Nach einer Erinnerung von Chaim Noll sagte Bärbel Bohley beim Essen nach einer Fernsehsendung im Frühjahr 1991, nachdem Noll darüber sprach, welche Folgen die „Regulierung von Sprache, Themen, Meinungen“ auf die Psyche hätten:
„Alle diese Untersuchungen, die gründliche Erforschung der Stasi-Strukturen, der Methoden, mit denen sie gearbeitet haben und immer noch arbeiten, all das wird in die falschen Hände geraten. Man wird diese Strukturen genauestens untersuchen – um sie dann zu übernehmen. Man wird sie ein wenig adaptieren, damit sie zu einer freien westlichen Gesellschaft passen. Man wird die Störer auch nicht unbedingt verhaften. Es gibt feinere Möglichkeiten, jemanden unschädlich zu machen. Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen – das wird wiederkommen, glaubt mir. Man wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver arbeiten, viel feiner als die Stasi. Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.“
Dreißig Jahre später werden nun von einem CDU-Ministerpräsidenten finanziert durch Steuergelder Meldeportale geschaffen, die Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze dokumentieren sollen. Auffällig ist, dass es sich um angebliche oder reale antimuslimische, antisemitische, rassistische oder trans- bzw. homophobe Äußerungen handelt, um sogenannte Vorfälle, die nicht strafbar sind, also von der Meinungsfreiheit gedeckt werden, zum Teil „Vorfälle“, die erst von woken Aktivisten zu Vorfällen gemacht werden. Denn beauftragt werden nämlich diejenigen und durch Steuern finanziert, die sich als Opfer sehen. Schon der römische Satiriker Juvenal fragte zu Recht: „Wer bewacht die Bewacher?“
Damit wird natürlich im Kern die Meinungsfreiheit ausgehebelt, weil sehr schnell eine Meinungsäußerung, ein Witz, eine Bemerkung zum „Vorfall“, also im Grunde zu einem Verdachtsfall erhoben und damit kriminalisiert wird.
Übrigens wäre ich auch strikt gegen die Dokumentation linksextremer Vorfälle, denn es gehört nicht zu einer aufgeklärten und demokratischen Gesellschaft, Denunziationsportale einzurichten und „Vorfälle“ zu sammeln, die unterhalb der Strafbarkeitsgrenze sind und dadurch erst zum Vorfall erhoben werden, weil sie vom Betreiber der Meldeportale erst als Vorfälle klassifiziert werden.
Unsere Gesellschaft besitzt Regeln und Gesetze, die auf einem bewährten System, einer bewährten Balance von Meinungsfreiheit und Strafwürdigkeit wie beispielsweise bei Beleidigung und Volksverhetzung beruhen. Diese Balance anzutasten, bedeutet, Freiheit und Demokratie anzutasten, führt über den Gesinnungs- oder Tugendterror in letzter Konsequenz in einen totalitären Staat. Wer wissen will, was das heißt, darf sich gern die Gedenkstätten Hohenschönhausen oder die Bautzener Straße in Dresden anschauen, darf sich gern über Gulags und Straflager informieren.
Die Projektleiterin der Berliner Register Kati Becker gibt sich im Interview mit der Berliner Zeitung natürlich als Opfer der böswilligen Verleumdung durch die Neue Zürcher Zeitung, posiert nur allzu naiv oder hält die Leser für naiv, wenn sie behauptet: „Eine Meldung bei uns hat für die Täter keinerlei Konsequenzen. Solche Vorwürfe sind Diffamierungen, die von Menschen kommen, die wir mit unserer Arbeit stören.“ Die erste Konsequenz ist doch schon, dass diejenigen, die Beckers Überzeugungen und Weltsicht nicht teilen, zu Tätern erklärt werden. Symptomatisch ist bereits, dass die Projektleiterin von „Tätern“ spricht. Welches Gericht auf welcher Grundlage hat diese „Täter“ denn verurteilt? Oder hat sie der Berliner-Register-Gerichtshof gerichtet, ein aktivistisches Femegericht Urteile verkündet?
Nicht gegen links, linksextrem, sondern gegen diejenigen, die Linke oder die Antifa als rechts empfinden. Tat das Ministerium für Staatssicherheit übrigens auch.
Das Ziel des Projekts besteht eindeutig darin, Politik zu beeinflussen, Gesetzgebung zu bestimmen, so dass auf der Grundlage der dubiosen Daten des Denunziationsportals Gesetze beschlossen werden, die nichts anderes zum Inhalt haben, als die Freiheit zu beschränken. Das Register produziert „Vorfälle“, auf deren Grundlage dann Gesetze erlassen werden, denn angesichts der Statistik muss dann ja wohl auch dem Letzten klar werden, wie hoch die Gefahr und wie notwendig eine harte Gesetzgebung ist.
Die Meldungen bewegen sich übrigens auf folgendem Niveau:
„Rassistische Beleidigung gegen Kinder in Neu-Hohenschönhausen
04.09.2023 BEZIRK: LICHTENBERG
Vor dem Lindencenter wurden am Vormittag zwei Frauen und acht Kinder, mit denen sie spazieren gingen, durch eine ältere Frau rassistisch beleidigt. Die Begleiterinnen der Kinder gingen nicht auf das Gesagte ein und zogen mit der Gruppe weiter.
