Tichys Einblick
Teil 2 von 2 zur demographischen Krise

Was, wenn nicht Überbevölkerung, sondern Überfluss zum Kollaps führt?

50 Jahre nach dem „Universe 25"-Experiment zeichnen sich erschreckende Parallelen zur menschlichen Gesellschaft ab. Statt Überbevölkerung droht Bevölkerungskollaps weltweit. Das bedürfnisbefriedigte Leben in Wohlstand droht die größte Menschheitsherausforderung zu werden.

IMAGO / Robert Poorten

Im ersten Teil dieses Artikels wurde das epochale Experiment von John Calhoun,„Universum 25”, vorgestellt. Konzipiert als Überbevölkerungsstudie, führte das Experiment zu einem erschreckenden Ergebnis: Eine rapide wachsende Population von Mäusen zeigte ab einem bestimmten Zeitpunkt Anzeichen sozialen Zerfalls und hörte auf, sich fortzupflanzen. Das Experiment endete mit dem unausweichlichen Tod der gesamten Kolonie. Parallelen zur menschlichen Gesellschaft waren ebenso schnell gelegt wie umstritten. In Teil zwei sollen empirische Entwicklungen innerhalb der menschlichen Gesellschaften in den letzten 50 Jahren seit Veröffentlichung der Studie beleuchtet und daraus resultierende Herausforderungen abgeleitet werden.

Wer sich mit dem sexuellen Marktplatz der Gegenwart in Wohlstandsgesellschaften beschäftigt, wird auffallende und unerwartete Übereinstimmungen zu dem Experiment finden. Die Auflösung klassischer Familienstrukturen, aber auch der dazugehörigen Balzrituale, führte zu einer Welt von Datingapps, die den alten Leitspruch vom „Topf und seinem passenden Deckel“ schon längst ad absurdum geführt haben. Nicht nur, dass Männer auf Datingapps disproportional überrepräsentiert sind, Frauen sind statistisch gesehen auch weitaus wählerischer und bewerten Studien zufolge 80 Prozent der Männer auf diesen Apps als unattraktiv.

Dieses Phänomen führt schon längst zu vollkommen unrealistischen Vorstellungen bei Singlefrauen im paarungsfähigen Alter, die ungeachtet ihres eigenen Status und ihrer Attraktivität von Männern häufig nicht nur körperliche Größe und Fitness, sondern dazu auch noch ein Jahreseinkommen im 6-stelligen Bereich, gepaart mit der Bereitschaft dieses für die Erfüllung der Wünsche der Frau auszugeben, erwarten.

Das Resultat ist, dass mit der Zerstörung klassischer Paarbeziehungen die Wiederkehr archaischer Modelle einherging. Während klassische „Alpha“-Männchen im Überfluss des sich ihnen bietenden sexuellen Marktplatzes ihrer Promiskuität freien Lauf lassen können, fallen immer mehr junge Männer komplett aus dem Beziehungsleben heraus. Die vielzitierten „Incels“, also „unfreiwillig zölibatär“ lebenden Männer, machen laut einer neuesten Studie bereits 10 Prozent aller Männer zwischen 18 und 30 Jahren aus.

Zwar sind die Definitionen, was einen „Incel“ ausmacht, nicht in Stein gemeißelt, doch bezeichnet diese Gruppe eben nicht nur jene Männer, die tatsächlich keine Partnerin finden können, sondern darüber hinaus auch jede Hoffnung darauf aufgegeben haben. Damit entsprechen sie evolutionär durchaus den „Zurückgezogenen“ des Calhoun-Experiments, denn auch die Incels sind „unfreiwillig“ in dieser Lage und tragen – wie viele Kritiker immer wieder betonen – viel Frust und einhergehendes Aggressionspotential in sich.

Die Entfremdung der Geschlechter

Sie sind aber nicht die letzte Parallele zu „Universe 25“. Denn auch zu den „Schönen“ gibt es bemerkenswerte Gegenstücke in der menschlichen Welt. Ob nun bestimmte Strömungen der sogenannten MGTOW („men going their own way“ – „Männer, die ihren eigenen Weg gehen“) Bewegung, die sich nicht an Frauen binden wollen, oder die japanischen Hikikomori, jene jungen Männer, die sich von der Teilnahme an der menschlichen Gesellschaft im Allgemeinen und der Reproduktion im Speziellen verabschiedet haben – sie sind nur einige Beispiele eines Phänomens, das zwar gewisse Ähnlichkeiten zum Mönchstum aufweist, das sich aber mehr aus pragmatischer Ablehnung der Spielregeln des sozialen und sexuellen Marktplatzes denn aus einem metaphysisch begründeten Rückzug aus der Welt speist.

