Tichys Einblick
BRICS-Gipfel in Südafrika:

Multipolare Zeitenwende? BRICS beschließen Erweiterung um sechs weitere Mitgliedsländer

Zum Abschluss des BRICS-Gipfels in Südafrika beschlossen die Mitglieder einstimmig die Aufnahme sechs weiterer Staaten, darunter Argentinien, Saudi-Arabien und Iran. Die Erweiterung der Gruppe stellt damit bestehende Verhältnisse vor allem im Mittleren Osten auf den Prüfstand.

IMAGO / SNA

Eine neue goldgedeckte Währung wurde es diesmal nicht, deren Einführung galt aber bereits im Vorlauf des Gipfels als eher unwahrscheinlich. Stattdessen wurde es eine Erweiterung der BRICS-Gruppe um gleich sechs neue Mitglieder zum 1. Januar 2024. Obwohl im Vorfeld des Gipfels noch von machtpolitischen Spannungen zwischen Indien und China die Rede war, gab man sich beim Gipfel betont einig, als es um die Erweiterung der BRICS ging. Die Gruppe, die bereits vor der Erweiterungsrunde rund 40 Prozent der Weltbevölkerung repräsentierte, wirbelt mit der Erweiterung nicht nur die möglichen Machtverhältnisse im Mittleren Osten durcheinander, sondern etabliert sich auch zunehmend in Südamerika.

Rückkehr zum Goldstandard?
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In einer gemeinsamen Stellungnahme, verlesen vom südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa, beschlossen die bisherigen Mitgliedsstaaten China, Indien, Russland, Brasilien und Südafrika die Erweiterung der Gruppe um sechs neue Mitglieder, nämlich Argentinien, Ägypten, Äthiopien, den Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Bereits vor dem Gipfel machten Gerüchte um das Interesse von Saudi-Arabien, das auch als Gast anwesend war, die Runde. Die Erweiterung allerdings um nicht nur Saudi-Arabien, sondern auch den Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Äthiopien und Ägypten macht die BRICS mit einem Schlag zu einer der potentesten Interessengruppen im Horn von Afrika, wobei vor allem die Aufnahme Saudi-Arabiens, eines ehemals eisernen Verbündeten der USA in der Region, ein deutliches Signal sendet.

Einer neuen, gemeinsamen und goldgedeckten Währung stehen vor allem auch die unterschiedlichen Interessen Chinas, das bislang als unbestrittene Führungskraft der Allianz auftritt, und Indiens, das zunehmend einen eigenen Platz an der Sonne einfordert, im Wege. Seine Ambitionen unterstrich Indien auch mit seiner rechtzeitig zum Gipfel in Südafrika vollzogenen Mondlandung. Doch bevor sich die asiatischen Großmächte in die Haare kriegen, bleiben sie vorerst in ihrem Kampf gegen den erklärten gemeinsamen Feind, die Übermacht des Dollar, vereint.

Eine bevorstehende „Entdollarfizierung“ des Erdölmarkts?

Denn unabhängig von der Erweiterung verkündete Chinas Präsident Xi im Zuge des Gipfels bereits in hohen Tönen den Siegeszug der Multipolarität. Es sei „inakzeptabel, die eigenen Regeln und Regularien als internationale Norm zu verpacken“, so Xi. Stattdessen sollten alle Länder sich gemäß der Prinzipien der UNO Charta entwickeln können, und nicht entsprechend des Diktats jener mit den „stärksten Muskeln und der lautesten Stimme“, zitierte ihn Chinas Global Times.

Brasiliens Präsident Lula in China:
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In der Praxis bedeutet das eine fortschreitende „Entdollarfizierung“, also das Bestreben mehr und mehr Handel zwischen Mitgliedsländern der BRICS über lokale Währung denn über den Dollar abzurechnen. Mit der Hinzufügung von Saudi-Arabien, dem Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten stoßen drei weitere der zehn größten Erdölproduzenten der Welt zu den Großförderern Russland, China und Brasilien. Ein Wechsel vom Petrodollar, der eines der Standbeine wirtschaftlicher Hegemonie darstellt, rückt somit in greifbare Nähe, auch wenn dieser Wechsel wohl kaum mit einem Schlag vollzogen wird.

