Spricht ein Jurist über Literatur, ist das eine private Meinungsäußerung, spricht der Bundeskanzler zur Literatur, wird es schnell zur amtlichen Äußerung, auch wenn heuchlerisch so getan werden mag, als sei das lediglich eine private Meinung, die der Herr Bundeskanzler da gegenüber der Süddeutschen Zeitung in seinen Ferien zu Protokoll gegeben hat. Doch wenn der Bundeskanzler so eindeutig, so normativ, so dezidiert über Literatur spricht, dann ist es alles andere als privat, dann ist es ein Programm, ein Zensurprogramm, das es in sich hat, weil dahinter ein totalitäres Erziehungsprogramm steht.
Bereits 2002 forderte er als Generalsekretär der SPD: „Wir wollen die Lufthoheit über den Kinderbetten erobern.“ Doch wer die totale Verfügungsgewalt über unsere Kinder verlangt, der begreift die Erziehung der Kinder als Schlachtfeld, deren Ziel nicht der mündige Bürger ist, der kennt die Aufklärung nur als Feindbild. Man muss Olaf Scholz dankbar sein, dass er damals die ganze Brutalität sozialdemokratischer und auch grüner Familien- und Erziehungspolitik in ein so deutliches Bild packte, denn was unter Lufthoheit in einem Krieg zu verstehen ist, weiß jeder, welch Verletzlichkeit der Begriff der Kinderbetten assoziiert, auch. Über den Kinderbetten kreisen die Jäger und Bomber woker Ideologie. Die WELT kommentierte die Entgleisung des Generalsekretärs der SPD damals mit den Worten: „Und im Rückspiegel verblasst das auf der Ehe basierende Lebensideal der Mutter-Vater-Kind-Beziehung.“ Dass es dann doch nicht verblasste, ist dem erschütternden Umstand zu verdanken, dass genau das auf der Ehe basierende Lebensideal der Mutter-Vater-Kind-Beziehung zum Feindbild der Merkel-Regierung, mehr noch zum Feindbild der Ampel erhoben wurde. Denn heterosexuelle Väter und Mütter dürfen sich mit dem Segen des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Kai Wegner, und der SPD-Senatorin Kizziltepe inzwischen als „Hetero-Sau“ beschimpfen lassen. Wer dagegen aufbegehrt, darf, wenn es Wegner, Pantisano, Lehmann und all den anderen gelungen sein wird, den Artikel 3 des Grundgesetzes zu ändern, dann mit Besuch von Haldenwangs Leuten rechnen.
Der Jäger über den Kinderbetten, Olaf Scholz, möchte also darüber bestimmen, was Kinder zu lesen haben und was nicht. Also weg mit „Pippi Langstrumpf“, mit Comics wie „Tim und Struppi“ oder mit Michael Endes „Jim Knopf“, stattdessen Bücher mit so instruktiven Inhalt wie: „Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt als Themen frühkindlicher Inklusionspädagogik“, wobei in diesem Fall Inklusionspädagogik nur ein anderes Wort für Indoktrinationspädagogik darstellt. Lieber Drag Queens mit ihren Phantasien in die Kitas, wie jüngst in München, statt Michael Endes „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“? Lieber Frühsexualisierung als unbeschwerte Kindheit. Lieber Geschichten, in denen die kleine Susanna sich schon einmal daran gewöhnen kann, was der Autor ihrer Geschichte, ein gewisser Robert Habeck, später einmal als Wirtschaftsminister für sie und andere verursachen wird, nämlich wie schön ein Stromausfall sein kann, statt Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“
Der Bundeskanzler und Jurist Olaf Scholz verlangt, dass in den Texten von Astrid Lindgren, von Hergé’s Tim und Struppi oder von Michael Ende deutlich gemacht wird, „was so heute nicht mehr in Ordnung ist.“ Darf künftig also nur noch erscheinen, was Olaf Scholz, Ferda Ataman, Sven Lehmann oder Alfonso Pantisano „in Ordnung finden“?
