Misserfolg. Irreguläre Zustände und letztlich alles nur ein Politikum. Der erfolgloseste Club in der Geschichte der Bundesliga kommt – Überraschung – aus dem Berliner Stadtteil Neukölln, der auch sonst nicht gerade für Erfolgsgeschichten steht. Schon der Aufstieg von Tasmania 1900 Berlin begann mit einem Griff in die Kasse. Fairerweise bei Hertha BSC Berlin, dem großen Konkurrenten aus dem Westend der geteilten Stadt. Dem fehlten knapp 200.000 Mark, von denen keiner wusste, wo sie hingekommen waren – dit is Berlin. Der DFB sprach 1965 den Zwangsabstieg über die Hertha aus.
Nun hatte der Deutsche Fußballbund drei Probleme. Zum einen hatte er den Fall eines Zwangsabstiegs nicht vorab geregelt. Zum anderen war die Stadt Berlin ein Politikum. 1961 hatte das SED-Regime die Mauer bauen lassen, um Menschen besser erschießen zu können, wenn sie sich nicht vom Sozialismus beglücken lassen wollten. Die Freiheit West-Berlins war ein Anliegen von weltpolitischer Bedeutung. Also musste 1963 bei der Gründung der Bundesliga ein Berliner Club mitmischen – und nach dem Zwangsabstieg der Hertha eben auch.
Der Verleger Axel Cäsar Springer galt als der größte unter den Kommunistenfressern. Das freie Berlin war für ihn ein Symbol. Er selbst hatte an der Mauer investiert und bauen lassen, als andere Unternehmer die Stadt bereits verließen. Nun drängten seine Zeitungen – allen voran die Bild – in einer Kampagne darauf, dass es vier Jahre nach dem Mauerbau einen Westberliner Club in der Bundesliga geben müsse.
Da der reguläre 16. Platz in der Liga aber an den Karlsruher SC fiel, entschied sich der DFB, die Tasmania als 17. Club dazu zu nehmen. Daraus wuchs den Funktionären das dritte Problem: Die Vereine aus dem Westen fürchteten – durchaus zurecht – schlechte Besucherzahlen. Also begnadigte der DFB den eigentlich abgestiegenen FC Schalke 04 und alle waren glücklich. Wer weiß, vielleicht würde es ja ein Fußballmärchen geben und die Tasmania sich in der Bundesliga besser schlagen als gedacht.
Und tatsächlich: Am 14. August 1965 startete die Tasmania mit einem 2:0 gegen den Karlsruher SC in die Bundesliga. Beide Treffer erzielte Wulf-Ingo Usbeck. Die Tasmania hatte jetzt zwei Tore, nach der alten Regel zwei Punkte und war Tabellenzweiter in der Bundesliga. Wäre die Saison jetzt abgebrochen worden, die Neuköllner wären als Vizemeister in die Geschichte eingegangen. Doch auf die zwei Tore und zwei Punkte sollten noch viele weitere folgen. Also Spiele. Mit 13 Toren und sechs weiteren Punkten blieb die weitere Ausbeute eher mager. Bis heute ist das die schlechteste Saison, die je ein Bundesligist gespielt hat – bis heute hält die Tasmania den letzten Platz in der Ewigen Tabelle der Bundesliga. Es sei denn, der Aufsteiger 1.FC Heidenheim reißt in diesem Jahr den Rekord.
Nach dem Sieg am ersten Spieltag folgte nur noch ein weiterer: 2:1 gegen Borussia Neunkirchen. Die 31 Spiele ohne Sieg dazwischen sind die längste Negativserie, die je ein Team in der Bundesliga hingelegt hat. Auch die 15 Tore, die Tasmania schoss sowie die 108 Tore, die Tasmania kassierte, stellen Negativrekorde dar. Das einzige Team, gegen das die Neuköllner eine ausgeglichene Bilanz schafften, ist der 1.FC Kaiserslautern, gegen den sie zweimal Unentschieden spielten. Der Auswärtspunkt auf dem Betzeberg ist der einzige in der Neuköllner Fußballgeschichte.
Außerdem punktete die Tasmania gegen Werder Bremen und Borussia Mönchengladbach. Letzteres unter irregulären Umständen, wie Günter Netzer im Exklusivinterview mit TE erzählt hat: „Als wir bei Tasmania Berlin spielten, lag 20 Zentimeter Schnee auf dem Platz. Die haben das nicht räumen lassen. Sie waren uns technisch so unterlegen, dass ihre Chancen nur dadurch besser werden konnten, dass der Platz eigentlich unbespielbar war.“ Das Spiel ging am 15. Januar 1966 in die Geschichte der Bundesliga ein: Mit 827 Zuschauern war es das bis heute am schlechtesten besuchte Spiel der obersten Spielklasse.
Die Tasmania war auf die Bundesliga nicht vorbereitet. Über den ADAC musste der Vorstand die Spieler aus dem Urlaub zurückholen lassen, weil die erste Spielklasse früher in die Saison einstieg als die Oberliga Berlin. Zwar versuchte der Verein noch Stars aus dem Westen zu verpflichten, konnte aber kaum jemanden nach Neukölln an die Mauer locken. Aus dem Ruhrgebiet kam Nationalspieler Horst Szymaniak. Der war da aber schon 31 Jahre alt und hatte seine beste Zeit hinter sich.
Springer hatte den Berlinern mit seiner Kampagne letztlich keinen Gefallen getan. Teure Flops wie Szymaniak, der für die Tasmania nur ein Tor schoss, kosteten Geld. Ebenso der Umzug ins Olympiastadion, das die Neuköllner kaum füllen konnten. Als Folge des Ausflugs in die Bundesliga musste der Verein 1973 Insolvenz anmelden, gründete sich neu und trat weiter unter unterschiedlichen Namen an.
Nur für einen lohnte sich der Ausflug in die Bundesliga. Für den Helden des Sieges gegen Karlsruhe, Wulf-Ingo Usbeck. Er wechselte nach dem Abstieg zum 1. FC Nürnberg. Mit dem wurde er 1968 Deutscher Meister. Wobei sein Verdienst daran überschaubar ist. Der Club wollte ihn loswerden, doch kein anderer Verein wollte zugreifen. Sein Trainer Max Merkel urteilte über den Neuköllner Neuzugang: „Usbeck hat ein großes Auto, eine schöne Wohnung und viel Geld haben wollen – leider alles im Sitzen.“ Deutscher Meister wurde Usbeck trotzdem. Dank der Leistung der anderen. Dit is Berlin.