Tichys Einblick
Bundespolizei schlägt Alarm

Bilanz 2022: Gewalt und Kriminalität an deutschen Bahnhöfen greifen immer stärker um sich

Nach drei Jahren Corona-Schonfrist ist klar: Gewalttaten an deutschen Bahnhöfen wuchsen seit 2019 fast um ein Drittel an. Messertaten und Sexualdelikte verdoppelten sich knapp. Der Anteil der Tatverdächtigen ohne deutschen Pass liegt dabei unverhältnismäßig hoch.

IMAGO/Ralph Peters

Und wieder schockiert ein internes Dokument der Bundespolizei. Es ist der Bericht „Gewaltdelikte auf Bahnanlagen im Jahr 2022“, aus dem die Bild und andere Medien ausführlich zitieren. Eine Bahnreise konnte früher ein Ausflug für die Seele sein. In ein Buch oder die Zeitung vertieft, fuhr man, allen irdischen Sorgen enthoben, von Stadt zu Stadt, ließ Wiesen und Wälder an sich vorbeiziehen. Aber diese Erfahrung könnte schon heute der Vergangenheit angehören, zumindest für die wachsameren Zeitgenossen. Deutsche Bahnhöfe sind laut dem Bundespolizeibericht längst zu Zonen erhöhter Gefahr geworden. Das dürfte mittelfristig auch den Bahnverkehr betreffen, beeinträchtigt ihn wohl heute schon für viele.

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Die auf Bahnhöfen bundesweit zuständige Bundespolizei stellt demnach fest, dass es im Vergleich mit 2019 im vergangenen Jahr fast ein Drittel mehr Gewalttaten gab. Konkret war es ein Plus von 28,4 Prozent in drei Jahren. 17.099 Gewaltdelikte gab es damit in einem einzigen Jahr auf deutschen Bahnhöfen. Das sind mehr als 46 Gewalttaten am Tag und praktisch zwei pro Stunde, wie auch die Bild ausgerechnet hat.

Von der Polizei konnten 12.289 Tatverdächtige ermittelt werden, was den Tatvorwurf der Körperverletzung angeht (14.155 Taten). Der Hauptbahnhof Hamburg liegt hier bundesweit an der Spitze, gefolgt von Nürnberg, Frankfurt am Main und Köln. In Nordrhein-Westfalen gab es 4.500 Gewaltstraftaten, ein Drittel davon wurde im Ruhrgebiet begangen. In Norddeutschland (Direktion Hannover) und der Direktion Berlin gab es jeweils über 3.500 Gewaltdelikte. In Hannover häuften sich die Widerstandsdelikte gegen die Staatsgewalt, es folgen München und Leipzig.

Dabei sticht wieder einmal hervor, dass knapp die Hälfte der Tatverdächtigen bei Körperverletzung (5.776) keinen deutschen Pass hatten. Das bedeutet freilich nicht, dass die anderen 53 Prozent (6.513 Tatverdächtige) Herkunftsdeutsche gewesen wären. Vielmehr spricht aus statistischer Sicht viel dafür, dass auch unter ihnen der Anteil mit Migrationshintergrund erhöht ist – eben weil ja auch der Anteil der Migranten ohne deutschen Pass unverhältnismäßig hoch liegt.

Messer und andere gefährliche Werkzeuge spielen größere Rolle

Aber auch Raubüberfälle und sexuelle Übergriffe haben zugenommen. Die größten Schwerpunkte der zunehmenden Bahnhofsgewalt sind erneut die Hauptbahnhöfe von Hamburg, Hannover und Nürnberg. Es folgen Frankfurt, Berlin, Köln, München, Dortmund, Leipzig und Düsseldorf (mehr solcher Hitlisten hier).

