Tichys Einblick
Glosse – Journalist im Machtrausch

Der Zeit-Geist und die Diktatur

Die „Zeit“ will für Grün-Links agitieren, gegen Marktwirtschaft und gegen Demokratie. Das misslingt monumental. Nicht zum ersten Mal erweist sich das Branchenblatt aller Besserwisser als geistige Nulllinie des deutschen Medienbetriebs.

IMAGO

Jeder von uns kennt doch so Leute, bei denen man froh ist, dass sie es mit ihrer charakterlichen Grundausstattung nicht auf eine machtvolle Position in der Politik geschafft haben, sondern nur auf den Stuhl eines stellvertretenden Ressortleiters bei der „Zeit“.

Mark Schieritz zum Beispiel. Kennen Sie nicht? Das macht rein gar nichts, für Ihr Seelenheil ist es sogar sicher sehr vorteilhaft. Der Mann ist Vize-Chef für Politik bei der taumelnden Hamburger Wochenzeitung.

Die hat im Moment ja damit zu kämpfen, dass innerhalb recht kurzer Zeit schon der zweite vermeintlich jüdische Star-Autor als – nun ja, man kann es nicht anders sagen – Hochstapler aufgeflogen ist. Es hat sich herausgestellt: Der Betreffende ist gar kein Jude, obwohl er das Als-Jude-schlecht-über-Israel-schreiben zu seinem eigentlichen Geschäftsmodell gemacht hatte. Also schon wieder eine erfundene Biografie in der „Zeit“-Redaktion, und die Chefetage hat trotz zahlreicher eindringlicher Warnungen wieder rein gar nichts mitbekommen.

Blöd gelaufen. Da muss man sich allabendlich im edlen Fischereihafenrestaurant beim Hummer Thermidor nebst sündhaft teurer Weinbegleitung von den ähnlich überbezahlten Führungskräften der anderen Hamburger Medien schon wieder hämische Bemerkungen anhören.

Das Leben ist schlecht.

Auch einem stellvertretenden Ressortleiter kann da schon mal der eitle Kragen platzen. Also setzt er sich an die Tastatur und macht aus seinem Ärger über das gemeine Gelächter der Konkurrenz einen Text. In dem kübelt er dann seinen ganzen Frust über jene aus, die für ihn ganz unten auf der gesellschaftlichen Leiter stehen: die Bürger.

„Das Land ist am Ende, heißt es gerade oft. Dabei braucht es vor allem ein paar Veränderungen – die müssen auch mal gegen den Willen der Bevölkerung umgesetzt werden.“

So schreibt, ohne einen Anflug von Ironie, Mark Schieritz.

Der restliche Text ist leicht zusammengefasst: Kanzler Scholz und Vizekanzler Habeck machen sehr viel richtig. Mit Ludwig Erhard – also mit der Marktwirtschaft – kommt man heutzutage nicht weiter. E-Mobilität ist toll, die Schuldenbremse ist schlecht. Die Energiewende geht nicht schnell genug, und schuld daran ist das Volk:

„Und wie bei der Agenda 2010 wird ein solches Programm nicht immer mit, sondern manchmal auch gegen den Willen der Bevölkerung umgesetzt werden müssen. Für viele Menschen ist Veränderung nämlich keine Verheißung, sondern eine Bedrohung. Wer auf einen gesellschaftlichen Konsens hofft, der hofft vermutlich vergeblich. Manchmal gilt: Deckel drauf und durchtransformieren.“

Für Menschen, die den niederen Pöbel schon immer für zu beschränkt hielten, um mitreden zu dürfen – also für den traditionellen „Zeit“-Abonnenten – klingt das vermutlich toll. Dumm nur, dass es verfassungswidrig ist. Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes sagt: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“

Steht da wirklich. Klingt komisch, ist aber so.

Für Mitarbeiter der „Zeit“: Ein Artikel ist so etwas wie ein Mini-Kapitel im Grundgesetz. Das Grundgesetz ist ein sehr altes Buch – war mal ein Bestseller, kriegt man immer noch bei Amazon oder in gut sortierten Antiquariaten. Ein Antiquariat ist … Ach, vergesst es: Man kriegt den Text bei Amazon.

Ein stellvertretender Ressortleiter der „Zeit“ steht aber natürlich über solchen Petitessen wie dem Demokratieprinzip, und alte Bücher wie das Grundgesetz sind ja auch nur was für alte weiße Männer.

Es kommt einem ein verrückter Gedanke: Ist es vielleicht so, dass manche deutsche Journalisten sich selbst einfach gar nicht mehr spüren? Meinen diese Leute vielleicht deshalb allen Ernstes, sie seien schlauer als die demokratische Mehrheit? Und glauben diese Leute vielleicht – heimlich, wenn sie ganz alleine sind – dass sie als Diktator womöglich gar keine so schlechte Alternative für das Land wären?

Vielleicht war ja aber auch nur der Hummer nicht mehr ganz frisch.

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