Tichys Einblick
An der Budget-Grenze

Das Unbezahlbare bezahlen oder vor dem Bankrott der Wirtschafts- und Sozialpolitik

Der Herbst der Ampel hat begonnen: Ihre Vorhaben und nicht einmal die bereits verabschiedeten Gesetze sind finanzierbar. Diese Regierung hat sich in nur zwei Jahren handlungsunfähig regiert und riskiert soziale Großkonflikte, denn Wirtschafts- und Sozialpolitik sind eine Einheit.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) am 16.08.23 bei der Kabinettsitzung der Bundesregierung im Kanzleramt in Berlin

IMAGO / Bildgehege

Der Krach zwischen Finanzminister Christian Lindner und der grünen Familienministerin Lisa Paus ist ein Krach um viel Geld. Lindner will für sein Wachstumschancengesetz Steuererleichterungen von rund 6 Milliarden verabschieden. Paus will eine „Grundsicherung“ genannte Kinderförderung von 573 Euro, die im Zweifelsfall bis zum  27. Lebensjahr bezahlt werden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat eine Zahl von 12,5 Milliarden Euro genannt.

Nun werden die politischen Schlammwerfer gegeneinander in Stellung gebracht: Lindner fördert die reiche Industrie und lässt die Kinder verkommen, so die Grünen; Lindner kontert, dass Geld, das verteilt werden solle, erst verdient werden müsse. Beide meinen Recht zu haben, das ist das Dumme. Familienförderung ist schwach ausgeprägt; allerdings die von Paus eine Mogelpackung. Und der Wirtschaft wäre mit vernünftigen, dauerhaften Rahmenbedingungen mehr geholfen. Aber dass Wirtschafts- und Sozialpolitik eine Einheit sind, wissen sie noch nicht. Nach Ludwig Erhards Überzeugung ist gute Wirtschaftspolitik die beste Sozialpolitik. Aber den legendären Bundeswirtschaftsminister, der in den Nachkriegsjahren für Wohlstand für Alle gesorgt hat, der nun vernichtet wird, kennen sie wahrscheinlich auch nicht. Nun prallen sie an die Budget-Grenze.

Unbezahlbare Staatsverschuldung als Ausweg?

Besonders dumm ist nur: Jedes der Vorhaben muss mit einer Erhöhung der Staatsverschuldung finanziert werden, also zu Lasten der Generation, die eigentlich gepampert werden soll. Bei einem historisch beliebten Brettspiel nennt man das eine Zwickmühle: Wohin immer man den Geldsack setzt, es ist verkehrt; Kinder gegen Wirtschaft – ein nur schwer zu entscheidender Konflikt. Und nun? Es ist nicht die einzige Zwickmühle, in die sich die Ampel sehenden Auges und gegen jeden Rat begeben hat. Denn Staatsverschuldung ist auch nicht umsonst zu haben, auch wenn es „nur Geld“ ist, wie Wirtschaftskenner Robert Habeck großspurig erklärt. Seit der Zinswende ist Geld teuer. Staatsverschuldung muss mühsam finanziert werden, und Investitionen auch. „Alles ist möglich“, klappt nicht mehr. Seit die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen erhöht, schlägt das mit mittleren zweistelligen Milliardenbeträgen im Bundeshaushalt durch. Der frühere Stabilitätsanker in der EZB-Zone ist gebrochen.

Hilferufe der Industrie
Der Tut-Nichts-Kanzler
Auch die Wirtschaft ist aufgewacht. Irgendwie hatten die Bosse gehofft, via Lindner eine wenigstens geringe Entlastung für steigende Energiepreise und Bürokratisierungskosten zu erhalten. Jetzt droht der Pustekuchen. Pfiffe und Geschrei musste sich Olaf Scholz auf einem Unternehmertag in Düsseldorf anhören, bei dem sonst gedämpfter Applaus üblich ist. Zudem hatte er nur eine Botschaft dabei, die das Dilemma der Industrie noch verschärft: Es wird keinen verbilligten  Industriestrom für die Industrie gegen; 4 Cent hatte er selbst noch im Wahlkampf als Höchstgrenze genannt, 6 Cent sein Wirtschaftsminister Habeck. Das ist meilenweit von den 40 Cent entfernt, die derzeit für Industriestrom fällig werden, auch wenn die Tarife nach Region, Abnahmemenge und Unternehmen breit variieren. „Ein schuldenfinanziertes Strohfeuer, das die Inflation wieder anheizt, oder eine Dauersubvention von Strompreisen mit der Gießkanne können wir uns nicht leisten“, erklärte der Kanzler.
Scholz in der Zwickmühle von Wirtschafts- und Sozialpolitik

Da hat er Recht. Leider seine Kritiker auch. Bei einem Strompreis von 6 Cent, allein für energieintensive Unternehmen wie Stahl- oder Aluminiumwerke, werden die Kosten auf etwa 25 bis 30 Milliarden Euro beziffert, so ein Arbeitspapier von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Wird der Strom auch für Handwerker und Mittelständler verbilligt und kommen auch weniger hungrige Stromfresser in den Genuss, dann explodieren die Kosten ins Unbezahlbare. Unbezahlbar sind aber auch die Kosten der Deindustrialisierung. Die Abwanderung oder Stilllegung von Unternehmen ist die zwangsläufige Folge der derzeitigen Energiepolitik.

