Tichys Einblick
Italienisch-Deutsche Rochade

Was die Ampel und die Meloni-Regierung miteinander tuscheln

Es geht um Millionen: Brüssel versucht die Übernahme der Ex-Alitalia durch die Lufthansa zu hintertreiben, obwohl der Deal eigentlich beschlossen ist. Italien hat daher Kontakte zur Bundesregierung aufgenommen. Löst das Tandem Rom-Berlin den deutsch-französischen Motor ab?

Bundeskanzler Olaf Scholz und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am 8. Juni 2023 in Rom.

IMAGO / Avalon.red

Es handelt sich um einen der größten Deals der jüngeren Luftfahrtgeschichte. Und eigentlich sollte er längst unter Dach und Fach sein: die Beteiligung der Lufthansa an ITA (Ex-Alitalia). In einem ersten Schritt will die Lufthansa 41 Prozent der Anteile zu einem Preis von 325 Millionen Euro übernehmen. 2025 könnte die Lufthansa auch noch weitere Anteile erwerben.

Italien hat großes Interesse am Fortkommen der Verhandlungen. Der italienische Staat will zwar einen Anteil an dem ehemaligen Prestigeunternehmen behalten. Dabei spielen nicht nur die kurzfristigen Erlöse eine Rolle. Die Alitalia hatte zuletzt das lukrative Geschäft mit Inlandsflügen verloren, weil die Passagiere auf die Schnellzüge umstiegen. Wer von Mailand mit dem Zug nach Rom oder Neapel fährt, ist heute in Rekordzeit da. Und ohne Umwege im Stadtzentrum.

Doch das Geschäft stockt. Denn die EU-Kommission muss den Anteilskäufen zustimmen. Seit Mai blockt Brüssel den Vorstoß. Zum Unmut der Regierung von Giorgia Meloni. Die Premierministerin machte beim G20-Treffen ihren Unmut deutlich. Über Jahre habe die EU-Kommission Italien gedrängt, für die Ex-Alitalia eine Lösung zu finden. Jetzt, da es eine gebe, sei es „merkwürdig, dass die EU-Kommission die Lösung des ITA-Problems blockiert“.

Verantwortlich für die Zustimmung ist der Wirtschaftskommissar – ein Italiener. Aber einer, der eine Vorgeschichte hat: Denn Paolo Gentiloni war selbst italienischer Premierminister. Für anderthalb Jahre. Und zudem für den linken Partito Democratico, dem direkten Gegner der Meloni-Regierung und bekannt für seine Affinität zur EU. Italiens Infrastrukturminister Matteo Salvini hat deswegen ironisch geäußert, man habe bei Gentiloni den Eindruck, dass „ein EU-Kommissar mit dem Trikot einer anderen Nationalmannschaft“ spielte.

So weit zum Sachverhalt, den auch einige deutsche Medien wiedergegeben haben. Doch die tieferliegenden Motive und Absichten bleiben dabei an der Oberfläche. Denn welche „Nationalmannschaft“ meint Salvini? Die Frage bleibt so gut wie unbeantwortet. Denn die EU als solche meint der Lega-Chef damit nicht. Vielmehr spielt er auf Frankreich an, das derzeit um seine Vormachtstellung in der EU fürchtet.

Die deutsche wirtschaftliche Schwäche ist auch den Italienern nicht verborgen geblieben. Die „Technische Rezession“ der größten Wirtschaftsmacht Europas ist Thema in den Medien. Das nimmt Deutschland andererseits auch etwas von der Bedrohlichkeit. Das sonst von der ständigen Angst der Nivellierung durch Frankreich und Deutschland bedrängte Italien kann Berlin plötzlich auf Augenhöhe begegnen. So geschehen beim G20-Gipfel in Neu-Delhi.

Dort besprachen sich Christian Lindner und dessen italienischer Amtskollege Giancarlo Giorgetti. Die liberal-konservative Tageszeitung Giornale, die gewöhnlich einen sehr guten Draht zu Meloni-Vertrauten hat, weiß zu berichten, dass der Deutsche und der Italiener Absprachen getroffen haben. Dabei sei es auch um den Lufthansa-ITA-Deal gegangen. Die Gespräche gingen aber darüber hinaus. Sie betrafen Schlüsselposten in der Europäischen Union.

So hat Giorgetti auf Lindner eingewirkt, dass Deutschland Italien dabei unterstützen solle, den Landsmann Daniele Franco zum Chef der Europäischen Investitionsbank (EIB) zu machen. Franco war Giorgettis Vorgänger im Finanzministerium unter Mario Draghi und zuvor Generaldirektor der Banca d’Italia. Er gilt jedoch als politisch unabhängig. Im Gegenzug soll Italien dabei helfen, dass die Vizepräsidentin der Deutschen Bank, Claudia Maria Buch, zur Chefin des Aufsichtsrats (SSM) der Europäischen Zentralbank (EZB) aufsteigt und den Italiener Andrea Enria ablöst. Spekulationen kursieren, dass Italien sich gegen Konzessionen auch bereit zeigt, den jetzigen Chef der Deutschen Bundesbank, Joachim Nagel, bei seiner zukünftigen Kandidatur zum EZB-Präsidenten zu unterstützen.

Das italienische Ministerium für Wirtschaft und Finanzen protokolliert, dass Giorgetti seinem deutschen Amtskollegen dabei einen Vorschlag gemacht hat, der für die Ampel und die „Zeitenwende“ von Vorteil wäre. Ausgaben der europäischen Haushalte, die aufgewandt werden, um das von der Nato vorgegebene 2-Prozent-Ziel im Verteidigungshaushalt zu erreichen, sollen nicht unter die Regeln des europäischen Stabilitätspaktes fallen. Auch in weiteren Fragen sollen der deutsche und der italienische Finanzminister übereingestimmt haben.

Sowohl bei der Besetzung der wichtigen Bankenposten in der EU als auch bei den Absprachen beim Stabilitätspakt und den Millionengeschäften bei der Anteilsübernahme der Ex-Alitalia zeichnet sich eine italienisch-deutsche Kooperation ab, die man der angeblichen Deutschlandhasserin Meloni so nicht zugetraut hätte. Es zeigt sich neuerlich die Flexibilität der nationalkonservativen Regierung, dieses Mal nicht Richtung Brüssel, sondern Richtung Berlin. Schon in der Vergangenheit haben Olaf Scholz und Meloni konstruktive Gespräche geführt. In anderen Fällen, wie etwa dem Tunesien-Abkommen, handelte Meloni dagegen fast im Alleingang zusammen mit Brüssel und Den Haag.

Das aktuelle Signal geht jedoch eindeutig nach Paris. Frankreich wird von Italien nach wie vor als Konkurrent betrachtet. Doch Emmanuel Macron ist innenpolitisch gefesselt: ob wegen der Sicherheitslage oder des unregierbaren Parlaments. In Paris dürften die Alarmglocken schellen: Denn wenn sich Deutschland und Italien absprechen, muss ein Dritter das Nachsehen haben.

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