Tichys Einblick
Christenverfolgung

Die Christen sind die neuen Parias der Welt

Die Gewalt gegen Christen in Pakistan ist fast schon vergessen. Doch auch in Indien und Nigeria geht die Christenverfolgung weiter. Dabei hängen die Verfolgungen nicht nur mit einer bestimmten Religion zusammen. Die Dritte Welt sieht im Christentum einen „Fremdkörper“. Die Christenverfolgung ist der blutige Ausfluss einer Welt, die nicht diverser, sondern homogener werden will.

IMAGO / ZUMA Wire

Zwei Christen werden der Blasphemie beschuldigt. Danach setzt sich ein muslimischer Mob in Gang. Er erschüttert die pakistanische Stadt Jaranwala in der Provinz Punjab. Sie greifen 15 Kirchen an, brennen einige davon nieder. Die wütende Menge soll Tausende umfasst haben. Sie zündete christliche Wohnhäuser an, zerstörten einen Friedhof. Die zwei Christen, die als Auslöser der Eskalation gelten, sollen den Koran geschändet haben.

Die christliche Hilfsorganisation Open Doors lässt Stimmen zu Wort kommen, die an der letzten Version zweifeln lassen. Ein lokaler Christ wird zitiert. Die Aktion sei kaum spontan entstanden. „Es ist kein Zufall, dass Moscheen in der ganzen Stadt über Lautsprecher angefangen haben, Hassreden zu verbreiten. Das hat zu den Angriffen geführt. Wie sind all die Moscheen an diese Informationen gekommen?“, sagt er. Ein betroffener Kirchenleiter berichtet: „Das ist ein Fall von geplanter Verfolgung gegen uns als Minderheit.“ Christian Solidarity International (CSI) zitiert einen weiteren Augenzeugen: „Sie schlugen Fenster und Türen ein. Dann warfen sie Kühlschränke, Sofas, Stühle und andere Haushaltsgegenstände heraus, um sie vor der Kirche zu verbrennen.“ In ihrer Raserei schändeten die Angreifer auch Bibeln und verbrannten diese.

Eine Woche ist der Gewaltausbruch her. Vielerorts ist er bereits wieder vergessen, wenn er denn überhaupt wahrgenommen wurde. Während die gesellschaftsprägenden Kräfte im Westen sich für Kolonialverbrechen geißeln oder noch das kleinste Fünkchen von Mikroaggressionen oder Diskriminierung suchen, findet bereits auf der anderen Seite des Mittelmeeres jene Form der brutalen Unterdrückung und Verfolgung statt, die hierzulande erstaunlich wenig Platz erhält, offenbar, weil die Opfer zu uninteressant erscheinen.

Die Außenministerin glänzt dadurch, von feministischer Außenpolitik zu sprechen, Weltklimapolitik zu betreiben und Artefakte in Ursprungsländer zurückzubringen, bei tatsächlichen Herausforderungen jedoch abwesend zu sein. Schöne Bilder sind einfacher zu bekommen als etwa den ethnisch-religiösen Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan zu lösen; Länder, die immerhin vor der Haustüre Europas liegen. Auch Indien, das seit Jahren bekannt dafür ist, dass religiöse Rechte mit Füßen getreten werden – Opfer sind dort nicht nur Christen, sondern auch Muslime – hatte Baerbock bei ihrem Besuch Ende 2022 gelobt: „Deutschland & #Indien teilen das Vertrauen in grundlegende Werte: in #Demokratie, Menschenrechte und das Vertrauen in eine regelbasierte Ordnung.“

Auch ansonsten ist Christenverfolgung ein nachgeordnetes Thema. Denn spezielle Hilfe für christliche Minderheiten sieht die Politik als problematisch an. Es könnte der Eindruck entstehen, dass jemand bevorzugt behandelt wird. Vorstöße etwa der AfD, den Christen im Orient gesonderte Hilfe zukommen zu lassen, wurde mit dem Vorwurf der Hetze zurückgewiesen; man wolle einen Keil zwischen hilfebedürftige Gruppen treiben. Wer nur Christen helfen will, macht sich in Deutschland verdächtig. Das hat im Zuge der Flüchtlingspolitik bereits mehrfach zum Paradoxon geführt, dass der Verfolgte auf den Verfolger im selben Asylzentrum stieß.