Calhouns Beobachtung der Veränderung des Sozialverhaltens von Weibchen hat auch Entsprechungen in der menschlichen Welt. Die Vernachlässigung des Nachwuchses ist – so sehr man das auch über staatliche Erziehungseinrichtungen zu kaschieren sucht – ein unvermeidlicher Nebeneffekt der Emanzipation der Frau und ihrer Eingliederung in die vormals männliche Berufswelt. Mit der Übernahme männlicher Tugenden, die in einer vaterlosen Gesellschaft zur notwendigen Überlebensstrategie von Frauen werden, wurden Mütter in ihrer ursprünglichen Rolle als Fürsorgerin der Kinder immer mehr kompromittiert, was auch zu einer Zunahme weiblicher Aggression – sowohl in der kulturellen Darstellung, als auch in der gesellschaftlichen Realität – geführt hat. Die kulturelle Verwahrlosung der Gegenwart führt immer häufiger auch zu Berichten über zum Beispiel alleinerziehende Mütter, die die Versorgung ihres Nachwuchses hinter ihre eigene sexuelle Bedürfnisbefriedigung sträflich zurückstellen.

Das Bedürfnis nach Schutz des Nachwuchses führt in Abwesenheit von Männern, die diese Rolle traditionell übernehmen würden, aber auch zu einem anderen Phänomen. Alleinerziehende Mütter in den USA schließen sich mittlerweile in Kommunen – sogenannten „Mommunes“ – zusammen, um in Ermangelung der klassischen Familie die Kindererziehung kommunal zu verteilen.

Demgegenüber steht ein anderer Trend in Korea, in dem nun auch Frauen in einer weiblichen Variation der MGTOW Bewegung ebenfalls der Familiengründung abgeschworen haben. Die sogenannte „4B“ Bewegung Koreas steht für die Ablehnung der vier Grundprinzipien zwischengeschlechtlicher Beziehungen: keine Dates, kein Sex, keine Ehe, keine Kinder. Als Erklärung gilt dabei die radikalfeministische Ablehnung koreanischen Machismo, doch die 4B Bewegung ist nur die Spitze des Eisbergs einer koreanischen Nation, die sich scheinbar zum Sterben gelegt hat. Statistiken zufolge ist jede dritte Ehe in Südkorea sexlos, das Land führt darüber hinaus die unrühmliche Statistik der Länder mit der niedrigsten Reproduktionsrate der Welt an. Während eine Reproduktionsrate von 2.1 Kindern pro Frau zum demographischen Erhalt der Bevölkerung von Nöten ist, liegt Korea bei einer Rate von mittlerweile nur noch 0.78.

Bevölkerungskollaps statt Bevölkerungsexplosion

Damit liegt Südkorea zwar als einzige Nation deutlich unter dem Wert von 1, doch die Werte der nachfolgenden Nationen geben ebenfalls wenig Anlass für Optimismus. Chinas Reproduktionsrate lag 2021 bei 1.16, die von Japan bei 1.3. Die 1.16 Kinder in der Ukraine im Jahr 2021 ließen sich noch nicht durch den Krieg erklären und die Reproduktionsraten in ehemaligen katholischen Hochburgen wie Spanien (1.19), Italien (1.25) und Polen (1.33) sind ebenfalls kein Indiz für eine Trendumkehr. Mit einem Wert von 1.58 lag Deutschland 2021 zwar noch immer im demographischen Minus, immerhin jedoch im europäischen Mittelfeld. Die Anzeichen deuten allerdings auch hier auf einen zwischenzeitlichen „Pandemie-Boom“ hin, die Geburtenrate 2022 fiel in Deutschland wieder auf einen Wert von 1.46.

Zwar wäre es verlockend, diesen, im europäischen Vergleich herzeigbaren, Wert durch die Anzahl von über 20 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland zu erklären, denn Teil der Migrationspropaganda (sowie deren Kritik) führt ja die deutlich höheren Geburtenraten in vielen der Herkunftsländer als Teil der Chance, sowie der moralischen Verpflichtung, als Rechtfertigung für die Migration an. Während noch 1991 die Geburtenrate ausländischer Frauen in Deutschland mit einem Wert von 2.04 deutlich über jener deutscher Frauen mit 1.26 lag, so haben sich diese Werte mittlerweile nahezu angeglichen. Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit, denn der Mikrozensus 2019 ergab, dass jedes dritte Neugeborene mindestens ein Elternteil mit ausländischen Wurzeln hat, davon aber ein Großteil mit deutschem Pass geboren wurde. Bei einem gesamtgesellschaftlichen Ausländeranteil von 24,3 Prozent, also rund einem Viertel, lässt sich somit auf Umwegen auch aus einer Statistik, die diese Unterschiede womöglich nicht thematisieren möchte, dennoch eine nach wie vor leicht höhere Reproduktionsrate bei Migranten ablesen.

