Tichys Einblick
Chaostage im CDU/SPD-Senat

Sorgt die Translobby für eine Regierungskrise in Berlin?

In der Causa Alfonso Pantisano zeigen sich Frontlinien innerhalb der Berliner Regierung. Während die Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) das Agieren des Queer-Beauftragten gegen Journalisten „zur Kenntnis nimmt“, stellt sich die Senatorin Cansel Kiziltepe (SPD) hinter ihn.

Regenbogenfahnen vor dem Roten Rathaus in Berlin (Archiv)

IMAGO / Christian Spicker

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, steht vor seiner ersten großen Bewährungsprobe. Nachdem am 14.07.2023 die Berliner Polizei die Regenbogenflagge im Beisein des Queer-Beauftragten gehisst hat und damit das Gebot der weltanschaulichen und politischen Neutralität der Organe des Staates für alle sichtbar verletzt hat. Denn die offizielle Fahne der Bundesrepublik Deutschland ist die Fahne der deutschen Demokratie – und die ist schwarz-rot-gold, kritisierte der Journalist Julian Reichelt diesen Fahnenappell in einem Tweet.

Als Reaktion auf diesen Tweet teilte Alfonso Pantisano mit: „Ich habe soeben in meiner Funktion als ‚Ansprechperson Queeres Berlin‘ beim Landeskriminalamt Strafanzeige gegen diverse Personen gestellt. Zum Einen gegen Julian Reichelt, der mit einem Retweet zur Hissung der Regenbogenfahne vor dem Berliner Polizeipräsidium aus meiner Sicht den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt.“ Geht die Berliner Regierung mit juristischen Mitteln gegen die Presse- und Meinungsfreiheit vor?

Um das zu klären, richtete TE an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, und an die Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung, Cansel Kiziltepe, der Pantisano zugeordnet ist, folgende Presseanfrage:

„Ihr Queer-Beauftragter Alfonso Pantisano hat laut eigener Aussage in seiner Funktion als ‚Ansprechperson Queeres Berlin‘ Strafanzeige wegen Volksverhetzung beim Landeskriminalamt gegen die Journalisten Julian Reichelt und die Journalistin Judith Sevinç Basad gestellt. Daraus ergeben sich folgende Fragen:
1. Hat Herr Pantisano im Auftrag der Regierung oder der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung gehandelt?
2. Wurde das Stellen der Strafanzeige mit Ihnen abgesprochen?
3. Steht die Strafanzeige aus Ihrer Sicht im Einklang mit a) der Meinungsfreiheit und b) der Pressefreiheit?
4. Wie beurteilen Sie in diesem Kontext ein Bild, in dem Herr Pantisano eine Postkarte in die Kamera hält, auf dem steht: ‚Du Hetero Sau!!!!!‘?
5. Hat es ein Gespräch mit Herrn Pantisano zu dessen Haltung zum Feminismus in Ihrer Senatsverwaltung gegeben?“

Auf die TE-Anfrage antwortete die Senatssprecherin Christine Richter: „Herr Pantisano hat hier ganz offenkundig agiert in seiner Funktion als Beauftragter, der bei Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung angesiedelt ist. Die Senatskanzlei hat dies zur Kenntnis genommen.“

Die Distanzierung von Pantisanos Vorgehen ist eindeutig. Noch eindeutiger reagierte der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus des Landes Berlin, Dirk Stettner, in einem Tweet: „Da andere Behauptungen kolportiert werden: Herr @Pantisano agiert mit diesem Vorgehen nicht im Namen des Landes Berlin und / oder der @RegBerlin.“

