko für Deutschland. Kein anderes Mitglied der aktuellen Regierung hat die Sicherheit der Bundesbürger in den letzten Jahren so massiv beeinträchtigt und ihre Freiheiten so sehr in Zweifel gezogen. Denn wachsende Unsicherheit auf den Straßen bedeutet langfristig Freiheitsverlust. Doch vielleicht ist Faeser nur das ausführende Organ der Grünen an der Macht.

Leistungsnehmer EU muss immer von neuem Gegengaben anbieten

Richtig ist, dass, soweit es um Syrer, Iraker und Afghanen geht, die Anreisewege der illegalen Migranten nach Deutschland zumeist über die Balkanroute verlaufen dürften, das bedeutet, dass es von der Türkei aus über Griechenland oder Bulgarien weiter Richtung Nordwesten ins „Land der unendlichen Sozialleistungen“ geht. Die Frage ist nun, wo die „Lecks“ sitzen. Der Zaun am Evros ist noch nicht fertiggestellt und der Grenzschutz dort insofern noch mängelbehaftet. Außerdem müssen die Behörden noch ab und zu „gestrandete“ Migranten retten, ob von Evros-Inseln oder aus der Ägäis.

Dass die Ägäis-Hotspots sich langsam aber sicher wieder füllen, ist ebenso kein gutes Zeichen. Erdogan könnte diesen Grenzübergang leicht befeuern, so wie es offenbar Kais Saied in Tunesien zugelassen hat. Daneben hat auch Bulgarien zuletzt mehr Probleme mit der illegalen Migration eingestehen müssen, die zum Teil auch über die Rhodopen wiederum nach Griechenland führt. Ohne Unterstützung durch eine physische Barriere wird keines der beiden Länder sicherstellen können, dass die illegalen Migranten nicht klammheimlich in den Schengenraum schlüpfen.

Insofern hätte auch Deutschland, das am stärksten von der Balkanroute betroffen ist, ein Interesse an einem neuen Abkommen, welches die Türkei nochmals auf die früher vereinbarten Maßnahmen festlegt. Der Schwachpunkt an solchen „Vereinbarungen“ ist immer, dass man sich dem „Verhandlungspartner“ ausliefert. Der Leistungsnehmer EU muss immer von neuem Gegengaben anbieten. Dieselben gleichen letztlich Tributzahlungen, mit denen sich die Schengen-EU unliebsame Zuwanderer vom Hals halten will – und all das entfaltet nicht mit letzter Sicherheit eine Wirkung. Insofern ist der griechische Migrationsminister Kairidis wohl vor Holzwegen zu warnen. Eher müsste er auf einen konsequenten Ausbau der Infrastruktur an der Grenze setzen, was ihm ganz ohne Abkommen mehr Sicherheit verspräche.

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