Trotzdem muss festgestellt werden, dass auch diese bei weitem nicht mehr so hoch ist, wie es landläufig vermutet werden sollte. Es scheint, dass der Zuzug in Wohlstandsgesellschaften innerhalb weniger Generationen zu einer Angleichung der Reproduktionsrate an den niedrigen Wert der autochthonen Bevölkerung führt. Dieser Trend bestätigt sich auch bei einem Blick auf internationale Vergleichswerte. Denn nicht nur, dass Irland und Frankreich als reproduktionsfreudigste EU-Nationen mit einer Geburtenrate von 1.8 noch immer deutlich an der Reproduktionsrate von 2.1 vorbeischrammen, mit Georgien erreicht exakt diese Rate ein einziges auf dem europäischen Kontinent befindliches Land! Selbst Länder wie die Türkei (1.9), der Iran (1.7), Mexiko (1.8) und Indien (2.0) befinden sich auf dem demographisch absteigenden Ast und sogar Nordkorea (1.8) übertrifft zwar noch sein liberales Brudervolk, ist aber demographisch ebenfalls im Niedergang befindlich.

Der Todestrieb der Wohlstandsgesellschaften

Einzig und allein in den ärmsten Weltgegenden liegt die Reproduktionsrate deutlich über 2.1, allen voran einige jener zentralafrikanischen Länder, die in den letzten Jahren von Putschs und anderen Umstürzen heimgesucht wurden. Der Niger führt die Statistik mit einer Geburtenrate von durchschnittlich 6.7 Kindern pro Frau (sic!) an, dicht gefolgt von Tschad, Kongo und Somalia mit 6.1.

Die Gefahr der Bevölkerungsexplosion, die Wohlstand und Überleben der Menschheit bedroht, ist eine Mär, die schon längst von der Realität eingeholt wurde. Im Gegenteil, der Bevölkerungskollaps droht nicht nur, er ist in vollem Gang und wird statistisch lediglich durch jene Länder kaschiert, die zwar mittlerweile über die medizinische Versorgung verfügen um die Kindersterblichkeit in den Griff zu bekommen, nicht aber über den Wohlstand um das Interesse an der Fortpflanzung verloren zu haben.

Zu diesen erschreckenden Zahlen gesellen sich dann noch eine Vielzahl weiterer Faktoren, die eigentlich eine Panik auslösen müssten, aber gesellschaftlich relativ gleichgültig hingenommen werden. Da wäre zum Beispiel der dramatische und bislang nicht endgültig geklärte Rückgang der Spermienzahlen um 50 Prozent in den letzten 45 Jahren. Jahr für Jahr sinkt die Spermienzahl um weitere 2.5 Prozent und wer nicht weiß, woran das liegt, hat auch keine Basis dafür, dass dieser Trend sich wieder aufhalten ließe. Die pornographische Pandemie im Internet hat ebenfalls weitreichende Auswirkungen auf die Zerstörung des Beziehungslebens von Menschen im paarungsfähigen Alter, doch scheint sich kein Land – zumindest im Westen – einer nachhaltigen Bekämpfung dieses Phänomens verschreiben zu wollen.

Der Hedonismus siegt über den Überlebenstrieb. Dieser Hedonismus scheint das unausweichliche Resultat einer Wohlstandsgesellschaft zu sein, die die Menschen ihrer Wirkmächtigkeit in der Realität beraubt und sie stattdessen in Bullshitjobs weggesperrt hat. Die dadurch gewonnene Kontrolle über das Leben bezahlt die Menschheit mit der Aufgabe ihres Überlebensinstinkts zugunsten eines Todestriebs. Sind nicht die neopaganen Häresien von „Extinction Rebellion” zu „Letzter Generation” allesamt Manifestationen dieses selbstzerstörerischen Triebs?

Ist Überbevölkerung oder Überfluss das Problem?