Meint Scholz, der sicher Lenins Aufsatz „Parteiorganisation und Parteiliteratur“ aus dem Jahr 1905 kennt, schließlich hat sich Scholz in seiner Juso-Zeit „selbstverständlich durch die Gesamtheit der marxistischen Literatur gewühlt“: „Die literarische Tätigkeit muss zu einem Teil der allgemeinen proletarischen Sache, zu einem ‚Rädchen und Schräubchen‘ des einen einheitlichen, großen sozialdemokratischen Mechanismus werden, der von dem ganzen politisch bewussten Vortrupp der ganzen Arbeiterklasse in Bewegung gesetzt wird. Die literarische Betätigung muss ein Bestandteil der organisierten, planmäßigen, vereinigten sozialdemokratischen Parteiarbeit werden“? Das bedeutet: „Die Zeitungen müssen Organe der verschiedenen Parteiorganisationen werden. Die Literaten müssen unbedingt Parteiorganisationen angehören. Verlage und Lager, Läden und Leseräume, Bibliotheken und Buchvertriebe – alles dies muss der Partei unterstehen und ihr rechenschaftspflichtig sein. Diese ganze Arbeit muss vom organisierten sozialistischen Proletariat verfolgt und kontrolliert werden […]“?
Vielleicht setzt Scholz ja einen Bundesbeauftragten für die Reinigung der Kinderliteratur ein, so eine Art Hauptabteilung Verlage. Er könnte aber auch diese neue Abteilung bei Haldenwangs Regierungsschutz oder bei einer der eintausendundeins vom Staat finanzierten Antidiskriminierungsdiskriminierungs-NGOs oder gleich bei der Amadeo Antonio Stiftung ansiedeln.
Wie nachhaltig jedoch der damalige Juso- und junge SPD-Funktionär Scholz von der SED und der DDR geprägt wurde, dekuvriert seine Empfehlung, dass man Säuberungen an alten Kinderbüchern vornehmen muss und man auf jeden Fall „Probleme sichtbar“ zu machen und „in Vor- und Nachworten und mit Hinweisen im Text“ zu arbeiten hat. Welches Kind soll noch Freude an der Literatur entwickeln, wenn es kommentierte Texte liest, Texte, deren Erzähllauf stets von „Hinweisen“ unterbrochen wird? Welches Kind soll noch Freude an der Literatur entwickeln, wenn es nicht von der Erzählung mitgerissen werden kann in das Land der Phantasie und Erfindung, weil jeder Aufbruch durch Belehrungen verhindert wird? So werden Texte zu pädagogischem Material, sie haben dadurch nur leider ihren literarischen Wert verloren. Doch woher sollte ein SPD-Funktionär wissen, worin das Literarische von Literatur besteht? Was Texte sind, was Literatur ist? In der woken Gesinnungsanstalt, in die Scholzens Ampel Deutschland verwandelt, wird die Subversivität von Literatur zum Feind, letztlich die Literatur, die gar nichts anderes sein kann als subversiv, als eine Zumutung.
Mit der Aufforderung Probleme in Vor- und Nachworten sichtbar zu machen, erweist sich Scholz als gelehriger Schüler des letzten Kulturchefs der DDR, Kurt Hager. In der DDR tobte ein Kampf um Texte, nicht nur der Gegenwartsliteratur, sondern auch des literarischen und philosophischen Erbes. Friedrich Nietzsche und Ernst Jünger bspw. erschienen nie in der DDR, Franz Kafka und Karl May erst nach langen Kämpfen. Wurde ein Text gegen die Zensur durchgesetzt, wurde zur Bedingung gemacht, dass ein Literaturwissenschaftler ein einordnendes Vor- oder Nachwort zu schreiben hatte. Dies musste im Geist des Marxismus-Leninismus, den auch Olaf Scholz von jugendauf tief in sich aufgenommen hatte, verfasst sein. Diese Vor- und Nachworte spiegelten also nicht unbedingt die Meinung des Literaturwissenschaftlers wieder, sondern dienten als Mittel zum Zweck – und der Zweck bestand in der Veröffentlichung, der Zugänglich- und Öffentlichmachung des Textes. Nach der Wende wurden auch diese Nachworte den ostdeutschen Germanisten zum Vorwurf gemacht, ohne auch nur die geringste Notiz davon zu nehmen, welche Funktion sie zu erfüllen hatten.
