Tichys Einblick
„Elefant im Raum“, der nie thematisiert wird

Hart aber Fair: Von hinten durch die Ossi-Brust ins AfD-Auge

Eigentlich soll es um Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland gehen, um den alten Zwist zwischen „Besser-Wessis“ und „Moser-Ossis". Doch schnell wird klar: Das tatsächliche Thema an diesem Abend lautet: Wie zum Teufel können wir die AfD verteufeln? Von Michael Plog

Screenprint: ARD/hart aber fair

Schon die Reportage „Hört uns zu!“, die der Sendung vorausgeht und ihr den Rahmen geben soll, tut sich erkennbar schwer mit dem selbstgesteckten Fähnlein. Bereits nach wenigen Minuten ist es einfach zu offensichtlich: Die alte West-Ost-Chose dient nur als Feigenblatt. Das abgehangene Narrativ wird nur deshalb wieder aufgewärmt, weil die AfD im Osten plötzlich immer neue Höchstwerte erreicht. In Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen ist sie jüngsten Umfragen zufolge bisweilen bereits stärkste Kraft. Die Reportage wie auch die Talksendung leiden darunter, dass die Warnung vor der bösen AfD offenbar nicht mehr funktionieren will. Sie leiden wirklich. Und der Zuschauer mit ihnen. Der Titel müsste also folgerichtig lauten: „Hört uns (der ARD) zu: die AfD ist bäh!“

Carsten Linnemann
Mit der Ampel gegen die AfD
Als AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla anmerkt, dass die Ampelparteien in den jüngsten Umfragen nurmehr einstellig sind und die Grünen möglicherweise aus einigen Parlamenten komplett herausfliegen könnten, ist die Aufregung groß im Studio. In solchen Momenten fährt ihm Moderator Louis Klamroth in seiner unnachahmlichen Art sofort über den Mund, drückt auf irgendeinen Einspieler oder fragt schnell irgendwen nach irgendwas, wo eine dicke Tüte Heißluft als Antwort genügt. Die Grüne Katrin Göring-Eckardt ist dafür eine sichere Bank.

Und es dauert sage und schreibe bis 21:57 Uhr, da ist die Sendung schon fast vorbei, als der Thüringer CDU-Mann Mario Voigt erstmals eines der größten Probleme Deutschlands anspricht, das die Wähler offenbar in Scharen zur AfD treibt. Voigt spricht vom „Elefant im Raum“, der nie thematisiert werde. „Wir haben einen Kontrollverlust, was das Thema Migration angeht. Und wenn wir das nicht lösen …“ Voigt kommt nicht weiter. Klamroth würgt ihn sofort ab.

Chrupalla, der in der Sendung selten aber prägnant zu Wort kommt, zieht Parallelen zwischen der DDR und der heutigen Situation in der Bundesrepublik: Meinungsfreiheit und Gängelung, das seien „Dinge, wo viele Bürger im Osten Deja-Vus erleben. Das kommt eben gerade wieder zurück, gerade in der aktuellen Politik.“

Vor den Landtagswahlen im Oktober
Grüne & Co. im Clinch mit der Realität: Abschieben: ja bitte, Grenzschutz: nein danke
Klamroth unterbricht ihn, will dann aber doch wissen, was der Mann aus Görlitz damit eigentlich gemeint hat. Chrupalla nennt als Beispiel, „wie aktuell mit unserer Partei umgegangen wird, wie wir ausgegrenzt, diskreditiert werden.“ Klamroth stöhnt ein gelangweiltes „Ach so …“ in den Raum, doch Chrupalla setzt noch einen drauf: „Am Freitag wurde mir von der Postbank mein Konto gekündigt, weil ich AfD-Mitglied bin.“ Klamroth holt Luft, Gelächter im Publikum. „Ja, da kann man lachen“, sagt Chrupalla entnervt. „Ich hab nicht gelacht, ich hab’s mir angehört. Ich war erstaunt“, erwidert Klamroth. Offenbar nicht erstaunt genug, um das Thema weiter zu vertiefen. Es verpufft. In der Runde betretenes Schweigen. Göring-Eckardt nutzt die Gunst der Stunde für eine weitere Tüte – nicht Cannabis, sondern heiße Luft.

