Tichys Einblick
Das Wahlrecht landet wieder beim Verfassungsgericht

Deckelung der Ausgleichsmandate? Posse im Parlament

Ausgleichsmandate kommen nach der Wahl zustande. Sie verfälschen das Wahlergebnis und sind deshalb grob verfassungswidrig. Ob gedeckelt oder nicht - Lammerts „Bastelarbeit“ am Wahlverfahren kann vor dem Grundgesetz keinen Bestand haben.

Vertreter der Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD im Deutschen Bundestag haben sich Mitte Dezember 2016 auf Präsidiumsebene mit Bundestagspräsident Norbert Lammert getroffen, um dort erneut über die Deckelung der Ausgleichsmandate zu beraten. Greifbare Ergebnisse gab es wiederum keine. Die Gespräche sollen im Januar 2017 fortgesetzt werden. Lammert hatte schon vor Längerem angeregt, für die ausufernde Zahl der Ausgleichsmandate im Parlament eine Kappungsgrenze bei 630 Listenplätzen einzuführen und dies in der Verfassung zu verankern. Stellt man diese Idee auf den Prüfstand, dann kommt es zu einer Überraschung.

Das Verfassungsgericht hat mit Urteil v. 25.7.2012 (BVerfGE 131, 316) entschieden, 15 Überhangmandate seien zulässig, mehr aber nicht. Kommt es zu einem 16. Überhang ist die Wahl ungültig. Der Gesetzgeber geht jedoch davon aus, dass durch die Vergabe von Ausgleichsmandaten eine Verschonung eintritt. Rechnet man nach – Lammert tut das leider nicht – dann müssen 16 Überhänge durch mindestens 16 Ausgleichsmandate egalisiert werden. Das ergibt dann genau 630 Mandate im Bundestag, der regulär ja nur 598 Mitglieder hat. Ein 17tes Überhangmandat könnte wegen der von Lammert geforderten Deckelung der Ausgleichsmandate dann schon nicht mehr 1 : 1 ausgeglichen werden. Und ohne hinreichenden Ausgleich wäre eine Wahl mit mehr als 15 Überhängen auf keinen Fall zulässig.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Gesetzgeber – warum auch immer – einen viel höheren Ausgleich in Höhe von mehr als 1 : 7 vorgeschrieben hat. 2013 gab es vier Überhänge und 29 Ausgleichsmandate. Der Ausgleich überstieg den Überhang also um mehr als das Siebenfache. Die Verschonung durch Ausgleich würde also sehr viel früher, nämlich schon bei fünf Überhängen nicht mehr eintreten können. Zur Erinnerung: 2009 hat es 24 Überhänge gegeben. Der Bundestag stieg damals auf 622 Mitglieder an. Nach der Deckelung, wie sie Lammert vorschwebt, könnten im Wiederholungsfall schon bei einem Ausgleich von 1 : 1 nur mehr 16 Überhänge kompensiert werden. Es verbleiben dann 8 nicht ausgeglichene Überhänge, jenseits der von den Verfassungsrichtern gezogenen Zulässigkeitsgrenze von 613 Mitgliedern des Bundestages. Bei einem Ausgleich von 1 : 7 ginge die Rechnung sowieso nicht mehr auf. Und der Gesetzgeber wird von den Richtern in Karlsruhe im Zweifel keinen Rabatt bekommen.

Die Bürger wissen nicht, ob sie über diese parlamentarische Posse lachen oder weinen sollen. Geht man der Sache auf den Grund, entsteht ganz anderes Bild. Denn ein Mandat kommt nicht durch irgendwelche Rechenkunststücke zustande, sondern durch Abstimmung. Die Abgeordneten werden nicht durch staatliche Instanzen ernannt, sondern von den Wahlberechtigten gewählt. Niemand ist daher befugt, den Willen der Wähler nachträglich auszugleichen, zu verbessern oder korrigieren. Es führt deshalb kein Weg daran vorbei: Ausgleichsmandate kommen erst nach der Wahl zustande. Sie verfälschen das Wahlergebnis und sind deshalb grob verfassungswidrig. Ob der Ausgleich gedeckelt ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Lammert hat seine „Bastelarbeiten“ am Wahlverfahren ohne die Wähler gemacht und das kann vor dem Grundgesetz keinen Bestand haben.

Mehr zu Manfred Hettlage und zum Wahlrecht auf www.manfredhettlage.de.

Der Verfasser hat mehrere Bücher zum Wahlrecht veröffentlicht. Zuletzt ist von ihm der Titel erschienenen: Die Berliner Republik unter dem Damoklesschwert / Wahlgesetz, Wahlgrundsätze und Wahlprüfung“, 2016, Taschenbuch, 226 Seiten, Euro 19,40

 

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