Doch nicht nur im Horn von Afrika befindet sich der US-Einfluss auf dem Rückzug, auch in Südamerika gibt man sich nicht länger damit zufrieden, der „Hinterhof“ der USA zu sein. Die Aufnahme von Argentinien ist dabei wohl weniger als „wirtschaftlicher Gamechanger“ zu verstehen, denn als Bestätigung dafür, dass nun die beiden größten Volkswirtschaften Südamerikas nicht länger den wirtschaftlichen Anschluss an die USA suchen, sondern in der von den BRICS propagierten Multipolarität ihr Heil suchen.

Es herrscht keine heile Welt, sondern realpolitische Pragmatik

Die damit verbundenen Versprechungen scheinen viele Schwellenländer in ihren Bann zu ziehen. Bis zu 40 Länder haben mittlerweile Interesse an einer Mitgliedschaft bekundet, die soeben verkündete Erweiterung dürfte also wohl nur die erste von mehreren Erweiterungsrunden bedeuten. Vor allem China bewirbt offensiv die Versprechungen der Multipolarität und betont dabei auch immer explizit, dass China eben keine Hegemonialansprüche haben würde. Die Spannungen mit Indien zeigen allerdings, dass wohl nicht alle BRICS-Mitglieder die Führungsrolle des Reichs der Mitte so unkompliziert sehen. Und obwohl die Inder eben erst auch ihre guten Beziehungen zu den USA untermauerten, so wäre es voreilig zu glauben, dass die BRICS an diesem Interessenkonflikt scheitern könnten, denn auch in der Beziehung Indiens zum Weißen Haus zeigt sich das neugefundene Selbstbewusstsein der Inder. Eine Verurteilung der Rolle Russlands im Krieg in der Ukraine blieb aus und erst im Juli rechneten indische Raffinerien erstmals Öl aus Russland mit dem Yuan ab. Es herrscht eine neue Pragmatik, die sich nicht prinzipiell auf eine Seite ziehen lässt, sondern realpolitisch die eigenen Interessen im Auge behält.

Werte-Arroganz des Westens führt ins Abseits
Warum die Bedeutung der BRICS-Staaten zunimmt
Heißt das, dass es in Zukunft keine Konflikte und Rückschläge für die BRICS geben wird? Selbstverständlich nicht, aber der Opportunismus der BRICS-Staaten legt nahe, dass es womöglich weniger prinzipielle Konflikte geben wird, an denen das gesamte Bündnis scheitern könnte, als vielmehr einzelne Projekte, die entweder nicht zur Durchführung gelangen, oder an denen manche Staaten nicht teilnehmen.

Während die endgültige Form der BRICS und ihre langfristige Bedeutsamkeit noch nicht vollends absehbar sind, darf als unbestritten gelten, dass die soeben beschlossene Erweiterung den Block enorm stärkt. Egal wie man ideologisch dazu steht, ob man diese Entwicklung befürwortet oder nicht – die USA und die EU müssen spätestens nach dieser Erweiterung ernsthaft Konzepte entwickeln müssen, um zukünftig nicht nur auf dem wirtschaftlichen Weltmarkt, sondern vor allem auch auf dem Marktplatz der Ideen, der Ideologien, bestehen zu können. Stand jetzt kehrt sich die Welt zunehmend vom Westen ab, aber indem wir über diese Entscheidung verächtlich die Nase rümpfen, werden wir sie nicht zur Umkehr überzeugen. Vor allem für Europa ist es die allerhöchste Zeit, sich die Frage zu stellen, welche Rolle es in einer sich drastisch verändernden Welt spielen möchte.

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