Quelle: FBO Projekt“
„Rassistische Schmiererei an Bushaltestelle in Tiergarten
04.09.2023 BEZIRK: MITTE
An eine Bushaltestelle in Tiergarten wurde ein rassistischer Schriftzug geschmiert.
Quelle: Meldeformular des Berliner Registers“
Obdachlosenfeindliche Sachbeschädigung in Lichtenberg-Nord
03.09.2023 BEZIRK: LICHTENBERG
Erneut wurde eine Gedenkplakette an einen verstorbenen obdachlosen Menschen auf einer Sitzbank mit einer zähen grauen Farbe so beschmiert, dass sie nicht mehr gelesen werden kann.
NS-Verharmlosung auf verschwörungsideologischer Mahnwache in Mitte
02.09.2023 BEZIRK: MITTE
Am Alexanderplatz hielten Verschwörungsideolog*innen eine Mahnwache ab. Auf der Veranstaltung wurden Verschwörungsmythen über die Corona-Pandemie verbreitet und Pandemie-Eindämmungsmaßnahmen mit dem NS-Regime verglichen.
Quelle: Registerstelle Mitte“
„Verschwörungsmythen über die Corona-Pandemie“ gehören also auch zu den gemeldeten Vorfällen. Dass eine Regierung, die sich weigert, die Pandemie-Politik, die in Teilen jeder Rechtsstaatlichkeit entbehrte, aufzuarbeiten, Meldestellen finanziert, die Kritik an dieser Politik als Vorfälle kriminalisiert, passt da nur zu gut ins totalitäre Schema.
Welterschütternd geht es weiter:
Antiasiatischer Rassismus auf dem Maybachufermarkt
01.09.2023 BEZIRK: NEUKÖLLN
An einem Obststand auf dem Wochenmarkt am Maybachufer in Neukölln wurde eine asiatisch gelesene Person von dem Verkäufer mit den Worten „Hallo, ching chow!“ angesprochen.
Quelle: Register Neukölln
Antimuslimisch-rassistischer Sticker im Landschaftspark Herzberge
31.08.2023 BEZIRK: LICHTENBERG
Im Herzbergepark wurde ein antimuslimisch-rassistischer Sticker gemeldet. Auf diesem ist eine durchgestrichene Moschee und der Slogan „Aktiv werden gegen Moscheebau und Islamismus“.
Quelle: Lichtenberger Register“
Jemand, der gegen den Bau einer Moschee, der gegen den Islamismus protestiert, ist in Beckers Gesinnungsdiktatur nicht etwas ein Mensch mit einer anderen Weltsicht, einer anderen politischen Meinung, sondern schlicht ein Täter.
Aber auch die Opfer sind in diesem Konzept im Grunde keine Menschen, sondern nur Funktionen, nur Opfer, sie sind keine Deutsche, keine Deutsche mit familiären asiatischen Wurzeln, sie ist nur noch eine „asiatisch gelesene Frau“. Was ist eine asiatisch gelesene Frau? Existiert sie nur, weil sie von Kati Becker gelesen wird? Macht sie nicht ihr Denken, Fühlen, ihre Talente aus, ist sie denn nichts weiter als eine Buchstabenansammlung?
Im Interview mit der Berliner Zeitung behauptet Kati Becker: „Wir haben nicht die Methoden, die die Stasi hatte. Wir führen eben keine Listen. Wir infiltrieren keine Freundeskreise. Wir haben nicht die Zielsetzung, die die Stasi hatte. Also man kann das alles behaupten, aber es stimmt einfach nicht. Ich höre das, seitdem ich diese Arbeit mache. Die Stasi hat aber nie die Geschichten von Betroffenen veröffentlicht, sie hat versucht, ihren eigenen Staat mit schäbigen Methoden zu schützen. So etwas machen wir nicht. Wir machen etwas anderes.“
Nicht das Ziel, den Feind, den Täter zu bekämpfen, hat sich geändert, sondern die Methoden: „Man wird die Störer auch nicht unbedingt verhaften. Es gibt feinere Möglichkeiten, jemanden unschädlich zu machen … geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen“, wie Bärbel Bohley vor dreißig Jahren sagte.
Becker bezieht sich auf das gesellschafts- und diskurszerstörende Konzept Heitmeyers von der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“, ontologisch hat es viel gemeinsam mit der marxistischen Lehre vom Klassenkampf.
Der Berliner Senat 2023 spendiert 828.491 Euro dafür, dass bildlich gesprochen in der Normannenstraße wieder das Licht angeht.
Möglich, dass die Senatorin Kiziltepe darüber nachdenkt, den Ernst-Reuter-Platz in Erich-Mielke Platz-umzubenennen. Ernst Reuter hätte mit scharfen Worten jedenfalls die Einrichtung dieser Denunziationsstellen gegeißelt. Doch vielleicht kommt ihr Kai Wegner mit der Umbenennung des Walther-Schreiber-Platzes zuvor. Der ist ja für jeden roten oder grünen Spaß zu haben, wie man hört und sieht.