Das sieht die zuständige Senatorin für Pantisano, Cansel Kiziltepe, offensichtlich anders, denn sie lässt mitteilen: „der Berliner Senat hat Alfonso Pantisano am 11. Juli 2023 zum Queerbeauftragten des Landes Berlin ernennt (siehe PM im Anhang). Seitdem handelt Alfonso Pantisano in seiner Funktion als Queerbeauftragter des Landes Berlin. Alle Aktivitäten sind mit der zuständigen Senatsverwaltung abgestimmt.
Zu allen weiteren Fragen verweise ich gern auf die bisherigen ausführlichen Interview (Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Welt, queer.de, dpa), in denen Herr Pantisano zu vielen Ihrer Fragen Stellung nimmt.“

Kurios: Hat nun das Land Berlin durch seinen Queer-Beauftragten Strafanzeige wegen Volksverhetzung gegen Julian Reichelt und gegen diverse Personen gestellt, oder nicht? Wenn die Berliner Landesregierung keine Strafanzeige „gegen Julian Reichelt und gegen diverse Personen“ gestellt hat, aber „alle Aktivitäten … mit der zuständigen Senatsverwaltung abgestimmt“ sind, bedeutet das, dass die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung nicht zum Senat von Berlin, nicht zur Landesregierung von Berlin gehört. Hinzuzufügen ist, dass Kiziltepe der SPD angehört. Oder muss man sich das so vorstellen, dass Berlin zwei Landesregierungen besitzt?

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In der Causa Pantisano, denn um nichts anderes geht es in dem Eiertanz, den der Senat aufführt, zeigen sich Frontlinien innerhalb der Regierung. Bezeichnend ist, dass sich sowohl die Senatskanzlei als auch die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung um die Beantwortung der Fragen drücken. Während die Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters das Agieren des Landesqueerbeauftragten „zur Kenntnis nimmt“, wie man zur Kenntnis nimmt, was die Opposition zum Handeln der Regierung sagt, als ob der Queerbeauftragte ein Oppositionspolitiker ist, oder als ob in der schwarz-roten Regierung eine eigene Opposition existiert, stellt sich die Senatorin Cansel Kiziltepe hinter den Queer-Beauftragten.

Eine Haltung dazu, dass Pantisano Feministinnen als „Hündinnen“ bezeichnete, dass er mit einer Strafanzeige mit juristischen Mitteln gegen die Presse- und Meinungsfreiheit vorgeht, dass er eine Karte fröhlich in die Kamera hielt, auf der stand: „Du Hetero-Sau“, scheint Kiziltepe nicht zu haben. Oder stimmt sie damit überein? Ist das die Position der SPD? Hält die einstige Arbeiterpartei, die frühere Partei der „Kleinen Leute“ heterosexuelle Männer und Frauen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihre Familien ernähren und ihre Kinder erziehen, die die Mehrheit bilden und das Gros an Steuern bezahlen, den Laden am Laufen halten, für „Hetero-Säue“?

Hat die Arbeitssenatorin von der SPD dazu keine Meinung? Hat die Berliner SPD, hat Cansel Kiziltepe die Sozialpolitik mit der Identitätspolitik vertauscht? Die SPD hat natürlich jedes Recht dazu, eine identitätspolitische Partei zu sein – sie sollte es ihren Wählern nur sagen. Die Causa Pantisano ist, wie die Antwort der Senatorin zeigt, eigentlich eine Causa Kiziltepe, eine Causa SPD.

Dünnlippig verweist Kiziltepes Sprecher auf Pantisanos Interviews, um nicht selbst Stellung zu beziehen. Doch, es wird niemand verwundern, stellt sich der gutbezahlte Queer-Beauftragte, der sich als Queer-Aktivist versteht, das Regierungsmitglied, das auf Journalisten den Staatsanwalt hetzt, in typischer „Täter-Opfer-Umkehr“ in den Interviews als Opfer dar. Haben wir etwas missverstanden, hat etwa Reichelt gegen Pantisano geklagt?