Dass überdies Staaten mit einer religiösen Ausrichtung ihren Glaubensbrüdern helfen, führt dazu, dass die meisten Religionsminderheiten auf internationaler Ebene einen Paten besitzen. Auf die Auslandshilfe Indiens oder Saudi-Arabiens können Christen nicht hoffen. Der Westen ist sich zu fein, muss er doch, beseelt vom Universalismus, allen helfen. Dass die orientalischen Christen in der Vergangenheit vermehrt ihre Hoffnung auf Russland gesetzt haben, ist deswegen nur folgerichtig. Das einzige europäische Land, das eine durchgehend pro-christliche Politik verfolgt hat, christlichen Flüchtlingen Schutz gewährte wie auch vor Ort speziell den Glaubensbrüdern half, war stets Ungarn. Dass Annalena Baerbock sich Tipps von Viktor Orbán abholen könnte, wird aber in diesem Leben nicht mehr geschehen.

Dabei ist die Eskalation in Pakistan nur ein Ereignis unter vielen. Open Doors ordnet das Land auf Platz 7 Weltverfolgungsindex ein. Rund 4 Millionen Christen leben in dem mehrheitlich muslimischen Land, wo die Scharia die Leitlinie bildet. Der Vorwurf der Blasphemie ist dort eher Regel. Das Blasphemie-Gesetz gilt als Instrument der Christenkontrolle, wenn nicht gar Christenverfolgung. Die Gängelungen reichen von islamischen Zwangsunterricht für Kinder bis hin zu „reservierten“ Arbeitsstellen für Christen, die nur „schmutzige“ Arbeiten erledigen sollen. Während der Corona-Krise wurden Christen bedrängt, zum Islam zu konvertieren, wenn sie Lebensmittelrationen haben wollten. Christinnen werden zur Heirat mit muslimischen Männern gezwungen, teilweise sogar entführt. Die Behörden bleiben untätig.

Neben dieser institutionalisierten Gewalt und Diskriminierung müssen Christen mit terroristischen Attentaten von Islamisten rechnen. Bombenanschläge wie der in Quetta im Jahr 2017 sind leider keine Seltenheit. Der pakistanische Arm des Islamischen Staates attackierte eine methodistische Kirche. 400 Christen hatten sich damals versammelt. Dutzende wurden verletzt, acht getötet. Am Ostersonntag des Jahres 2016 wurden in Lahore mindestens 72 Menschen getötet und 300 verletzt. Der Anschlag galt der christlichen Minderheit und ging von einer Taliban-Gruppe aus, traf jedoch auch viele Muslime, da sich der Anschlag auf den Kinderspielplatz eines Stadtparks konzentrierte. 2013 waren bei einem Bombenanschlag in einer Kirche in Peshawar 78 Christen getötet worden.

In jüngster Zeit, insbesondere nach dem Pfingstmassaker im letzten Jahr, rückt Nigeria vermehrt in den Fokus. Die Staatstreiche in Westafrika und das daraus resultierende Vakuum, in das islamische Terrorgruppen wie Boko Haram hineinstechen, wird jedoch in Europa immer noch zu wenig als Bedrohung wahrgenommen. Mittlerweile haben sich dschihadistische Milizen nahezu im gesamten Maghreb, der Sahel-Zone und in Westafrika eingenistet, offenbar mit der Absicht, ähnlich wie vor Jahren im Nahen Osten einen „Islamischen Staat“ zu errichten.

