Ich schreibe ungern in der Ich-Form. Aber mein Leiden ist immens. Ich musste mitten in der Nacht – nach einem elend überlangen Fußballabend – eine eigentlich längst vorab gemütlich aufgezeichnete Sendung ansehen. Damit Sie jetzt ganz entspannt überfliegen können, was Sie (nicht) verpasst haben. Ich beneide Sie darum. Nur das überbordende Zeilenhonorar, das Tichys Einblick in der schönen Tradition internationaler Zentralbanken unter permanenter Neuverschuldung an mich ausschüttet, kann mein Leiden etwas dämpfen. Es gilt übrigens auch für angefangene und sehr kurze Zeilen.
Das finde ich gut.
Sehr gut.
Hoch lebe Tichys Einblick!
Hoch!
Also kommen wir zur schlechten Nachricht: Die Sommerpause der Talkshows ist vorbei. Es gibt wieder Hart aber Fair. Und? Hat sich das Warten gelohnt? Selbstverständlich nicht. Sie können an dieser Stelle aufhören zu lesen. Sie Glücklicher:in:nen:öse!
Es ist alles so geblieben, wie es immer war: Herunterbeten von Regierungsnarrativen. Probleme ausblenden und nichtige Nebenaspekte zum Thema hochjazzen. Die alte Leier. Der Meinungskorridor wird von vornherein aufs Engste abgesteckt. Proudly presented by you, the Zwangsgebührenzahler! Wir werden für unsere eigene Gehirnwäsche zur Kasse gebeten. 18,36 Euro. Monat für Monat, Montag für Montag. Nach der Sommerpause – ach, war die herrlich – werden wir nun wieder mit dem Klamroth-Beutel gepudert. Es ist, man muss es so deutlich sagen, schlichtweg unerträglich.
Alle plädieren für unbegrenzte Zuwanderung? Nicht alle. Thorsten Frei von der CDU will zumindest europaweite Kontingente. Aber das bedeutet für Deutschland im Endeffekt genauso viele Migranten, wie es jetzt sind, das gibt er unumwunden zu. Und das sind im ersten Halbjahr 2023 bereits 175.000 Asylanträge, also 78 Prozent (!) mehr als im Vorjahr. Dies also ist der klitzekleine, vorab festgezurrte Meinungskorridor. Und selbst der ist den anderen Gästen bereits zu extrem. Allen voran zwei schnappatmigen Damen.
Wiebke Judith etwa, Vertreterin von Pro Asyl, kann wahrscheinlich nichts dafür, dass sie sogar im Ruhezustand ziemlich mitgenommen aussieht. Aber wenn Thorsten Frei spricht, drehen ihre aufgerissenen Augen Pirouetten. Ihr Mund schreit selbst bei geschlossenen Vokalen. Ihre Gegenargumente: ein Wust anekdotischer Einzelbeispiele. Die Dame kann man diskursiv getrost abhaken. Für „Hart aber Fair“ also wie gemacht.
Ein Lichtblick für Freunde des Fremdschämens: Lars Castellucci von der SPD. Der Fraktionssprecher für Migration und Integration ist der schlaffsitzende Beweis dafür, dass C(harme) & A(nmut) noch immer kurios geformte Anzüge verkaufen, aber das nur nebenbei. Was er sagt? Wenig. Regierungsnarrative. Eh klar.
„Es kommen Menschen, die jung, stark, kräftig und gesund sind, die tausende Euro für Schlepper bezahlen können“, sagt Thorsten Frei. Ah, da schau her, geht’s jetzt endlich zur Sache? Nein, nicht doch, da sei Louis Klamroth vor. Niemand will wissen, warum offenbar nur junge Männer flüchten. Warum syrische Flüchtlinge, die angeblich vor Verfolgung fliehen, regelmäßig in Syrien Heimaturlaub machen. Warum Flix-Busse in die Ukraine ständig ausgebucht sind, weil die Flüchtlinge nach Empfang des deutschen Bürgergelds wieder zurück in die Heimat fahren. Monat für Monat …
Und die explodierende Zahl von Gewaltdelikten? Tausende Messerangriffe? Gruppenvergewaltigungen? Ein von Migranten zusammengeschlagener AfD-Politiker? Angst in der Bevölkerung? Keine Zeit, wir müssen weiter im Narrativ.
Frei versucht es nochmal: „Wenn Menschen durch sechs, sieben sichere Länder gehen, bevor sie zu uns kommen, dann kann man nicht davon sprechen, dass wir Menschenleben retten.“ Eigentlich ein finaler Blattschuss. Aber nicht in dieser Runde. Es folgt eine Streubombe aus Totschlagargumenten: „Das sind Vorschläge rechter Parteien, was sie hier machen“, ätzt Köktürk. Und Lars Castellucci spricht von „Angst und Panikmache. Es ist nicht so, dass wir vor einer neuen Völkerwanderung stehen.“ Hmm, mal überlegen. Jetzt, wo er es sagt …
Apropos sagen: Wenn die C&A-Verkäuferin sagt: „Mensch der Anzug sitzt aber Bombe“, kann es sein, dass sie einfach nur Feierabend haben will. Aber das nur nebenbei.