Manchmal haben es die Kollegen vom Boulevard leichter. Olaf Scholz (SPD) erzählt in seiner Sommerpressekonferenz, dass er 40 Jahre nicht mehr im Freibad schwimmen war. Perfekt. Schöne Überschrift. Neues Porträtfoto. Nur noch ein bisschen Füllmaterial und der Routinebeitrag steht. Dem Terminjournalismus ist genüge getan. Jetzt kann sich die Redaktion wieder unterhaltsameren Themen widmen – der Tochter von Roberto Blanco vielleicht oder einem Feature aus dem Puppenbordell.
Die politischen Journalisten haben es da schon schwerer, Nektar aus dem Auftritt von Olaf Scholz zu ziehen. 105 Minuten redet er vor der Bundespressekonferenz am Berliner Schiffbauerdamm. Aber das heißt noch lange nicht, dass er etwas sagt, was einen Artikel füllt – geschweige denn spannend oder lesenswert wäre.
Ohnehin ist die Sommerpressekonferenz für die anwesenden Journalisten nicht im eigentlichen Sinn eine schöne Veranstaltung. Trotzdem sind sie alle gekommen. Denn die Sommerpressekonferenz ist für die Hofberichterstatter das Hochamt. Hier zelebriert und betet sich die Berliner Blase selbst an. Passion und wie von Weihrauch verwirrte Sinne stören nicht – sie gehören zum Kult.
Den Journalisten kommen im Hochamt drei Aufgaben zu. Die unwesentlichste ist, Fragen zu stellen. Da darf jeder nur einmal ran. Wie bei der Kommunion oder bei der Kreuzigung. Wichtiger ist es schon für die Journalisten, gerade im Stuhl zu sitzen – was im Verlauf von 105 Minuten Olaf Scholz immer wenigeren gelingt. Am allerwichtigsten ist es, nicht in der Nase zu popeln, während man im Bild der Liveübertragung ist. Erstaunlich viele schaffen nicht einmal das.
Dann ist die Sitzungsleitung irritiert: „Hören Sie auch dieses merkwürdige Pfeifen?“ Und tatsächlich. Es klingt ein wenig wie die Tochter aus der Beziehung eines Teekessels mit einer defekten Heizung. Dann ist die Quelle erkannt: das Handy eines Pressefotografen. Er bekommt es nicht in den Griff. Nach mehrmaligen Aufforderungen verlässt er den Raum. Für einen Menschen mit einer halbwegs gelungenen Erziehung mag das ein Fauxpas sein – für einen Pressefotografen war das erstaunlich rücksichtsvoll. Fünf Minuten später klingelt das nächste Handy.
Da sitzen sie nun nachlässig in ihre Stühle gepappt, die Hände an den Lippen, um sie mühevoll von der Nase wegzuhalten. Eine solch natürliche Elite ist natürlich auserwählt. Mit dem Stellen von Fragen an den Kanzler begnügen sie sich nicht. Sie appellieren. Ob er denn mit Gegnern des Ukraine-Krieges noch weiterreden wolle – nicht endlich mehr für den „Klimaschutz“ tun wolle oder gemeinsam mit den Journalisten die Kritik an der letzten Generation ächten wolle zugunsten eben dieses „Klimaschutzes“. Es ist ein Raum voller Menschen, in dem Olaf Scholz noch wie der Mensch wirkt, der dem realen Leben am ehesten zugewandt ist.
Will jetzt noch jemand lesen, was Olaf Scholz vor dieser Runde gesagt hat? Ich habe es befürchtet. Boulevard-Journalist müsste man sein. Scholz war 40 Jahre nicht mehr im Freibad schwimmen. Das ist doch schon eine spannende Information? Nein? Nicht. Ok. Dann geht es jetzt in die Niederungen dessen, was Olaf Scholz über 105 Minuten gesagt hat .Wir verabschieden an der Stelle die Leser, die uns dorthin nicht folgen wollen.
Der Ukraine-Krieg beeinflusse die Politik. „Klimaschutz“ ist nach wie vor das wichtigste Ziel der Ampel. Den Zusammenhalt in der Gesellschaft will Scholz herbeisubventionieren. Und die Wirtschaft soll stark bleiben. Das ist alles nicht neu. Das nicht. Soll es auch nicht. Zu der PR-Strategie des Kanzlers gehört es, unaufgeregt und erwartbar zu sein. Umso langweiliger seine Vorträge sind, desto besser. Er hofft, dass wenn es zur Wahl kommt, sich die Wähler genau daran erinnern und ihn als kleineres Übel wiederwählen.
Die Bundespressekonferenz ist dafür der ideale Resonanzboden. Diese Menschen in schlechter Sitzhaltung und mit dem nervösen Finger an der Lippe stören seine Erzählungen nicht. Sie werden später als „Narrative“ davon reden, weil das nach Fachsprache klingt und geheimnisvoll und so, als ob da jemand einer großen Sache auf der Spur wäre – statt nur an einem Politritual teilzunehmen.
Olaf Scholz redet, wie das alte Neue Deutschland geschrieben hat. Der eigentliche Inhalt ist so ermüdend, dass der Leser die Lust verliert, diesen Inhalt im Ungesagten zu suchen. Etwa wenn es um das Verhältnis des Kanzlers zu dieser Journalisten-Elite geht: „Ihr habt das alles schon niedergeschrieben.“ Ihr. Man kennt sich, man hilft sich. Wir sind doch alle Kumpane. Und wer nicht Scholz‘ Kumpan ist, für den ist ein Siezen als Zeichen des Respekts eh überflüssig. Die Degradierung zu Kindern lassen sich die Hofberichterstatter gefallen. Da zuckt keine Wimper, höchstens ein Finger, der in die Nase will.
Scholz verbreitet die Legende, Deutschland sei ohne Wirtschaftskrise durch den Gasmangel gekommen. Schlechtestes Wachstum der westlichen Staaten? Abwanderndes Kapital? Steigende Arbeitslosigkeit trotz Arbeitskräftemangels? Rückläufige Produktion? Irgendeiner mit Nachfragen dazu? I wo. Der Kanzler solle doch auch mal sagen, dass wir uns nicht über die Aktionen der Klimakleber aufregen sollen – sondern über die Klimatoten an der Ahr. Das ist der Takt des Regierungsviertels. Vor allem der seiner Hofberichterstatter.
An anderer Stelle sagt Scholz: „Die Regierung will die illegale Migration begrenzen.“ Nun ist illegale Migration – der Name gibt einen Hinweis – ein Verbrechen. Die Regierung will dieses Verbrechen nur begrenzen? Nicht bekämpfen? Oder verhindern? Gibt sich die Ampel damit zufrieden, wenn Kriminalität nur weniger zunimmt? Oder wenigstens nicht ganz so doll zunimmt? Kein Thema. Was ist denn das für ein merkwürdiges Pfeifen?