Tichys Einblick
Getreidepreise steigen weltweit rasant an

Nach Stopp des Getreideabkommens: Russland will Schiffe im Schwarzen Meer als Gegner betrachten

Am Montag hat Russland das Getreideabkommen gestoppt. Seit heute Mitternacht betrachtet das Land Schiffe im Schwarzen Meer als mögliche Gegner. Wie das Verteidigungsministerium in Moskau mitteilte, würden dort Schiffe als potenzielle Träger militärischer Fracht gewertet. Auf den Agrarmärkten steigen die Getreidepreise wieder drastisch an.

IMAGO / Panama Pictures

Russland will künftig Schiffe, die im Schwarzen Meer ukrainische Häfen anlaufen, als potenzielle Träger militärischer Fracht einstufen. Das schreibt die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Novosti unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium. Alle Herkunftsländer der Schiffe will das Regime demnach als gegnerisch betrachten.

Der Kreml hatte am Montag das Getreideabkommen mit der Ukraine nicht mehr verlängert, das im vergangenen Sommer unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei zustande gekommen ist. Daraufhin wurden fast 33 Millionen Tonnen Getreide per Schiff über das Schwarze Meer ins Ausland exportiert. Hauptzielländer waren, wie Bauer Willi auf seinem Blog aufmerksam macht, China, Spanien und die Türkei. 8 Millionen Tonnen wurden nach China, 6 Millionen Tonnen nach Spanien, 3,2 Millionen Tonnen in die Türkei und jeweils 2 Millionen Tonnen nach Italien sowie in die Niederlande verschifft.

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Die meisten Getreideexporte gingen also nicht an arme Länder. So kamen in Somalia gerade einmal 53.000 Tonnen und im Sudan 95.000 Tonnen an. In Spanien werden Weizen und Mais aus der Ukraine an Schweine gefüttert, die dann vielfach nach Deutschland exportiert werden, das seine Schweineställe gerade mit atemberaubender Geschwindigkeit leert. Bauer Willi weist ebenfalls darauf hin, dass demnächst die Landwirte in der EU rund 25,7 Millionen weniger Erntemengen einbringen müssen. Nach dem Green Deal der EU sollen sie aus Umweltgründen vier Prozent ihrer Ackerfläche stilllegen und darauf Blumenwiesen mähen.

Das Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine ermöglichte der Ukraine bisher, trotz des Kriegs Getreide durch das Schwarze Meer zu exportieren. Dieses Abkommen hatte seinerzeit mitgeholfen, die weltweiten Agrarpreise wieder zu senken. Die waren im vergangenen Jahr nach Kriegsausbruch zunächst extrem angestiegen. Vor dem russischen Einmarsch gehörte die Ukraine noch zu den wichtigsten Getreideexporteuren der Welt, die rund 100 Millionen Tonnen Getreide im Jahr lieferten. Es kommen derzeit erhebliche Mengen an Getreide aus der Ukraine über Eisenbahn und LKW in die EU und führten zu bisher niedrigen Getreidepreisen. Allerdings können die Mengen über Straßen und Eisenbahntransport bei weitem nicht die Mengen erreichen, die mit Schiffen transportiert werden können. So wurden im Mai dieses Jahres nur noch 30 Prozent der Landwirtschaftsgüter per Schiff über das Schwarze Meer ausgeführt, wie das Landwirtschaftsministerium der Ukraine mitgeteilt hatte.

Inflation vor allem bei Lebensmitteln
Ganz ohne Heizperiode: Die Preise steigen wieder stärker
Importe von ukrainischem Getreide sorgen seit einiger Zeit bei europäischen Bauern für Empörung. Die EU hatte nach Kriegsbeginn die Zölle auf ukrainische Importe aufgehoben. Dies führte zu Preisen, mit denen die europäischen Bauern nicht konkurrieren können. Zudem werden immer wieder Vorwürfe laut, dass die europäischen Bauern nach hohen und damit teuren EU-Auflagen produzieren müssen, die in der Ukraine dagegen nicht. So gelten seit Mai Einschränkungen für Getreideimporte aus der Ukraine für die Länder Bulgarien, Polen, Ungarn, Rumänien und der Slowakei. Das Getreide darf aber in die anderen EU-Länder weiter transportiert und geliefert werden.

Trotz des Krieges ist Russland zum größten Weizenexporteur der Welt geworden. Es hatte seine Anbauflächen deutlich vergrößert und mehr Weizen angebaut. Außerdem verfügt das Land über ausreichende Düngermengen, die für eine ertrag- und damit erfolgreiche Landwirtschaft notwendig sind. Sanktionen gegen russische Getreidelieferungen gibt es bisher nicht. Sowohl UN als auch westliche Regierungen rufen zum Handel mit russischem Getreide auf, damit es zu keinen Engpässen vor allem in ärmeren Ländern kommt.

Die Ukraine warf laut Nachrichtenagentur Reuters jetzt Russland vor, absichtlich Getreideterminals und den Hafen von Odessa angegriffen und die Infrastruktur zerstört zu haben. Die Lager- und Verladeanlagen internationaler Händler und Transportunternehmen seien beschädigt worden und mit ihnen auch erhebliche Getreidevorräte. Jetzt steigen die Getreidepreise wieder stark an. Ursache sind Befürchtungen, die globale Lebensmittelversorgung könnte wieder in Gefahr geraten.

Ifo/Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik
Hohe Inflation weltweit erwartet
Wie dts berichtete, erwartet das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) durch den Stopp des Getreideabkommens zwischen Russland und der Ukraine steigende Lebensmittelpreise. „Dass eine Hauptschlagader des globalen Lebensmittelexports unterbrochen wird, wird sich unmittelbar auf die Preise durchschlagen und trifft die Menschen, die ohnehin schon einen Löwenanteil ihres Einkommens für Grundnahrungsmittel ausgeben müssen, am härtesten“, sagte der Leiter des Berliner WFP-Büros, Martin Frick, am Dienstag im Deutschlandfunk. „Wir erwarten, dass Hungerzahlen weiter ansteigen und dass mehr Menschen es sich nicht mehr leisten können, elementare Lebensmittel zu kaufen“, fügte er hinzu.

Besonders betroffen sei das Horn von Afrika, „wo nach sechs ausgebliebenen Regenzeiten 23 Millionen Menschen akut ernährungsunsicher sind“, der Jemen und Afghanistan. „Aber sie spüren die Schockwellen einer solchen Unterbrechung weltweit bis nach Lateinamerika. Wir haben im Prinzip momentan mehr als 70 Länder, in denen es Menschen gibt, die extrem ernährungsgefährdet sind“, so Frick.

„Das Problem, das wir haben, ist, dass die Preise auf einem Zehn-Jahres-Hoch sind, auch wenn sie in den letzten Monaten etwas gefallen sind und dass es für sehr viele Menschen in der Welt schlicht nicht mehr möglich ist, sich diese Lebensmittel zu leisten: Die Produktion ist da, wir hätten genug Lebensmittel, um die Menschen zu ernähren“, sagte er.

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