Neuneinhalb Wochen hat die Affäre zwischen Mickey Rourke und Kim Basinger im Film gedauert. Nix Ernstes. Nur Sex. Der dafür wild. Keine sieben Wochen hielt die Beziehung zwischen Friedrich Merz und Markus Söder. Vor 41 Tagen betonten sie noch, wie gut unter den beiden Vorsitzenden CDU und CSU zusammenarbeiten würden. Nun ist es Söder, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit Merz in die Parade fährt.
Zuerst in der Frage um die „Brandmauer“ zur AfD. Nun in der Frage, wann die Union ihren Kanzlerkandidaten aufstellen soll. Merz ist für den Spätsommer nächstes Jahr – Söder für den Herbst. Der wesentliche Unterschied dabei ist: Der CSU-Chef will die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg abwarten. Es mache wenig Sinn, einen Kanzlerkandidaten zu nominieren, der dann in diesen Wahlen verbrannt würde.
Zwei Momente sind daran interessant: Söder scheint die Wahlen in Ostdeutschland schon abgeschrieben zu haben. Sonst könnte ein Kanzlerkandidat ja auch von diesen Triumphen profitieren. Außerdem wünscht sich Söder den gemeinsamen Kandidaten dann aufzustellen, wenn die Schwesternpartei gerade eine verstörende Niederlage hinter sich hat. Etwa die, hinter der AfD gelandet zu sein. Sodass ein gemeinsamer Kandidat von der CSU umso attraktiver wirken würde. Um eine lange Geschichte abzukürzen: Söder will Kanzlerkandidat werden.
Zwar hat Söder schon gesagt, er wolle kein Kanzlerkandidat mehr werden. Aber das bedeutet beim bayerischen Ministerpräsidenten nichts. Er war schon für und gegen den Ausstieg aus der Kernkraft, während Corona „Team Vorsicht“ und „Team Öffnung“ oder eben Merz‘ bester Freund und sein größter Kritiker. Rourke und Basinger haben sich im Schnitt mehr Zeit für das Vorspiel genommen als Söder für einen Meinungswechsel.
Allerdings ist Söders Wendigkeit mehr als nur ein persönliches Defizit. Es ist ein Symptom für die Merkel-Zeit und deren Folgen für die Union: Unter der Kanzlerin hat der Typus Söder Karriere gemacht. Karrieristen, denen es egal ist, ob sie für oder gegen Kernkraft sind. Denen nur wichtig ist, was davon eine Mehrheit bekommt. Dieser Typus geht nicht in die Politik, um etwas zu gestalten. Dieser Typus geht in die Politik, um in der Politik zu sein: Geld, Dienstwagen und die Macht, den eigenen Leuten einen Gefallen tun zu können – das ist ihr Antrieb.
Diesen Typus hat die Union nicht exklusiv. Doch SPD, FDP und die Grünen haben etwas, das der Partei Konrad Adenauers abhandengekommen ist: ein Werte-Raster. Taucht ein neues Thema auf, können sie ihre Position anhand dieses Rasters leicht finden. Zumindest wenn sie in der Opposition sind und sie nicht von Regierungszwängen beherrscht werden. Ein solches Raster hat die Union unter Angela Merkel zugunsten von Meinungsumfragen aufgegeben.
Derzeit ist die CDU dabei, sich ein neues Grundsatz-Programm zu geben. Der Prozess soll sich noch bis in den Mai ziehen. Denn die CDU hat keine Grundsätze mehr, die sie einfach zu einem Programm zusammentragen könnte. Stattdessen designt die Partei Positionen, die möglichst zeitgeistig klingen sollen. Und wie auch der Kanzlerkandidat soll das Grundsatz-Programm nicht zu früh präsentiert werden: Damit es nicht schon bis zum Herbst 2025 verbrannt ist.
