Seit Dezember 2022 berichtet TE regelmäßig über die Enthüllungen der sogenannten Twitter-Files. Sie offenbarten einen Kraken (halb)-staatlicher Netzwerke, die gerne im Gewand von NGOs und Initiativen den individuellen Diskurs im Internet regulieren, bestimmen und zensieren wollten. Zwar offenbarten die Twitter-Files vor allem das Prozedere beim Kurznachrichtendienst Twitter, Emailverläufe und Chatprotokolle machten aber bereits damals deutlich, dass diese Form der Einflussnahme auch bei anderen Internetriesen verbreitet war.
Nun aber veröffentlichte der republikanische Senator Jim Jordan eine neue Reihe, diesmal allerdings von Facebook, dessen Chef Mark Zuckerberg sich, im Gegensatz zu X-Chef Elon Musk, nicht explizit zu freier Meinungsäußerung auf seiner Plattform bekannt hat.
Die veröffentlichten Informationen, präsentiert unter dem Namen Facebook-Files, zeigen nicht nur die selben Mechanismen der Unterdrückung unliebsamer Stimmen wie die Twitter-Files zuvor, sie belegen direkten Druck des Weißen Hauses unter Joe Biden auf die Zensur bei Facebook, vor allem im Zusammenhang mit der Unterdrückung impfkritischer Berichterstattung, selbst in Fällen, bei denen es um nachweislich korrekte Kritik ging.
Wer braucht denn NGOs? Einflussnahme kann die Regierung auch selbst
Anstatt jedoch, wie bisher aus den Twitter-Files bekannt, über den Umweg der NGOs prominente Einzelstimmen zu unterdrücken, zeigen die Facebook-Files direkte Einflussnahme des Digital Strategy Office des Weißen Hauses auf Facebook. Zentrales Phänomen der Einflussnahme ist die Einführung eines Whitelist/Greylist/Blacklist (weiße Liste/graue Liste/schwarze Liste) Systems, in dem der Algorithmus nicht nur Einzelstimmen, sondern ganze Medienanstalten gefördert oder unterdrückt wurden. Dies bestätigt nun erstmals das hinlänglich bekannte Gefühl, dass regierungsnahe Publikationen wie die New York Times oder die Washington Post von den Algorithmen gefördert, während kritische Medien unterdrückt wurden. Die graue Liste beinhaltet jene Medien, die nicht explizit vom Diskurs ausgeschlossen, aber „unter Beobachtung“ stehen. Wenn diese sich gut benehmen, werden sie angeboten, falls nicht, werden sie unterdrückt.
Warum aber ließ Facebook das mit sich machen? Wie Michael Shellenberger berichtet, setzte sich Facebooks Vizepräsident für globale Angelegenheiten, Nick Clegg, persönlich dafür ein, dass Facebook-Mitarbeiter dem Aufruf der Biden-Regierung Folge leisteten, denn Facebook war hinsichtlich „Datenflüssen“ auf die Mitarbeit der angewiesen. Damit bezog sich Clegg auf die Affäre rund um die unrechtmäßigen Datenflüsse europäischer Facebook-Nutzer in die USA, für die Facebooks US-Werbekunden zwar gutes Geld an Facebook zahlen, für die aber die EU Facebook 2021 eine Strafe von 1,3 Milliarden Euro wegen Verstoßes gegen europäische Privatsphäreregularien aufgebrummt hatte. Kurze Zeit später verkündeten die EU und die USA eine Übereinkunft, das „EU-US Data Privacy Framework“, das Facebook auch zukünftig den Datentransfer europäischer Nutzer ermöglichen würde. Eine Hand wäscht die andere.
Ein NATO-Erfolgsmodell zur Diskurskontrolle auch in Europa
Mike Benz, ehemaliger Mitarbeiter der Trump-Administration und Gründer der Foundation for Freedom Online, berichtete darüber, dass die Entwicklung dieses Systems zurückgeht auf eine Kooperation zwischen dem Atlantic Council und der NATO, die bereits 2017 erstmals das „Transatlantic Forum on Strategic Communications“ (StratCom) veranstalteten. Mit dabei waren damals auch Tech-Riesen wie Google und Facebook. Die Podiumsdiskussionen handelten dabei von Themen wie „Straight Out of the Kremlin’s Toolkit: Strategies of State Actors“ („Geradewegs aus der Werkzeuglade des Kreml: Strategien staatlicher Akteure“) und „Transatlantic Response to Disinformation: Paving a Way Forward“ („Transatlantische Antwort auf Desinformation: Einen Weg nach vorne aufweisen“). Die Legitimierung der Bekämpfung angeblicher Desinformation erfolgt bereits seit langem unter dem Deckmantel der Gefahr russischer Propaganda. Damit fiel sie vor allem in den baltischen Staaten, die traditionell wachsam gegenüber russischer Einflussnahme sind, auf fruchtbaren Boden. Bereits 2014 gründete die Nato in Riga das „Stratcom Center of Excellence“, dessen Schwerpunkte u.a. auf der „Analyse von Strategien für Gegennarrative, Narrativentwicklung und -Beurteilung“ liegen.
Unter dem Vorwand der Einzäunung des russischen Bären ging es aber vor allem rechter und konservativer Berichterstattung an den Kragen. Die Einführung von Initiativen wie „Google Owl“ oder dem „Trust Project“ führten zu einer Kategorisierung von Medien anhand – de facto – ihrer Regierungstreue, was letztendlich in dem Whitelist/Greylist/Blacklist Modell mündete, infolge dessen bis heute auf Facebook kritische und unabhängige Medien wie Tichys Einblick in ihrer Reichweite massiv eingeschränkt werden. Was die Zusammenarbeit transatlantischer Akteure und der NATO ebenfalls belegt, ist die Tatsache, dass es sich dabei eben keineswegs um ein isoliertes US-Problem handelt, sondern dass diese Einflussnahme der US-Regierung und supranationaler Organisationen sehr wohl bis tief in den europäischen Raum vordrang.
Der direkte Eingriff staatlicher Akteure in die Medienlandschaft mit einer eindeutigen Bevorzugung bestimmter regierungsnaher Medien ist gleichzusetzen mit einer Kartellbildung, wobei vor allem der mediale Nachkriegs-Status-quo, in dem eine kleine Reihe staatlicher oder staatsnaher Medien (die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland) über ein Narrativmonopol verfügt, wiederhergestellt werden soll. Der Aufstieg des Internets hat dieses Monopol aufgebrochen, die Facebook-Files zeigen, wie es wiederhergestellt werden soll.