In Nigeria stoßen diese Milizen immer weiter in das christliche Süd- und Zentralnigeria vor. Ermeka Ani berichtet gegenüber CSI:

„Es mischen sich beispielsweise bewaffnete Kommando-Killer-Truppen unter die Hirten, die sonst friedlich mit ihren Herden umherstreifen. Ihre Herden fressen die Ernten und andere Nutzpflanzen, so dass die Dorfbewohner, die sonst von der Ernte leben, am Ende alles verlieren und verhungern. Beim geringsten Widerstand werden die Dorfbewohner von den bewaffneten muslimischen Fulani-Hirten überwältigt und bestialisch getötet. In den Dörfern herrscht daher Angst, Ackerland zu betreten. Frauen und Mädchen werden immer wieder verprügelt und vergewaltigt. Sogar Schulkinder werden verängstigt und von den Schulen verjagt, wenn die Hirten mit ihren tausenden Tieren willkürlich die Schulhöfe betreten. Dorfbewohner, Besucher, usw. werden von den Angehörigen der Fulani entführt, die sich als Hirten tarnen und Lösegeld in Millionenhöhe erpressen, sonst droht Tötung.“

Ziel sei eine „Flächendeckende Islamisierung“ Nigerias. Die muslimischen Fulani beanspruchten ganz Nigeria für sich. Was eine weitere Destabilisierung der Region bedeuten könnte, beschreibt er so: „Der derzeitige Flüchtlingsstrom aus Afrika wird im Vergleich zu dem, was Europa im Falle einer weiteren Destabilisierung Nigerias bevorsteht, als unbedeutend erscheinen. Es geht um eine Massenbewegung von mehr als 300 Millionen Menschen aus diesen Regionen in Richtung des nächstmöglichen sicheren Hafens, nämlich Europa.“ Allein im ersten Halbjahr 2023 sind in Nigeria 2.500 Menschen Opfer islamischer Übergriffe geworden. Mehr als 300 Christen wurden seit Mitte April ermordet, etwa 80.000 Menschen vertrieben. Das Land selbst wird von Personen aus Fulani-Clans beherrscht, die offenbar ein Interesse daran haben, dass diese Politik fortwährt.

Ein weiterer „Hotspot“ der Christenverfolgung bleibt Indien. Seitdem die hindu-nationalistische Regierung von Narendra Modi das Land führt, kommt es immer wieder zu Ausschreitungen gegen die religiösen Minderheiten des Landes. Die Behörden bleiben in vielen Fällen tatenlos. Die Propaganda gegen „Fremde“ Religionen wie den Islam oder das Christentum nehmen zu. Mittlerweile sind Tendenzen wie in islamischen Ländern zu beobachten: das Tragen eines Kreuzes oder ein Ansprechen der eigenen Religion wird als Missionierung wahrgenommen. Immer wieder bilden sich – ähnlich wie in Pakistan – Mobs, die wegen Gerüchten oder Verleumdungen christliches Eigentum zerstören. Offizielle Missionarstätigkeiten sind derzeit so gut wie nicht möglich. Wie auch in Pakistan nimmt die Tendenz zu, dass Christinnen mit Nicht-Christen zwangsverheiratet werden. Der Bundesstaat Bihar hat wegen eines allgemeinen Alkoholverbotes sogar den Messwein verboten. In den Sozialen wird eine anti-christliche Stimmung entfacht.

Über den Gewaltausbruch in Manipur berichtet der Deutschlandchef von CSI, Pfarrer Fuchs, gegenüber CNA: „Über 100 Tote, mehr als 50.000 aus ihren Häusern Vertriebene, 300 niedergebrannte Kirchen. Etwa 2.000 Frauen, Männer und Kinder leben bis jetzt versteckt in den Wäldern. Das Militär brachte andere Vertriebene behelfsmäßig in Schulen und öffentlichen Gebäuden unter. 35.000 dieser Leute sind Christen, die Hälfte davon Kinder.“ Er sehe bereits die Ausweitung zu einem bürgerkriegsähnlichen Szenario. Die hindu-extremistische Regierung nutze die ethnischen Ausschreitungen als Vorwand, um gezielt gegen Christen vorzugehen.

Die Regierungen in Pakistan, Nigeria und Indien teilen dabei bereits ein Motiv. Sie sehen die anderen Kulturen und Religionen als Fremdkörper an. Sie seien keine urtümlichen Erscheinungen in den Ländern. Für sie sind es koloniale Nachlässe von Ursupatoren. Das stimmt zwar zum einen, weil insbesondere die Mission in Südostasien und Afrika ab dem 19. Jahrhundert im Zuge der Ausweitung der europäischen Imperien zugenommen hat. Es stimmt andererseits auch nicht; denn oftmals ging die Missionsarbeit der kolonialen Unterwerfung nicht nur Jahrzehnte, sondern auch Jahrhunderte voraus.