Derzeit gibt es keinen Weg, um das Unbezahlbare bezahlbar zu machen. Denn es geht erst richtig los: 50 Gaskraftwerke will Robert Habeck bauen lassen, um den grünen Wackelstrom zu stabilisieren – technisch, betrieblich und wirtschaftlich ein Vorhaben, das mindestens einen weiteren zweistelligen Betrag verschlingen wird. Neue Windräder sollen die Rettung bringen. Aber die windgünstigen Standorte sind längst erschlossen; und Windräder sind, da der Wind tatsächlich keine Rechnung sendet, Kapitalfresser. Was sich bei Null-Zinsen noch einigermaßen gerechnet hat, wird bei 5 Prozent Zinsen zum wirtschaftlichen Desaster und treibt die Strompreise.

Die Fälle Thyssen, Siemens Energy, Uniper
Habecks Turbo in die Subventionswirtschaft
Auch die Wasserstoffstrategie, eines der hoffnungsvollsten Narrative der rot-grünen Energiepolitik zeigt gerade das hässliche Gesicht der Realität: Der Stromriese RWE will nur bei massiver Staatshilfe ins grüne Wirtschaftswunder einsteigen – der erhoffte grüne Wasserstoff wird zum nächsten Subventionsverbrenner. Dabei sollte der Strom doch billiger werden. So hat das grüne Superhirn Katrin Göring-Eckardt das Abwürgen der Kernkraftwerke begründet – wieder Pustekuchen.

Jetzt zeigt sich, dass die Energiepolitik der jetzigen Bundesregierung, die die Fehler der Vorgängerregierung nur noch verschärft hat, statt sie zu korrigieren, die Wirtschaft in Deutschland in eine Zwangslage explodierender Kosten manövriert hat, aus der es keinen Ausweg gibt – der Krieg in der Ukraine und die Folgen des Boykotts russischen Öls ist nur eine Ausrede. Die Zerstörung eines der wichtigsten Teile der Infrastruktur aus ideologischer Uneinsichtigkeit ist politisch gewollt, auch wenn es jetzt keiner gewesen sein will.

Aus dem Tiefschlaf erwacht: die Wirtschaft

Jetzt maulen sogar die Wirtschaftsvertreter. Lange hatten sie es sich bequem gemacht. „Haltung zeigen“ lautete das Erfolgsrezept, das der Billig-Discounter Penny im Extrem vorlebt: Preise verdoppeln, und aus dem Billig-Discounter einen leeren Teuer-Discounter machen, Hauptsache man gefällt einigen Funktionären, die allerdings nie und nimmer dort einkaufen. Statt Konflikte auszutragen und Positionen zu vertreten, wollten die allermeisten Unternehmer lieber Medien, Stiftungen, NGOs, Parteien und öffentlichen Einrichtungen mit immer neuen Bekenntnissen gefallen; wahlweise in Fragen von LGBTQ, Gender, Anti-Rassismus, Wokeness und nicht zuletzt auch beim Klimawandel nach Sprachregelung der herrschenden Political Correctness, selbst wenn sie die dahinterstehenden Überzeugungen gar nicht teilen.

Zu lange hatten sie Kritik Altvorderen wie dem gewesenen Linde-Chef Helmut Reitzle überlassen, der erklärt hat, die Energiepolitik von Windrädern und Strom für Alles sei weder technisch darstellbar noch bezahlbar und daher „schlichtweg Irrsinn“. Aber die Lämmer haben nicht nur beim Thema Energie und Steuern geschwiegen; ganz generell riechen sie jetzt den Schlachthof. Zu lange hatten sie versucht, ihre Betriebe als einsame Inseln im Meer des rotgrünen Irrsinns zu führen. Spätestens mit Habeck aber greift der Staat in jeden Bereich der Unternehmensführung ein; schreibt Verfahren und Produkte wie das Elektro-Auto zwingend vor und steuert mit täglich neuen Planvorgaben; mit dem jüngsten Schlag, dem Meldestellengeetz, werden sie von Iinnen ausgehöhlt.

Habecks neuer Plan:
Exportförderung nur noch für grüne deutsche Produkte
Habeck hat die Werkszäune überwunden und managed mit. Lange hatten staatliche Subventionen für Dies & Das, staatliche Kaufanreize wie beispielsweise für das Elektroauto, für fette Profite gesorgt. VW und die anderen Hersteller konnten die Lasten der Umstellung auf kleinere und mittlere Zuliefererindustrien abladen und die Gewinne für sich verbuchen. Aber jetzt überrollt die Kaufzurückhaltung in Verbindung mit chinesischen Billigimporten für die austauschbar gewordenen E-Karren die Bequemlichkeits-Vorstände und überfährt die Belegschaften.