Das hat letale Auswirkungen auf die Literaturkritik, weil Literaturkritiker nicht mehr ihr Handwerk verstehen. Es geht nur noch um Gefühl, Haltung und Gesinnung. Symptomatisch steht dafür das Statement einer Literaturkritikerin im Deutschlandfunk Kultur: „’Buddenbrooks’ war beim Wiederlesen ein viel schlichterer Roman, als ich ihn in Erinnerung hatte. Natürlich gibt es großartige Passagen darin. Aber es ist kein Buch, das es verdient hat, immer noch an der Spitze des deutschen Literaturkanons zu stehen. Es repräsentiert vielmehr eine sehr eingeschränkte männlich-bürgerliche Sichtweise auf die Gesellschaft.“ Während Jean Raspails Roman „Das Heerlager der Heiligen“ 2007 noch von Lorenz Jäger in der FAZ hymnisch besprochen wurde, druckte der Tagesspiegel 2015 zur Heiligsprechung der Masseneinwanderung eine „Lesewarnung“, die nicht ein einziges ästhetisches Kriterium anführte. Freilich, die Rezension von Jäger würde heute in der mit der Taz wetteifernden FAZ auch kaum mehr erscheinen. Der Tagesspiegel-Rezensent Gregor Dotzauer versah sogar den erneuten Abdruck seiner Rezension von Tellkamps „Eisvogel“ aus dem Jahr 2005 im Jahr 2018 mit einem „Warnhinweis“. #
Was hat sich geändert? Der Roman wohl nicht? Ist es nicht Aufgabe von Literaturkritik, sich auf den Text zu konzentrieren? Ebenfalls im Tagesspiegel denunzierte Katrin Hillgruber den Schriftsteller Tellkamp, indem sie behauptete, dass der Erzähler „eins zu eins in die Figur des Wiggo Ritter geschlüpft“ wäre. Die Verwechslung von Autoren- und Figurensprache stellte übrigens eine Konstituente stalinistischer Literaturkritik dar. So wundert es nicht, wenn 150- bis 250-Seiten-Romane en masse produziert werden, von den Angehörigen der 666 Geschlechter fabriziert, die ergriffen um das eigene Seelchen herumtanzen und es, sobald sie es in ihrem Vorgärtchen liebevoll eingepflanzt haben, beständig mit einem Sud übergießen, der seine Herkunft aus der intellektuellen Bedeutungslosigkeit nicht zu verhehlen vermag. Diese von der Schönheit ihrer eigenen Seele ergriffenen Autoren teilen in ihrem Krähwinkel, das sie mit der Welt verwechseln, das biedermeierliche Leben der Lektoren, Rezensenten, Redakteure und Preisrichter.
Der FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube verhöhnt Ludwig Börne, indem er den Börne-Preis in ausgesuchter Servilität Robert Habeck zuspricht. Schriftsteller, die nicht bereit sind, den Anspruch der Literatur aufzugeben, werden von den großen Publikumsverlagen immer seltener gedruckt, von der Presse boykottiert oder diffamiert, von Literatur- oder Lese-Festivals ausgeladen oder gar nicht erst eingeladen. Der Literaturbetrieb hat mit seinen totalitären und effizienten Mechanismen Autoren domestiziert und die Literatur damit verödet.
Eine der Heldinnen der Antidiskriminierungsdiskriminierung, Christiane Kassama, die zum Zeitpunkt des Interviews mit der ZEIT eine Kita in Scholzens Hamburg leitet, gibt zu Protokoll: „Jim Knopf wird leider noch oft gelesen. Jim Knopf reproduziert viele Klischees, zum angeblich typischen Wesen und Äußeren von Schwarzen. Jim Knopf ist so, wie sich Weiße ein lustiges, freches, schwarzes Kind vorstellen. Auch Pippi Langstrumpf liegt als Buch fast in jeder Kita.“ Also weg mit Pippi Langstrumpf, weg mit Jim Knopf! Dass Kassama nichts von Literatur versteht, ist offensichtlich, aber das spielt in einem Land keine Rolle mehr, in dem nur noch als Literatur gilt, was den woken Prüfstempel trägt. Denn das Literatur nicht Typen, sondern Figuren erzählt, ist ihr fremd.