Dafür, was Pantisano als Kind italienischer Eltern bei seinem Coming-out widerfahren ist, kann man Mitgefühl empfinden, es bietet aber keine Rechtfertigung dafür, gegen Andersdenkende mit den Mitteln der Kriminalisierung vorzugehen. Das kennen wir nun wirklich aus der Geschichte – und zwar aus der ostdeutschen. Wenn der Queer-Beauftragte die Funktion missbraucht, um persönliche Traumata aufarbeiten, ist er fehl am Platz – das müsste selbst die SPD begreifen.

Täter ist für Alfonso Pantisano stets der heterosexuelle Deutsche ohne Migrationshintergrund, Obertäter dann, wenn er dazu noch Christ ist, denn für ihn ist die Religion an allem schuld, insbesondere die christliche. Man gewöhnt sich inzwischen ab, bei Politikern nach tieferer Bildung zu suchen. Historisch ist das dürftig, was Pantisano zu Protokoll gibt.

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Diejenigen, die Homosexuelle tätlich angreifen, werden von Pantisano dann entschuldigt, wenn sie muslimische Wurzeln haben, denn sie handeln ja nur so, weil sie selbst Opfer sind, womit wieder die Weißen die Täter sind, die die Taten von Migranten muslimischer Herkunft erst über eine lange Kette von so ahistorischen, wie dürftigen Begründungen verursacht haben sollen. Wenn homosexuelle Paare in der Öffentlichkeit von muslimischen Jugendlichen angegriffen werden, dann sagt Pantisano über die Täter: „Als Sohn von Migrantinnen und Migranten kann ich verstehen, dass da Frust aufkommt.“ Da darf man dann schon mal zuschlagen, oder? Und natürlich behauptet Pantisano, ohne es zu belegen, dass es „genauso viele Italiener oder Deutsche“ gibt, „die queere Menschen angreifen“ – wobei er praktischerweise keinen Unterschied zwischen Diskriminierungen, die Empfindung von Diskriminierungen und tätlichen Angriffen macht.

Ein als scheel empfundener Blick gilt so viel wie ein Faustschlag. Als der Interviewer von der WELT ihn mit dem Fakt konfrontiert: „Der Berliner Verein Maneo betreut schwule und bisexuelle Männer, die von hassmotivierter Gewalt betroffen sind – und nennt ‚testosteronaufgeladene Jungmänner aus bestimmten Problemkiezen‘ als wichtigste Tätergruppe“, antwortet Pantisano nur: „Als jemand, der immer wieder selbst Rassismus erfährt, finde ich solche Aussagen schwierig, denn sie tragen nicht zur vollumfänglichen Lösung bei. Wir haben in ganz Berlin ein Problem mit queerfeindlicher Gewalt, zu jeder Tages- und Nachtzeit.“ Wann und wo erfährt Pantisano selbst „immer wieder Rassismus“? Nur Framing und Whataboutism – und ja alle, nein eigentlich nur die „Italiener und die Deutschen“ sind schuld. Pantisano verharmlost, vielleicht leugnet er sogar, dass die muslimische Community ein Problem mit aggressiver Homophobie hat.

Alfonso Pantisano hat die gesellschaftliche Debatte auf die strafrechtliche Ebene verschoben und damit verdeutlicht, dass jede Kritik an der queeren Ideologie hinfort strafrechtliche Konsequenzen haben könnte. Der Senat von Berlin muss entscheiden, ob Alfonso Pantisano dem offenen Miteinander in der Stadt nicht schadet, in dem er eine Politik der Antidiskriminierungsdiskriminierung betreibt – und Cansel Kiziltepe, ob die SPD in Berlin eine identitätspolitische oder eine sozialpolitische Partei sein will. Sie kann sich ja die Linkspartei zum Vorbild nehmen.

Die schwierigste Aufgabe allerdings steht vor dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner, er muss eine konservative und liberale Politik für alle Berliner durchsetzen, für die er gewählt worden ist. Das Wahlergebnis stellte einen großen Korb von Vorschusslorbeeren dar, die wird er sich jetzt klug und konsequent verdienen müssen. Er kann sogar die SPD als Partei der „Kleinen Leute“ beerben.


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