Calhouns Experiment diente dem Studium der Auswirkung von Überbevölkerung, beinhaltete allerdings eine zentrale Komponente, die womöglich mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Calhoun hatte den Mäusen ein Utopia geschaffen, in dem alle Bedürfnisse befriedigt wurden. Wasser und Nahrung lagen im Überfluss vor und vielleicht hätten an dieser Stelle einige unbequeme Fragen gestellt werden müssen. Denn wäre der Druck der Bevölkerungsdichte der einzige oder auch nur primäre Grund für einen Rückgang der Reproduktionsrate, dann würde das nicht erklären, warum ein Land wie Ruanda, dessen Bevölkerungsdichte jene von Südkorea sogar knapp übertrifft, eine Reproduktionsrate von 4.0 aufweisen kann. Oder warum vergleichsweise dünn besiedelte Nationen wie Russland, Kanada und Finnland dennoch nicht über eine Geburtenrate von 1.5 hinauskommen.

Vor allem zeigt sich aber gerade anhand der wirtschaftlichen Entwicklung vieler Schwellenländer in den letzten Jahrzehnten, dass die Reproduktionsrate proportional zur Wohlstandsbildung der Länder fällt. Diese Wohlstandsbildung, die in großen Teilen der Welt die Armut besiegt hat, soll hier keineswegs diffamiert werden, sie hat aber offensichtlich auch eine Schattenseite, auf die die Welt bislang keine Antwort gefunden hat. Womöglich ist dies sogar die größte Herausforderung, vor der die Menschheit momentan steht.

Denn alle vorhandenen Daten weisen darauf hin, dass mit der Wohlstandsbildung und der damit einhergehenden Befriedigung der meisten grundlegenden Bedürfnisse auch eine Form von Dekadenz und Antriebslosigkeit der Menschen einhergeht. Die grundlegendsten Instinkte der Menschen haben evolutionär womöglich noch nicht gelernt mit der Erfüllung dieser Bedürfnisse umzugehen, die Vorstellung, dass Menschen dann frei wären um zu ihrer wahren Berufung zu finden, ist so illusorisch, wie der Gedanke, dass ein Universitätsstudium für alle die Gesellschaft unendlich klüger machen würde.

Existenzielle Bedrohung als elementare Triebfeder

Andererseits bietet der Blick auf die Geburtenrate einen bemerkenswerten Ausreißer, der zeigt, dass Wohlstand, Demokratie und demographisches Wachstum sehr wohl vereinbar sind: Israel. Denn mit einer Geburtenrate von ca. 3 Kindern liegt Israel – nicht nur aufgrund der kinderreichen Familien orthodoxer Juden und israelischer Araber – weit vor allen anderen Ländern der westlichen Welt, ja selbst vor fast allen anderen Ländern außerhalb Afrikas. Die Israelis machen auch keinen Hehl daraus, dass der Konflikt mit den arabischen Nachbarn auch ein„Krieg der Gebärmütter” ist. Die existentielle Bedrohung Israels (wie auch immer man politisch zu diesem Konflikt stehen mag) scheint somit eine der Wurzeln der Fortpflanzungsbereitschaft seines Volkes zu sein.

Calhouns Experiment, dessen Verlauf beängstigende Parallelen zu den gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte aufweist, droht mit einem fatalen Ende für die Menschheit. Es scheint keineswegs gesichert, dass die zum Überleben notwendigen Instinkte von selbst wieder einsetzen werden. Dabei wäre es außerordentlich interessant gewesen zu wissen, was passiert wäre, wenn Calhoun der im Niedergang befindlichen – und nur noch mit Fressen und Trinken beschäftigten – Mauspopulation den Ernährungsvorrat abgedreht hätte. Wäre damit nicht nur der Hunger aufs Essen, sondern auch jener aufs Überleben zurückgekehrt? Bei einer späteren Versuchsreihe hatte Calhoun nochmal geringfügige Erfolge damit gehabt, dass er die Mäuse mit kreativen Aufgaben gelockt hatte, doch gänzlich konnte das Problem damit nicht gelöst werden.

Wer metapolitische Debatten verfolgt, kann nicht umhin in solchen Überlegungen auch die Parallelen zu volkserzieherischen „Agenden“ und „Great Resets“ zu erkennen. Unbestritten dürften unsere Politeliten mit ganz ähnlichen Ideen und Konzepten schwanger gehen. Nur weil man diese Agenden ablehnt, sollte man allerdings das Thema nicht tabuisieren. Im Gegenteil, es gilt sich der Frage zu stellen und einen gangbaren Gegenentwurf zu entwickeln. Denn die Frage, wie ein Leben, das nicht in Antriebslosigkeit, Dekadenz und Morbidität endet, mit Wohlstand vereinbar ist, könnte sich womöglich als größte Herausforderung der Menschheitsgeschichte entpuppen.

Lesen Sie hier Teil 2 >>>

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