Tichys Einblick
„Florida Concealed Carry - Women only“

Vorbild Florida: Schießkurs für Frauen für mehr Sicherheit?

Zu einem Schießkurs in Florida erscheint eine ganz normale Mischung amerikanischer Frauen. Stimmung gut, man beschnuppert sich freundlich, lacht, macht sich gegenseitig Komplimente. In den nächsten fünf Stunden lernen sie, wann und wie sie auf einen anderen Menschen schießen dürfen.

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Großmutter. Auf ihren Telefonen poppen von Zeit zu Zeit Titelfotos von Kindern, Enkeln oder Hunden auf. Eine ganz normale Mischung amerikanischer Frauen. Die Stimmung ist gut, man beschnuppert sich freundlich, lacht, macht gegenseitig Komplimente. In den nächsten fünf Stunden werden sie lernen, wann und wie sie auf einen anderen Menschen schießen dürfen. Die zehn Frauen sind Teilnehmerinnen des Kurses „Florida Concealed Carry – Women only“. Ich bin mit dabei.

Bevor es an die Waffe geht bekommen wir theoretischen Unterricht. Denise ist unsere Ausbilderin. Ihre Waffe nennt sie zärtlich „Stella“, trägt sie unter der Bluse griffbereit im Hosenbund. „Ohne Stella gehe nicht einmal zum Briefkasten. Wenn man seine Waffe ernst nimmt, wird sie irgendwann zu einem selbstverständlichen Accessoires, so wie die Handtasche. Sollte ich in eine gefährliche Situation kommen, bin ich gewappnet“.

Amerikaner und ihre Waffen. Die meisten Deutschen assoziieren damit sofort modernes Wild-West, im Kopfkino rattern Bilder von Straßengangs, Serienkillern oder Amokschützen. Privater Waffenbesitz ist in Deutschland verpönt. Das sture Beharren der Amis auf ihr „second amendment“, den zweiten Zusatzartikel der Verfassung, der ihnen das Recht auf eine Waffe gibt, ist Deutschen suspekt. Während der Amerikaner seine Waffe als probates Mittel sieht, sich gegen Bedrohung und Gefahr zur Wehr setzen zu können, betrachten die Deutschen dieses Konzept mit großer Ablehnung.

Das wiederum können die Teilnehmerinnen meines Kurses nicht nachvollziehen. „Ich will mich wehren können und für mich ist eine Schußwaffe „The Great Equalizer“. Wenn ich von einem Mann angegriffen werde, bin ich körperlich unterlegen. Die Waffe gibt mir Augenhöhe,“, sagt Patty, die aus Pennyslvania zugezogen ist und die geltenden Gesetze in Florida lernen möchte. Alle zehn Frauen sind ihrer Meinung. Ich erzähle von der Situation in Deutschland, den Messerangriffen, die sich in den letzten Jahren vervielfacht haben. Florinda, eine pensionierte Lehrerin, nickt. „Ich habe im Fernsehen gesehen, dass ein Mann auf dem Spielplatz Kinderwagen mit dem Messer attackierte. Hierzulande hätte ein Vater oder eine Mutter schon beim ersten Stich eine Waffe gezogen. Bei euch konnte der einfach weiter auf die Kinder einstechen. Warum lasst ihr das zu?“ Gute Frage.

Wir lernen zunächst die Theorie. Das Waffengesetz ist in Florida gelockert worden. Seit dem 1. Juli darf jeder unbescholtene Bürger mit Wohnsitz in Florida eine Waffe verdeckt am Körper oder in der Handtasche tragen, ohne dafür die „Concealed carry permit“ beantragen zu müssen. Nur für Reisen in andere Bundesstaaten wird die Karte noch benötigt. Govenor Ron DeSantis hat durch diese Gesetzesänderung mit 26 anderen Bundesstaaten gleichgezogen, in denen das verdeckte Tragen einer Waffe ohne „permit“ erlaubt ist. „Open carry“, also das offene Tragen einer Waffe wie es zum Beispiel in Texas erlaubt ist, bleibt in Florida weiterhin verboten.

Demokraten kritisieren die Gesetzesänderung, nennen sie ein Zugeständnis an die Waffenlobby. Aber ist der Unterschied zwischen „concealed carry“ mit und ohne Lizenz wirklich so groß? Wird die Änderung zu mehr Schießereien im Sunshine State führen? „Einen Ganoven hat es noch nie interessiert, was das Gesetz sagt. Und nach wie vor gelten ganz genaue Bestimmungen dafür, wann und wo ich meine Waffe tragen darf. Daran hat sich nichts geändert“, weiß Paul, der in unserem Kurs über die rechtliche Lage aufklärt.

Bisher war das Tragen der Waffe nur erlaubt, wenn man eine Lizenz hatte. Dazu musste man erst einen Kurs wie den unseren und anschließend einen Background-Check erfolgreich absolvieren. Jetzt dürfen Floridians an den meisten Orten – Ausnahmen sind z.B.: Schulen, Regierungsgebäude, Flughäfen und Bars – eine verdeckte Schusswaffe ohne diese Lizenz tragen. „Allerdings gibt es Ausnahmen. Vorbestrafte, und seien es „nur“ Autofahrer, die zweimal mit mehr als der zulässigen Promillezahl angehalten wurden, fallen raus. Werden die mit einer Waffe erwischt, sind die Cops unerbittlich,“ sagt Paul.

