Tichys Einblick
Abschied der ehemaligen Kanzlerpartei

Bye, bye CDU

Friedrich Merz haben viele noch als Hoffnungsträger gesehen. Nun ist er gescheitert. Das lag an seinem eigenen Versagen, aber auch an einer Partei, die in der Funktionärsebene durchsetzt ist mit Merkel-Karrieristen - und daher keine Zukunft hat.

IMAGO / IPON

Die Kanzlerpartei. Das Attribut begleitete die CDU durch ihre Geschichte. Eine Erfolgsgeschichte. Seit 74 Jahren gibt es die Bundesrepublik. 52 Jahre davon stellte die CDU den Kanzler. Und was für welche: Konrad Adenauer, der das restlos zerstörte Land wieder zum Aufbau verhalf und dabei eine Einwanderungswelle nie gekannten Maßstabs bewältigte. Dem es aber vor allem gelang, das Volk des größten Menschheitsverbrechen wieder zurück in den Kreis der anderen Völker zu führen. Und dann Helmut Kohl, der mit einem bewundernswerten Schneid „die historische Stunde“ nutzte und die Spaltung des Landes überwand.

Die CDU hat aber noch viele andere große Persönlichkeiten hervorgebracht: Eine Rita Süssmuth zum Beispiel. Als AIDS ausbrach, stellte sie sich gegen die allgemeine Panik und gegen Parteifreunde, die AIDS-Kranke in Kolonien ansiedeln wollten. Was Süssmuth als Gesundheitsministerin wert war, lernten wir erst in der anderen Pandemie, als wir uns einem Karl „absolute Killervariante“ Lauterbach und seinem Panikorchester auslieferten.

Oder Heiner Geißler. Nicht nur wegen seiner scharfen Zunge ein bewundernswerter Mann. Sondern auch ein Erneuerer in der Sozialpolitik. Wobei dann auch Norbert Blüm genannt sein muss. Dessen „Die Rente ist sicher“ mag wie eine Parodie klingen. Heute. Unter Blüm war die Rente aber halt auch sicher. Ludwig Erhard nicht zu vergessen, dessen Versprechen „Wohlstand für alle“ weit über das Materielle hinausging. Dessen Soziale Marktwirtschaft den ideologischen Graben zwischen Kapitalisten und Sozialisten zuschüttete und das Fundament für die lebenswerteste Epoche der deutschen Geschichte bildete. So lebenswert, dass die Sozialisten ihre Landsleute nicht einmal mit Mauer, Maschinengewehren und Stasi-Sadisten darin hindern konnte, es anzustreben.

CDU-Chef rudert wieder zurück
Friedrich Merz - der Watschenaugust mit dem AfD-Problem
Die CDU hatte starke Individualisten. Doch so richtig bei sich war die Partei, wenn sie Kanzlerpartei war. Wenn sie durch Geschlossenheit dem Mann an der Spitze half, seine Ideen durchzusetzen. Das war ihre Stärke. Wie sich herausstellte, war es aber auch ihre Schwäche. Als die Frau an der Spitze Angela Merkel hieß und in ihren Entscheidungen Meinungsumfragen über Vernunft stellte. Und nicht einmal vorbestrafte Gewalttäter aus dem Land fernhalten wollte, weil das unschöne Bilder hätte geben können. Die dann aber wiederum so tun konnte, als ob die unschönen Bilder vom Breitscheidplatz mit ihr nichts zu tun hätten.

Die CDU hat manche falsche Personalentscheidung überstanden. Erhard als Kanzler zum Beispiel oder Rainer Barzel als Oppositionsführer. Weil die Partei im Kern stark war. Ihre Ortsverbände funktionierten, korrigierten bei Bedarf Fehler an der Spitze und erneuerten die Partei von unten wieder. Wer für die CDU arbeiten wollte, als Abgeordneter oder in der Verwaltung, der durfte den Kontakt zu dieser Basis nicht verlieren.

Das Entscheidende, das sich unter Merkel geändert hat: Die Funktionärsebene hat sich von der Mitgliederebene abgekoppelt. Die Union hat den Wunsch der linken Parteien mitgetragen und die Zahl der „wissenschaftlichen Mitarbeiter“, Fraktionsreferenten und politischen Stellen in der Verwaltung ausufern lassen. So konnte der Typus des Berufspolitikers auch in der Union sprießen, der außer Kreißsaal, Hörsaal und Plenarsaal kein Leben kennt, der in dieser Glocke denkt und entscheidet.

Wie sehr die Funktionärsebene und die Mitgliederebene auseinander gehen, hat die Wahl von Friedrich Merz gezeigt. Der kam durch eine Direktwahl der Mitglieder an den CDU-Vorsitz. Mit 62 Prozent der Stimmen. Helge Braun holte gerade mal 12 Prozent. Merkels Kanzleramtschef, im Monat ihrer Abwahl. Deutlicher hätte die Basis kaum ausdrücken können, dass diese Ära beendet sein soll.

Zeit für Vertrauensfrage
Die Entlarvung des Friedrich Merz: Von der Erweckungsfigur zum Totengräber
Ist sie aber nicht. Die Direktwahl ist die absolute Ausnahme. Seitdem regieren wieder die Parteitage. Dort haben aber die Ministerpräsidenten und Abgeordneten die Mehrheit, die „wissenschaftlichen Mitarbeiter“ und Fraktionsreferenten, kurzum: Alle die, die Politik als Lebensgrundlage brauchen, weil sie außer Kreißsaal, Hörsaal und Plenarsaal nichts kennen und können.

