An Tichys Einblick schätze ich die Liberalität. Als ich gestern Abend einen „augenzwinkernden Kommentar“ zum Beitrag über mögliche Unions-Kanzlerkandidaten anbot, kam umgehend ein klares „Gerne“ vom Chef. Ich hatte angemerkt, dass über dem Artikel nicht der Warnhinweis „Achtung! Glosse!“ stand. Also der Hinweis, den die CDU-geführte ARD (Schäubles Tochter, Strobls Frau) gerade für „Otto“ fordert. Und dass als Autor, ungewöhnlich für solch einen langen Artikel, angegeben wurde „Redaktion“. So, als wolle sich niemand zu diesen Zeilen bekennen.
Genau das würde ich verstehen. Jeder TE-Autor hat schließlich einen Ruf zu verlieren. Ich bin ein begeisterter Autor und Leser, und bei einer Schiffstour „Schlösserfahrt“ gerade auf der Elbe rund um Dresden wurde ich von vielen Passagieren angesprochen. Nicht wegen meiner früheren Arbeitgeber, sondern zum Beispiel wegen TE, denen ich ja kostenlos Artikel liefere, die ganz offenkundig gelesen werden.
Tue ich der „Redaktion“ also unrecht, wenn ich den Beitrag als (immerhin gelungene!) Glosse bezeichne? Das Innenleben der Union und angebliche Unterschiede der möglichen Kandidaten „interessieren keinen gestorbenen Frisör“, wie es ein bekannter Kollege immer wieder gern in unseren ZDF-Konferenzen sagte. Weil alle, ob Söder, Merz, Wüst oder gar Günther eines garantieren: Am Ende hat man dunkelgrün gewählt, wenn man glaubte, sein Kreuz bei den Schwarzen gemacht zu haben. Unterschiedlich bei den vier Genannten sind höchstens die Nuancen. Auf manche Palette mischt sich auch noch gern mal ein Rot.
Ja, mir ist völlig egal, wer da im Adenauer-Haus im obersten Stock residiert. Die ehrenwerten TE-Bemühungen, da irgendetwas Unterscheidbares zu finden, haben in der Tat das Zeug zu einer Glosse. Denn während ich den Artikel am Freitag las, berichtete BILD bereits online (Samstag ganzseitig!), dass Söders (uneheliche, das fehlte) Tochter gerade ihre Magersucht überwunden hat. Ein ehrlicher Glückwunsch dazu! Doch was und wen – und da kommt wieder der „gestorbene Frisör“ ins Spiel – interessiert das kurz vor der Bayernwahl? Sogar der unbekleidete Bauch der Söder-Tochter war in BILD im Bild. Und natürlich der stolze Vater. Meine Güte! Jetzt muss Hubsi Aiwanger aber schnell nachlegen …
Doch das war nicht alles. Nein, warum ich den TE-Artikel nun endgültig zur gelungenen Glosse ernenne: In der WELT prangte mir die riesige Schlagzeile entgegen: „Union fordert Helmpflicht für alle Fahrradfahrer“. Loriot? Erster April? Quatsch-Comedy? Nein, das ist Original-CDU/CSU!
Man fühlte sich zurückversetzt auf den CDU-Parteitag im September letzten Jahres. An der Ahr und in der Unions-geführten „Pandemie“ kämpften die Menschen gerade ums (wirtschaftliche) Überleben, doch die CDU hatte mitten im Niedergang ihrer treuesten Klientel vom Handwerker bis zum Familienunternehmer nur e i n Hauptthema: die Frauenquote.
Nicht Grenzen zu oder Rückreisepflicht von Flüchtlingen zum Wiederaufbau ihrer inzwischen sicheren Länder. Nicht der Schutz der Bevölkerung vor Messern oder Freibad-Terroristen. Nein, nein, nein! Helmpflicht ist das zentrale „Oppositions“-Thema der grell-grünen Schwarzen. Helmpflicht!
Meine Meinung: Mir ist es schnuppe, ob der lupenreine Opportunist Söder, der Weltmeister im Rückwärts-Rudern Merz oder ein Herr Wüst, der noch schnell Frau Merkel (wie auch Söder) den höchsten Orden seines Landes umgehängt hat, die Union in die Bundestagswahl „führen“.
Doch stopp! Jetzt wünscht man sich einen Anruf aus Südafrika, um im Uckermärkischen Slang zu hören: „Unverzeihlich! Sofort rückgängig machen!“ Es braucht ein völlig neues Personal vom Schlage Strauß und Kohl, Steinbach und Bosbach für die Union. Sonst wird das nix. Glosse hin und Redaktion her. Damit wieder ein Wettstreit der Ideen entsteht – nicht diese vergifteten Lobeshymnen und „christlichen“ Intrigen, die Unionsleute gegeneinander aufs Spielfeld tragen. Doch bis sich diese Einsicht durchsetzt, ist die Union längst implodiert.