Doch die Grünen-Politikerin hat auch konkrete Ideen. Dass es etwa noch immer eklatante Unterschiede beim Lohnniveau und den Vermögen gibt zwischen Ost und West, ist sogar ihr klar. Zur Rettung hat sie eine altbekannte sozialistische Formel am Start: „Die Angleichung muss weitergehen“, pumpt sie hervor. Meint damit aber nicht etwa, dass der Standard im Osten auf das Niveau im Westen angehoben werden müsse. Nein, was sie meint, geht exakt in die andere Richtung. Alle sollen weniger haben. Am besten alle gleich wenig. „Da braucht es eine Umverteilung. Ich bin sehr dafür, dass wir große Vermögen in Deutschland stärker besteuern.“

Apropos große Vermögen: Die jüngsten Milliarden-Subventionen der Bundesregierung, damit sich Chiphersteller im Osten ansiedeln, bezeichnet Chrupalla als „Wolkenkuckucksheim“. Jeder einzelne Arbeitsplatz würde mit 1,5 Millionen Euro subventioniert. Und noch bevor man sich fragt, wann Klamroth ihn wohl dieses Mal abwürgen wird, hat der es schon getan. Die Marotte des Moderators ist schon bei Gästen lästig, denen er wohlgesonnen ist, bei einem Fremdelgast wie Chrupalla wirkt seine Torpedo-Unterbrechungen geradezu reflexhaft. Klamroth startet flugs einen Einspieler und fragt danach Hähnig, danach Voigt, danach Müller. Nur Chrupalla hat stumm zu bleiben.

Die große Heuchelei von Politik und Medien
Gute AfD-Stimmen, böse AfD-Stimmen
Die Redakteurin der Zeit, Anne Hähnig, bringt es fertig, mal eben den gesamten Osten, die Landbevölkerung im Allgemeinen und en passant auch alle AfD-Sympathisanten auf einen Schlag in einen Topf zu werfen und alle zusammen zu diffamieren. Sie sagt allen Ernstes, die Versprechen der AfD seien attraktiver „in Regionen in denen die Zufriedenheit ohnehin etwas geringer ist, in denen der Wohlstand etwas geringer ist und vielleicht auch in Regionen, die kulturell mit einem Kosmopolitischen nicht so viel anfangen {können} wie andere Regionen.“

Lähmend lang geht es in der Sendung darum, ob es überhaupt in Ordnung ist, als Partei zusammen mit der AfD für oder gegen etwas zu stimmen. Immer wieder geht Klamroth mit dem Nudelholz über das Thema, bis es so dünn da liegt wie japanisches Reispapier. Kein Nährwert, aber man kann ja mal versuchen, etwas darin einzuwickeln. Den Zuschauer vielleicht.

Chrupalla gehen die Schwerpunkte der Sendung erkennbar gegen den Strich. „Da muss ich wirklich an Kindergarten denken“, sagt er. „Wir haben ganz andere Probleme.“ Und der Zuschauer fragt sich, was eigentlich wäre, wenn die AfD plötzlich für das Heizungsgesetz stimmte, für irre CO2-Abgaben oder für eine Impfpflicht? Dann müssten, jedenfalls nach Klamroths ÖRR-Maß, ja alle diese Themen urplötzlich verteufelt und vom Tisch sein. Chrupalla nennt diese pseudomoralische Überhöhung „wirklich abenteuerlich und lächerlich“.

Einmal jedoch bringt Chrupalla sogar die AfD-Expertin Ann-Katrin Müller vom Spiegel zur Weißglut. Mit dem Satz „Sie werden Ergebnisse erleben in Ostdeutschland, wo sich die Frage für uns vielleicht gar nicht mehr stellt, ob wir einen Koalitionspartner brauchen. Das ist unser Ansporn.“

Aufruhr im Publikum, blankes Entsetzen in den Gesichtern des Moderators und von Frau Müller. Und allein für diesen Moment hat sich die Sendung dann doch irgendwie gelohnt.

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