Die Mission entspricht seit der Entsendung der Jünger dem Wesen des Christentums – deutlich mehr als in den anderen beiden abrahamitischen Religionen. Christen haben bereits in Indien oder China gelebt, bevor die Portugiesen den Seeweg in der Renaissance erschlossen. Es ist Geschichtsklitterung der lokalen Machthaber, wie auch des woken Westens, dass das Christentum und der Kolonialismus so eng verzahnt seien, wie behauptet wird. Häufig folgte die koloniale Administration erst der Mission. Das gilt exemplarisch auch für Ozeanien, wo die Verbreitung des Christentums am erfolgreichsten war.

Doch das Narrativ, das Christentum sei ein invasiver Fremdkörper, hat seine Bedeutung. Einen nicht geringen Teil der ehemaligen Dritten Welt beseelt die Überzeugung, dass man nach einem kolonialen Intermezzo zu einem vermeintlichen Ursprung zurückkehren will. Bei den Islamisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde diese Botschaft am klarsten: nur die reine Lehre, nur das reine Gesetz Mohammeds sollte gelten. Freilich sind solche reformatorischen Bewegungen – reformatorisch im Sinne: einen pervertierten Zustand wieder in seine ursprüngliche Form bringen – bereits in einem längeren historischen Zeitfenster zu suchen, doch ihre Wirkmächtigkeit haben sie erst in den letzten Jahren bekommen.

Man kann das Phänomen mit dem pointierten Begriff der Identitätssuche zusammenfassen. Ähnlich wie die Christen im Zeitalter der Konfessionalisierung und die Völker im Zeitalter des Nationalismus besteht das dringende Bedürfnis, die Frage zu klären, wer man wirklich ist. Die Antwort liegt im islamischen Raum wie auch in Indien und anderen Ländern in der Vergangenheit: man will zu einem vermeintlichen, reinen Ursprung zurück. Das Anliegen mag man völkisch oder religiös verstehen, hat aber ironischerweise eine westlich inspirierte Nuance, war es doch ausgerechnet Jean-Jacques Rousseau, der die Politik mit diesem Gedanken zuerst infizierte. Andeutungen, dass die von Huntington formulierten Zivilisationsräume sich damit weiter abzugrenzen beginnen, sind deutlich.

Konkret heißt das allerdings auch: alles, was nicht zu dem postulierten, reinen Ursprung gehört, muss entfernt werden. Das gilt nicht nur für das Christentum, sondern auch für kulturelle und wissenschaftliche Begleiterscheinungen des Westens. Dafür bietet nicht nur das afghanische Taliban-Regime Beispiele, sondern auch die indische Modi-Regierung, die etwa Darwins Evolutionstheorie und das Periodensystem als un-indisch aus dem Schulunterricht verbannte. In einigen Ländern Afrikas lehnt man nach wie vor die westliche Schulmedizin ab zugunsten traditioneller Heilungsmethoden.

Solche Entwicklungen mag man belächeln. Sie gehören aber in einen Kontext; ein Kontext, den der Westen begreifen muss, wenn er die Zukunft begreifen will. Nationalismus und Fundamentalismus sind nicht so sehr das Problem der abendländischen Sphäre, denn vielmehr außerhalb davon. Was es etwa bedeutet, wenn ein heterogenes Milliardenland wie Indien mit rund 170 Millionen Muslimen und 30 Millionen Christen sich als hindu-nationaler Subkontinent versteht. Was daraus folgt, wenn China, in dem ebenso dutzende Millionen den abrahamitischen Religionen anhängen, diese als ebenso fremd ansieht und die buddhistische Geschichte Tibets auslöscht; und was es heißt, wenn das zu einer Hälfte muslimisch, zur anderen Hälfte christlich gemischte Nigeria – das für Afrika bald eine ähnliche Bedeutung haben dürfte wie Brasilien für Südamerika – durchgehend von Vertretern muslimischer Clans dominiert wird. Die Christenverfolgung ist der blutige Ausfluss einer Welt, die nicht diverser, sondern homogener werden will.

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