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Spitzen der Gewalt wurden vor allem in der Zeit des Neun-Euro-Tickets verzeichnet, speziell abends und an Wochenenden. Mehr als 20.000 Mal wurde Diebstahl im letzten Jahr angezeigt – ein Anwachsen von zwölf Prozent gegenüber dem Vor-Pandemie-Jahr 2019. Raub und Erpressung nahmen derweil sogar um 31 Prozent zu. In absoluten Zahlen ist das noch nicht sehr viel mit 708 Fällen, rund zwei pro Tag. Dennoch wird jeder zustimmen, dass ein Raubüberfall unangenehmer als ein Diebstahl ist und ausgehen kann. Der Hauptbahnhof Frankfurt sah die meisten Raubüberfälle. Ein extremer Anstieg führte den Hauptbahnhof Essen in diesem Feld auf den dritten Platz bundesweit. Auf dem vierten Platz folgte Düsseldorf.

Auch Messer und „andere gefährliche Gegenstände“ spielten eine wachsende Rolle in den Jahren 2019 bis 2022, mit einer Gesamtzunahme um satte 44,5 Prozent bei Messern. Insgesamt gab es 432 Gewaltdelikte mit Messereinsatz im Jahr 2022. Jeden Tag wird auf irgendeinem deutschen Bahnhof ein Messer gezückt und auch benutzt. Noch stärker war der Zuwachs bei den „gefährlichen Werkzeugen“, die am Ende des Zeitraums fast doppelt so oft verwandt wurden (plus 80,4 Prozent). Dazu eignet sich freilich auch ein angespitzter Bleistift oder ein gelöster Gürtel. Fast 5.500 Reisende wurden so zum Opfer von Bedrohungen. Das waren 120 Prozent mehr als noch 2019.

Vier bis fünf Sexualdelikte am Tag, nur auf der Bahn, ohne Dunkelfeld

Sexualdelikte stiegen um 43 Prozent auf 1.693 in einem Jahr an. Das waren vier bis fünf Delikte an jedem einzelnen Tag, nur auf deutschen Bahnhöfen. Wenn man sich das Dunkelfeld, das nie zur Anzeige kam, vergegenwärtigt, sind das grauenhafte Zustände für Frauen, die allein und selbstbestimmt unterwegs sein wollen.

Auch das hochgefährliche „absichtliche Stoßen vor Bahnen“ nahm um 30 Prozent zu: 78 Mal geschah das bundesweit, je zehn Mal in Berlin und Frankfurt. Doch auch in Köln (drei Mal), Stuttgart und Freiburg im Breisgau (jeweils zwei Mal) gab es solche niederträchtigen, unmenschlichen Taten. Insgesamt wurden dabei 57 Menschen verletzt, 13 davon schwer. Eine Person starb bei einem derart hinterhältigen Angriff.

Kein Wunder ist angesichts dieser Zahlen und Zunahmen, dass die Bundespolizeigewerkschaft das Mehr an Beamten, das ihnen einst von Nancy Faeser zugesagt wurde, heute einfordert. 3.500 zusätzliche Bundespolizisten seien allein für den „bahnpolizeilichen Bereich“ erforderlich, so der stellvertretende Gewerkschaftsvorsitzende Manuel Ostermann.

Es ist kein Wunder, dass die Deutsche Bahn und ihr Umfeld von dieser neuen Kriminalität belastet wird. Die großen Bahnhöfe der Republik, einst waren sie Kathedralen der Moderne, erbaut mit Reiterstatuen davor, Ausweise des Fortschritts – inzwischen sammelt sich dort vielerorts ein trübes Gemisch aus Obdachlosigkeit, Drogensucht und folglich auch Beschaffungskriminalität, das noch einmal eine eigene Betrachtung verdiente.

Und ja, auch der Görlitzer Park war ja einmal einer dieser schön errichteten Bahnhöfe, bevor ihn engagierte Proto-Grüne zum Park umbauten. Inzwischen drängt sich dort die Idee eines großen ehernen Zauns auf, den man zur Nacht abschließen kann. Das kann man vermutlich nicht mit den deutschen Bahnanlagen machen, obwohl…

Bahnsteigsperre, Anhalter Bahnhof, Berlin, um 1930 (Quelle: Facebook-Profil Deutsche Bahn Konzern)

 

Bahnsteigsperre im Frankfurter Hauptbahnhof, 23. Juli 1960 (Quelle: Wikimedia Commons)

 

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