Söders Zahlen wachsen also nicht in den Himmel – und sie geben die blanke Not der Union wieder. Wüst lehnen viel Unionswähler ab. Nicht einmal ein Drittel derer, die Union wählen würden, entschieden sich für Hendrik Wüst, für Friedrich Merz ein Fünftel. Fragt man alle Wähler, wer die besten Chancen für den Einzug in das Bundeskanzleramt besitzt, so bleibt die Reihenfolge erhalten, allerdings mit wesentlich weniger Stimmen, 27 % halten Söder für den aussichtsreichsten Herausforderer von Olaf Scholz, 26 % Hendrik Wüst, 14 % Friedrich Merz.
Die Union ist weder kampagnefähig, noch verfügt sie über einen überzeugenden Personalvorschlag. Der „Favorit“ der kleinen Zahlen dient als Notanker, er ist nicht gut, er scheint nur weniger schlecht, als die anderen beiden zu sein. Doch seine Fähigkeit zu mobilisieren, muss Markus Söder im Herbst in der Bayernwahl noch unter Beweis stellen. Mag der Wähler auch geneigt sein, Söders Pandemie Politik zu verzeihen, so ist Söders größtes Handicap, dass niemand weiß, wofür Söder steht, wenn es zum Schwur kommt – und das verheerende daran ist, nicht einmal Markus Söder weiß das. Von Söder ist, jede denkbare und jede undenkbare Wendung zu erwarten. Für grün, gegen grün, mit grün – wer weiß. Und wenn es in Bayern eine starke Linke gäbe, dann klänge er wohl wie Daniel Günther, nur eben auf fränkisch.
Bleibt noch Friedrich Merz, der Parteivorsitzende von der unglücklichen Gestalt. Einst war Friedrich Merz der Kandidat der Basis, die sich gegen den Apparat durchgesetzt hatte. Viele atmeten auf, hofften. Merzens grundsätzlicher Fehler, aus dem alle anderen folgten, bestand darin, dass er nicht geschickt das Bündnis mit der Basis geschmiedet, stattdessen einen Pakt mit dem Apparat, einen Burgfrieden mit den Merkelianern gesucht und die Basis verraten hatte. Er hatte sich sogar den Generalsekretär von den Merkelianern diktieren lassen, der dann auch von Anfang an erwartungsgemäß gegen den Pateivorsitzenden Merz arbeitete. Dümmer geht nimmer.
Es war doch klar, dass der Apparat Merz loswerden wollte. Merzens Agenda hätte deshalb lauten müssen: Neuaufstellung der CDU, Schaffung einer Programmatik in dem Sinne, dass der Programmprozess keine intellektuelle Spielwiese wird, sondern die Abrechnung mit dem Merkelismus zur Änderung der Machtverhältnisse in der Partei führt.
Friedrich Merz enttäuschte seine Unterstützer, er paktierte mit denen, die ihn genüsslich demontierten. Carsten Linnemann hat, als Generalsekretär erst kurz im Amt, sich in den letzten Tagen als geschickter Ausputzer für seinen Parteichef erwiesen. Recht hat er mit der Feststellung: „Ich habe immer mehr den Eindruck, dass einige ihn bewusst missverstehen wollen.“ Ja, sicher, schließlich wollen diejenigen ihn auch stürzen. Möglicherweise machen sie Laschet zum Parteivorsitzenden und wollen Wüst zum Kanzlerkandidaten erheben. Vielleicht wird man Wüsts Ostproblem dadurch zu beheben versuchen, dass man einen CDU-Politiker aus dem Osten auf den Parteivorsitz schiebt. Das Problem besteht nur darin, dass die Herren, die aus der Sicht des Apparats dafür in Frage kämen, über zu wenig Hausmacht und über eine zu geringe Integrationskraft verfügen. Zur Stunde würde der Kampf um die Kanzlerkandidatur zwischen Wüst und Söder ausgetragen werden. Aber da noch genügend Zeit bis zur Wahl verbleibt, kann sich noch und wird sich noch genügend ereignen.
Die CDU zerbröselt, sie hat kaum noch Politiker, die mitten im Leben stehen, sondern Leute, die parteiinterne Intrigen für den Gipfelpunkt von Politik halten.
Hat Merz noch eine Chance? Wohl kaum. Er benötigte vier Dinge, die von ihm nicht zu erwarten sind. Erstens müsste er kämpfen und einzahlen wollen. Zweitens müsste er sich ein Team schaffen, dass intellektuell breiter aufgestellt und nicht nur aus Parteipolitikern und Konservativen von gestern besteht. Drittens bräuchte er eine Programmatik als Aktionsplan, die auf einen „Bierdeckel“ passt, und viertens eine Medienstrategie. Was man bisher von Merz erlebt hat, scheitert der Parteivorsitzende schon am ersten Punkt.
Die Aufarbeitung der Merkelzeit und der Bruch mit dem Merkelismus sind für die Partei von existentieller Bedeutung, wenn sie diese Auseinandersetzung nicht führt, wird die Auseinandersetzung mit ihr geführt.