Damit Jim Knopf und Pippi Langstrumpf den Kindern nicht mehr vorgelesen wird, hatte Kassama in ihrer Kita verfügt: „Im Februar habe ich gesagt: Der Black History Month steht an, wie können wir den umsetzen? Eine Kollegin schlug vor, vorübergehend nur Kinderbücher mit schwarzen Hauptfiguren in der Bibliothek zu belassen. Das hat gut funktioniert, gut im Sinne von: Es hat niemand gemerkt. Kein Kind hat ein Buch vermisst.“ So werden Kinder dumm gehalten, denn was ihnen nicht vermittelt wird, das kennen sie auch nicht. Bücher müssen nicht mehr verbannt werden, es reicht, wenn sie einfach nicht mehr da oder entsprechend verändert worden sind. Über diese Details können sich Scholz und Kassama ja noch austauschen. Kassama zeigt sich jedenfalls stolz darauf, dass ihre Propaganda, ihr Critical-Whiteness-Training oder ein Antirassismustraining, an dem ihre Kita-Erziehernenn verpflichtet sind teilzunehmen, folgende Wirkung erzielte: „“Boah, wir müssen sofort unsere Bilderbücher überprüfen.“ Das ist meistens der erste Satz. Die Kolleginnen und Kollegen merken plötzlich, was sie jeden Tag vorlesen. Vorher haben sie gedacht: Ach, damit bin ich selbst groß geworden, so schlimm kann das nicht sein. Und dann wachen sie auf. Viele Bilderbücher transportieren unbewusst Klischees und damit Rassismus. Kinder, die von Rassismus betroffen sind, identifizieren sich damit und weiße Kinder wachsen mit dieser Einstellung unbewusst auf.“ Das ist der Angriff von Leuten, die weder etwas von Kultur verstehen, noch vor der Kultur eine Achtung empfinden, das ist der Angriff auf unsere Kultur. Das ist Dekonstruktivismus auf Groschenromanniveau.
Wenn die Grünen, die nie etwas anderes als Kulturkampf betrieben haben, nun aufheulen und den Konservativen und wirklichen Liberalen vorwerfen, den Kulturkampf zu eröffnen, dann tun die Konservativen und wirklichen Liberalen in Wahrheit nichts anderes, als unsere große und tolerante Kultur gegen den neuen Totalitarismus zu verteidigen.
Es ist die Arroganz der Macht zu glauben, dass Literatur, und Kinderliteratur zumal, nur „pädagogisches Material“ ist. Scholz behauptet in dem Interview gern zu lesen. Das mag stimmen. Doch, was er an Lektüre anführt, beeindruckt nicht allzu sehr und erweist sich auf dem zweiten Blick auch als bloßstellend, denn er habe in den Achtzigern viel gelesen, „von Christa Wolf, Elfriede Jelinek, Mario Vargas Llosa, Isabel Allende, Gabriel García Márquez, Tom Wolfe, Bruce Chatwin, Paul Bowles und, von ihm angeregt, vieles aus Nordafrika“. Und, war es das? Das ist eben nur das, was man in den achtziger Jahren gelesen haben musste, um irgendwie dazuzugehören. Doch wesentliches fehlt. Und sonst so? Heute? Tellkamp? Fehlanzeige. Wenn man heute etwas als SPD-Kanzler liest, muss es schon ein People of Color Autor sein, ein Mohamed Mbougar Sarrs, der in der woken Gesellschaft hipp ist, weil er, große Überraschung, sich mit dem Rassismus beschäftigt. Jedenfalls sind sich Scholz und Macron einig, dass das ein ganz „tolles Buch“ sei – und irgendeine deutsche Jury wird das sicher auch so sehen. Es würde doch sehr verwundern, wenn das Buch nicht im Herbst irgendeinen der woken Preise, die früher Buchpreise waren, erhalten würde.
Gönnen wir dem Kanzler diese Lektüre, denn hier muss er beim Lesen keinen Hinweis mitformulieren oder um eine einordnendes Vor- oder Nachwort bitten.
Man muss jetzt die gedruckten Kinderbücher aus den Antiquariaten kaufen, wenn man die authentischen Texte für sich und seine Kinder haben möchte. Der Angriff auf den Textbestand unserer Literatur läuft mit dem Segen des Kanzlers.
TE setzte schon seit einiger Zeit im Heft die Reihe „Klassiker – neu gelesen dagegen“.