Und es ist eine Funktionärsebene, die in den zwei Jahrzehnten Angela Merkel hochgekommen ist. Die ihre Linientreue in der Kurve bewiesen hat. Die jeden Schwenk klaglos mitgemacht hat, egal wie prompt er kam und wie wenig er mit den Überzeugungen der Partei zu tun hatte. Die ihre Persönlichkeit bereitwillig abgegeben hat, um Merkel genehm zu sein – sofern je eine eigene Persönlichkeit im Weg gestanden hatte.

Friedrich Merz hat Schwäche gezeigt. Er hat die Selbstverständlichkeit erwähnt, dass man mit einem gewählten Landrat zusammenarbeiten muss, diese aber tapsig formuliert. In der Sache kann man unterschiedlicher Meinung sein. Aber wie die Partei über ihren Vorsitzenden hergefallen ist, das wünscht man vielleicht seinem ärgsten Feind – aber schon dem nur mit schlechtem Gewissen. Kevin Kühnert und das ZDF können Merz die Worte im Mund verdrehen und seine Partei assistiert ihnen dabei.

Warum: Weil sie Kühnert und dem ZDF näher sind als den Ideen von Kohl und Adenauer. Weil sie nur den Mief der Berliner Glocke kennen und den für Parfum halten. Und weil sie ihr Verhalten jetzt als schlau einschätzen und nicht als niederträchtig und dumm, weil es die Partei, die ihre Karriere-Grundlage ist, dauerhaft zerstört. Bye, bye, CDU.

Sogar Tobias Hans ist wieder zurück. Sein Vater war Fraktionsvorsitzender der CDU im saarländischen Landtag und ebnete seinem Sohn den Weg. Die Partei schenkte ihm das Amt des Ministerpräsidenten, als Annegret Kramp-Karrenbauer nach Berlin ging. Doch der Wähler wollte den Karrieristen von Parteignaden nicht. 2022 trat Hans zum ersten Mal als Spitzenkandidat an: 12,2 Prozentpunkte verloren. 28,5 Prozent in einem Land, das einst zwei christdemokratische Parteien hatte, die beide stärker waren als die Sozialdemokraten.

Jetzt gibt Hans Interviews darüber, wie ungeeignet Merz als Kandidat ist. Die Merkel-CDU ist zurück. Sinnbildlicher als mit dem gescheiterten Parteikarrieristen Hans könnte man es nicht darstellen. Die Clique wird sich auch durchsetzen. In der Funktionärsebene hat die Merkel-CDU die deutliche Mehrheit, genau deswegen konnte Merz das Amt nie richtig gestalten. 2025 werden Hendrik Wüst oder Markus Söder antreten. Sogar für Hans wäre dann wieder irgendwo ein Platz. Er hat ja sonst nichts. Er kann ja sonst nichts.

Der Sommer-General
Die sieben wilden Monate des Ruprecht Polenz und sein Feindbild Friedrich Merz
Nur: Die Wähler wollen das alles nicht mehr: 19 Prozent für die AfD in den Umfragen, sorry 20, 21, 22 … der erste Landrat, der erste Bürgermeister. Dieser Aufwind der AfD kommt von einer Opposition, die keine ist. Von einer CDU, die keine ist. Deren Vertreter schon jetzt kaum verhehlen können, wie gerne sie mit den Grünen regieren würden und dass ihnen die Ampel noch nicht grün genug ist. Doch niemand flieht vor Olaf Scholz und Robert Habeck, um Robert Habeck und Markus Söder zu bekommen. Ein Mann, der seine Meinung schneller wechselt als der Durchschnittsbürger seine Unterwäsche.

Die CDU ist ein Merkel-Wahlverein. Durchdrängt von Karrieristen, die in den Tagen des Nach-Merz ihr hässliches Gesicht offen gezeigt haben. Eine gewissenlose Clique von Leuten, die jeden Twist mitmacht, solange sie dabei im Amt bleiben, und die wie Hans mit Wahlen nur schlechte Erfahrungen gemacht haben. Eine Partei, die über ein Jahr für ihr Grundsatz-Programm braucht – weil sie keine Grundsätze mehr hat, die ein Programm ergeben. Sondern weil sie ein Programm designen will und muss, das so glatt sein wird wie die Karrieristen, die es dann vertreten.

Die CDU ist nicht zu retten. Die Merkel-Clique hat die Mehrheit. Doch Parteien sind nicht für die Ewigkeit gegründet. Erfüllen sie nicht ihren Zweck, verschwinden sie. Bye, bye, CDU. Wie das geht, haben andere europäische Länder schon vorgemacht. Eine andere Partei wird ihren Platz einnehmen. AfD? Freie Wähler? Bündnis Deutschland? Eine Partei, die noch zu gründen sein wird? Das wird sich zeigen. Einen Vorteil wird diese Partei aber schon einmal haben: Tobias Hans hat in ihr keinen Vater, der seinen Sohn nach oben schmuggeln kann.

Anzeige
Die mobile Version verlassen