Aus diesen fehlenden Grundsätzen ergeben sich zwei Probleme. Zum einen fehlt der CDU ein einheitlicher Auftritt. Die einzelnen Äußerungen führender CDU-Mitglieder wirken wie eine Kakophonie, von der nichts in Erinnerung bleibt: Mal fordert Gesundheitspolitiker Tino Sorge einen staatlichen Lohn für pflegende Menschen, dann will aber der Parteivorstand „keine neuen Belastungen in der Krise“. Andreas Jung sagt, es gäbe wichtigere Themen als Gendern – in einer Partei, die sich gerade eine Frauenquote verpasst hat. Dann will Generalsekretär Carsten Linnemann Normalverdiener steuerlich entlasten und die Schuldenbremse einhalten, aber der Regierende Bürgermeister in Berlin Kai Wegner fordert massive staatliche Investitionen in der Krise – was weder mit Schuldenbremse noch mit steuerlicher Entlastung vereinbar wäre. Ohnehin Wegner: Der hat in Berlin als konservativer Hardliner kandidiert und regiert nun als wokes Robert-Habeck-Imitat. Seine gesammelten Aussagen stehen in einem so heftigen Widerspruch zueinander, dass der Schluss von Neuneinhalb Wochen schon wieder versöhnlich wirkt.
Grotesk wirkt, dass CDU und CSU am 30. Juni einen Zehn-Punkte-Plan vorstellen – und die CDU im August einen Fünf-Punkte-Plan. Augenfälliger könnte die Union ihre Zerstrittenheit nicht machen. Obendrein beweist die Partei Heiner Geißlers damit ihre aktuelle Unfähigkeit zu PR. Denn mal ehrlich: Wer bekommt mehr als drei Forderungen aus den diversen Punkte-Plänen zusammen? Ohne Google.
Die fehlenden Grundsätze führen aber zu einem weiteren Problem: Es gibt keine Lager mehr. Keinen Wertekanon, der unterschiedliche Kandidaten dazu bringt, sich gegenseitig auch dann zu unterstützen, wenn sie persönlich keinen Vorteil daraus ziehen – einfach, weil sie gemeinsame Inhalte teilen. Statt der Lager gibt es Seilschaften. Interessengruppen, die dadurch zusammengehalten werden, sich gegenseitig nach oben zu ziehen. Um in der Metapher zu bleiben: Wer möchte schon in einer Steilwand hängen und dabei sein Leben von der Standhaftigkeit eines Markus Söder abhängig machen?
Friedrich Merz ist nur noch ein Watschenaugust. Diese Erkenntnis hatten wir schon, da hat sich nichts daran geändert. Dass er Kanzlerkandidat wird, glaubt wahrscheinlich nur noch er. Egal, ob es sich im Sommer oder im Spätherbst 2024 entscheidet. Doch von den Kronprinzen ist keiner stark genug, um sich statt seiner automatisch aufzudrängen. Wir haben die Kandidaten schon im Juni vorgestellt – mittlerweile kommt noch Wegner dazu. Der Union steht da noch ein übles Wechselspiel unterschiedlicher Koalitionen innerhalb der Partei bevor.
Ein Problem der größten Opposition muss noch genannt werden: Kaum ein Wähler dürfte ihr noch abkaufen, dass irgendwas anders werden würde, wenn die Grünen mit der Union statt mit der SPD regieren. Dafür haben Merz, Wegner und die anderen Kronprinzen schon zu oft signalisiert, dass sie den Grünen nachzugeben bereit sind – wenn sie selber nicht eh schon merkelgrün sind.
So wankt die CDU nun durch die Phase, in der die Wahlperiode auf ihre Halbzeit zugeht: zerstritten, ohne Grundsätze, ohne echtes Führungspersonal, ungeschickt in PR-Fragen – und keine wirkliche Alternative zur Regierung. Man könnte als Journalist jetzt vom Ende anderer christdemokratischen Parteien in Europa berichten und dass dieses Schicksal der Union droht. Doch das ist gar nicht nötig. Merz macht das selber auf Twitter: „Es ist unsere Verantwortung, gemeinsam dafür zu sorgen, dass wir nicht auseinanderbrechen, nicht als Partei verschwinden.“ Ganz ehrlich – deutlicher könnten wir es auch nicht ausdrücken. Bliebe nur der Ratschlag an Merz und Söder, sich an Rourke und Basinger ein Beispiel zu nehmen: einfach aufhören, wenn’s vorbei ist.