Ihm reicht’s. Christian Lindner schreibt sich die Seele frei. Auf Twitter erklärt er am Mittwoch in vier zusammenhängenden Beiträgen, wie es mit Deutschland weitergehen müsste: Die deutsche Wirtschaft sei nicht wettbewerbsfähig genug. „Eine Trendumkehr ist dringlich.“ Dazu gehöre, dass „finanzielle Möglichkeiten für Investitonen statt neuer Verteilungsideen genutzt werden“ müssen. Aber: „Breite Konjunkturprogramme finanziert mit Staatsschulden sind nicht angezeigt.“ Denn Deutschland habe kein Problem mit der Nachfrage, sondern mit den „Angebotsbedingungen“.
Christian Lindner: Der Minister mit der gespaltenen Zunge
Christian Lindner will die Wirtschaft stärken, aber keine staatlichen Verteilorgien mehr. Nur: Die Ampel macht genau das Gegenteil von dem, was ihr Finanzminister fordert – sie macht es mit seiner Zustimmung.
Gut gebrüllt, Löwe. Wir brauchen keine staatlichen Verteilungsorgien à la „Doppelwumms“. Das Geld müsse bei den Unternehmen bleiben, damit sie es investieren können, anstatt dass der Staat es umverteilt. Die Bedingungen, die der Staat bisher für die Wirtschaft schafft, sind ein Problem. Gesprochen wie ein echter Liberaler, Christian Lindner. So könnte es gehen. Deswegen haben sich rund 10 Prozent der Wähler für die FDP entschieden.
Es gibt nur ein Problem: Was Christian Lindner sagt, schreibt und fordert, ist das Eine. Was Christian Lindner in der Ampel umsetzt, ist exakt das Gegenteil davon. Nach der Sommerpause plant die Regierung, der er angehört, Bürger und Wirtschaft weiter zu schröpfen, um damit das Umverteilungsmonster Staat zu füttern. Die „finanziellen Möglichkeiten“ werden nicht für „Investitionen“ genutzt, sondern für „neue Verteilungsideen“. Lindner spricht mit gespaltener Zunge. Was er sagt, klingt liberal – nur macht er das Gegenteil davon.
Die „neue Verteilungsidee“ für die 30 Milliarden Euro, die zusätzlich von der Wirtschaft zum Staat wandern sollen: der Ausbau des Schienennetzes. Nur: Der Dachverband VDV hat bereits festgestellt, dass nicht die vollen Einnahmen im Haushalt des Verkehrsministeriums auftauchen. Ein Teil der „finanziellen Möglichkeiten“ versickert also in Lindners Haushalt und dessen Nebenkassen. Zudem braucht es eine Zeit, bis sich Investitionen in die Schiene auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft auswirken.
Wobei sich die fast verdoppelte LKW-Maut auch unmittelbar auf die Wirtschaft auswirken wird. Nur halt negativ. Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) sagt: Die höhere Maut sei faktisch eine Steuererhöhung. Zahlen werde dafür der Verbraucher, weil die Spediteure die höheren Ausgaben auf die Preise umlegen müssten – wenn sie nicht gar ihre Betriebe gleich schließen müssten. Höhere Preise werden die Inflation noch mehr anfachen, die in Deutschland bereits über dem EU-Schnitt liegt. Schließende Speditionen werden die deutsche Wirtschaft weiter schrumpfen lassen. Deren Wachstum ist jetzt schon das schlechteste unter den bedeutenden Industrienationen, wie der Internationale Währungsfonds mitteilt.
Einen Vorteil hat die massive Erhöhung der LKW-Maut allerdings: Sie zeigt recht unverblümt, wie bei Christian Lindner Wort und Tat unterschiedliche Richtungen einnehmen. Das lässt sich über den Klima- und Transformationsfonds nicht sagen. Den hat Lindner als Schattenhaushalt und mit unglaublichen Summen ausgestattet. Mit ihm kann sich der Minister an den breiten Konjunkturprogrammen von Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beteiligen – aber trotzdem auf Twitter mit gespaltener Zunge so tun, als ob er genau das Gegenteil fördere.
Den Grundstock des „Klima- und Transformationsfonds“ bilden rund 60 Milliarden Euro, die aus den Corona-Hilfen übriggeblieben sind. Geld, das Scholz noch als Finanzminister den Opfern der staatlichen Pandemie-Politik versprochen hat – dann aber die Auflagen so hoch gebaut hat, dass die an dieses Geld eben nicht rankommen. Zudem soll Geld aus dem staatlichen Geschäft mit dem „CO2-Preis“ in Lindners Schattenhaushalt fließen. Zu Beginn des Jahres hatte die Ampel die Erhöhung von 30 auf 35 Euro je Tonne ausgesetzt. Das will sie nun nachholen und den nächsten Aufschlag gleich dazu draufsatteln. 40 Euro werden es wohl werden, spekuliert die FAZ.
Das wäre eine Erhöhung des CO2-Preises um 33 Prozent. Auf einen Schlag. Während fast zeitgleich die LKW-Maut um mehr als 80 Prozent steigt. Diese politischen Schritte plant Christian Lindner, während er davon redet, der Wirtschaft mehr finanziellen Spielraum lassen zu wollen. Weniger aufrichtig war demokratische Politik selten gewesen.
Lindner will die staatlichen Verteilungsprogramme aber nicht alleine den Grünen überlassen. Deshalb hat er sich das „Wachstumschancengesetz“ ausgedacht. Das sieht nicht etwa Steuersenkungen vor. Das wäre ja Marktwirtschaft. Der Verbal-Liberale Lindner zeigt sich als Tat-Sozialist und setzt darauf, dass der Staat besser als der Unternehmer weiß, an welcher Stelle „zielgerichtete Maßnahmen ergriffen“ werden müssen, um „Investitionen und Innovation in neue Technologien zu ermöglichen“.
Die wenigsten und geringfügigsten konkreten Vorschläge Lindners zielen darauf, der Wirtschaft mehr freie Hand zu lassen. Etwa ein besserer steuerlicher Verlustabzug, bessere Sofortabschreibungen bei „geringwertigen Wirtschaftsgütern“ oder die „Erhöhung des Schwellenwertes zur Befreiung von der Abgabe von vierteljährlichen Umsatzsteuer-Voranmeldungen von 1.000 Euro auf 2.000 Euro“.
Den Kern des Gesetzes bilden aber eine „Investitionsprämie zur Beförderung der Transformation der Wirtschaft in Richtung insbesondere von mehr Klimaschutz“ und mehr staatliches Geld für die Forschung. „Breite Konjunkturprogramme finanziert mit Staatsschulden sind nicht angezeigt.“ Das schreibt der Freidemokrat Lindner. Staatliches Geld sammeln und zentral planen, welche Wirtschaftssparten gefördert und gerettet werden. Das macht Genosse Lindner mit seinem Gesetz. Reden mit gespaltener Zunge. Selten sind Wort und Tat bei einem Politiker so weit auseinandergegangen wie bei Christian Lindner.
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