Schneller als erwartet scheitert die Habeck’sche Planwirtschaft schon in ihrer Anlaufphase an wirtschaftlichen Realitäten und Zwängen, von denen sich die komplett wirtschaftsunerfahrenen Steuerleute keinerlei Vorstellung machen, dass es sie überhaupt geben kann und darf. Marktwirtschaft darf ja nur noch staatliche Vorgaben im Detail variieren, so Habecks wirtschaftspolitisches Credo.

Abgeschoben ins Rentner-Schließfach

Begleitet wird dieses Globalphänomen vom Sterben des Einzelhandels und der großstädtischen Einkaufsmeilen. Die staatlich gewollte und geförderte Inflation frisst die Kaufkraft der Konsumenten, da der ordinäre Angestellte, Arbeiter oder Rentner nicht wie die Mitglieder der Bundesregierung in den Genuss der Inflationsausgleichsprämie für Beamte und Regierung kommt. Die schwindende Kaufkraft macht das, was ihr Name signalisiert: Sie schrumpft die Wirtschaft.

DDR-Wohnraumbewirtschaftung
Idee der Grünen: Rentner sollen Häuser für junge Familien räumen
Und genau da droht der nächste soziale Großkonflikt: Die massive Verarmung weiter Teile der Bevölkerung. Weil nicht gebaut wird, fehlen Einkommen der im Bau- und Ausstattungsgewerbe Tätigen bis hin zu Möbelindustrie und -handel. Weil nicht gebaut wird, fehlen Wohnungen und steigen die Mieten. Im Vorfeld der grünen Partei wird immer lauter darüber nachgedacht, Ältere aus ihren vergleichsweise großen Wohnungen und Häusern einfach in Rentner-Schließfächer umzusiedeln.

Das verstehen die Betroffenen durchaus richtig: Eigentum ist nur noch Verfügungsmasse der grünen Wirtschafts- und Einwanderungspolitik. Der Plattenbau ist wieder Maßstab der Wohnungspolitik. Wer 40 oder 50 Jahre gearbeitet hat, wird mit einer dürftigen Rente abgespeist – und abgeschoben, um den Niemals-Beschäftigten aus der Zuwanderungsindustrie Platz zu machen. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen schickt Karl Lauterbach in die Pleite, um die wohnortnahe Versorgung zu Gunsten von fernen, aber vermeintlich preiswert zu betreibenden Großkliniken und Pflegezentren zu zerstören. 

Wo ist eigentlich das Klimageld abgeblieben?

Kommentar zur CO2-Steuer
Die Besteuerung der Luft muss weg! – Wohlstandsvernichtung durch die Ampel
Gleichzeitig steigen gegen jedes FDP-Versprechen Steuern und Abgaben. Der damalige Finanzminister Olaf Scholz hatte versprochen, dass die Grundsteuerreform insgesamt aufkommensneutral abgewickelt werde. Jetzt stellen die Steuerpflichtigen fest, dass sie mit riesigem Aufwand die Formulare für den Strick ausgefüllt haben, an dem sie wirtschaftlich aufgehängt werden. Was allerdings nur die Vorwegnahme der Folgen des Wärmepumpengesetzes ist: Was du erarbeitet hast – es ist für die Katz’, lautet das neue Motto. Für die steigenden Luft-Steuern, die CO2-Abgabe genannt werden, war zum Ausgleich ein Klimageld versprochen worden. Die Steuern kommen, das Klimageld behält Lindner für sich. Wieder: Pustekuchen. Dem Staat zu vertrauen? Das ist vorbei. Nur unter Schmerzen wird das gelernt.

Irgendwoher muss ja das Geld kommen, auch beim drohenden Bankrott der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Wenn schon nicht für Klimapolitik-Geschädigte, Rentner, Industrie – der ständig wachsende Staatsapparat, Inflationsausgleich für seine Beschäftigten, neue Flugzeuge für die Regierenden und ein ins monströse vergrößerte Kanzleramt und ähnlicher Schnickschnack müssen ja auch irgendwie finanziert werden.

Vermutlich muss man das den letzten Arbeitnehmern der verdampfenden Industrie, den ausgeplünderten Familien und den kurz gehaltenen Rentnern nur besser erklären. Die große Transformation erfordert halt auch Opfer.


Roland Tichy lädt zur Diskussion ein

Am 9. September 2023 lädt Roland Tichy zur Diskussion im Rahmen der „Bauen Kaufen Wohnen“ Messe in Dresden ein. Hier will er der Frage nachgehen, wie Bauen wieder erschwinglich werden kann, wie die Wohnmodelle der Zukunft aussehen können und ob das Modell vom Eigenheim tatsächlich überholt ist.

Auf dem Podium sind zu Gast:

Tickets für die Diskussion sind hier erhältlich. Bitte beachten Sie, dass das Kontingent begrenzt ist.

Die mobile Version verlassen