„Unser Kurs ist nicht mehr Pflicht,“, fasst Kursleiterin Denise die Änderung zusammen. „Aber verantwortungsbewusste Waffenbesitzer kommen trotzdem. Gerade die Kurse für Frauen laufen extrem gut. Die meisten Frauen tasten sich an Waffen erst heran, lernen bei uns, dass auch das Mind-Set stimmen muss, nicht nur das Kaliber der Waffe“. Nach über 30 Jahren als Ausbilderin weiß Denise: „Frauen haben mehr Hemmungen, müssen sich erst überwinden. Männer ballern schneller los.“

Paul zeigt uns ein Video von einem Überfall auf ein Juwelierspaar, was gerade den Laden aufschließen will. Der Mann zieht sofort die Waffe, die Frau drängt sich schutzsuchend in die Ecke. „Beide tragen eine Waffe bei sich. Er nutzt sie sofort, seine Frau nicht. Das ist der Klassiker. Frauen müssen aktiv lernen, Gewalt auszuüben. Männer spielen schon als Jungs härtere Spiele, rempeln sich, prügeln sich. Ihnen fällt es leichter, zu schießen“.

Ich frage herum, ob eine der Damen in einer gefährlichen Situation schon einmal geschossen hat. Waffen besitzen sie daheim nämlich alle, tragen sie bisher nur nicht immer bei sich. Die Jüngste, Elena, meldet sich. „Ich wohne ländlich und habe schon einmal einen Drogenabhängigen vertrieben, der einbrechen wollte.“ Hat sie direkt auf die Person gezielt, fragt Denise? Elena schüttelt den Kopf. Es hätte gereicht, wild in die Luft zu schießen. Anne, die älteste Teilnehmerin, saß in einem Restaurant was von einem jungen Mann mit gezückter Waffe überfallen wurde. Sie erinnert sich heute noch, wie hilflos und ängstlich sie damals war. Einer der Gäste trug einen Revolver bei sich und erschoss den Angreifer. Alle waren ihm dankbar. Anschließend kaufte sie sich ihre Waffe. Pam wurde schon einmal auf der Straße mit einem Messer bedroht, war sich aber nicht sicher, ob in der Situation eine Waffe geholfen hätte. Denise war pragmatisch. „Schusswaffe sticht Messer“.

Denise bringt sich in Stellung, legt ihre Hände auf Stella unter ihrer Bluse. „Moral ist das Hauptthema von uns Frauen. Wir zögern, weil wir niemandem weh tun wollen“. Womit wir wieder beim Mind-Set wären. „Ich muss mich im Vorfeld damit auseinander setzen, was es bedeutet zu schießen. Wohin ich am besten schieße“. Nur Profischützen sollten aufs Bein zielen, meint sie. Das träfe man selten, weil es sich zu schnell bewegt. Die Brust bietet mehr Angriffsfläche. Der Kopfschuss knockt den Angreifer sofort aus. Denise ist jetzt todernst, der lockere Ton der Theorie ist verschwunden. „Ich muss die Gesetze kennen und blitzschnell entscheiden können. Ich muss den Umgang mit der Waffe auch praktisch regelmäßig üben. In den entscheidenden Sekunden darf ich nicht zögern oder zweifeln. „When you pull the trigger, there is no bad thing“.

So eingeschworen gehen wir in den praktischen Teil. Wir schießen aus kurzer Distanz auf ein Din-A-4 Blatt auf das eine Nase gemalt wurde. Die Munition ist ein Gemisch aus Waschmittel und Farbe. Denise steht neben uns, erklärt, wie wir die Waffe richtig halten, fängt beim schießen die herausspringende Kugelhülse mit einem kleinen Fischernetz auf. Safety first. Die Stimmung im Raum ist seltsam euphorisiert. Es macht tatsächlich Spaß. Ich treffe auf die Nasenspitze und könnte mir plötzlich vorstellen, einen echten Schießstand zu besuchen.

Im letzten Teil des Kurses wird über die Folgen eines Schusses gesprochen. Paul weiß: „Es ist ein Akt von Sekunden, aber er wird euer Leben wahrscheinlich ändern“. Was sagt man den Cops? Wie ruft man richtig die 911 an? Woher bekommt man einen Anwalt? Paul fordert uns auf, eine App zu laden, „U.S. Law Shield“, mit der – bei entsprechender kostenpflichtiger Mitgliedschaft – ein Strafverteidiger 24/7 erreichbar ist und bezahlt wird. Only in America – eine Rechtsschutzversicherung für den Fall, dass ich jemanden er- oder anschieße. Praktischerweise bekommen wir auch einen Promo-Code, der uns 20% Rabatt bei einer jährlichen Mitgliedschaft bietet – und Paul eine Provision. Vier Frauen schließen vor Ort einen Vertrag ab, die anderen überlegen noch. Sinnvoll finden die Versicherung alle.

Nach fünf Stunden bekommen wir ein Zertifikat. Wir haben den „Basic Firearms Safety Course“ erfolgreich absolviert. Wäre ich jetzt vorbereitet und in der Lage auf einen Menschen zu schießen? Wahrscheinlich muss ich da noch an meinem Mind-Set feilen. Aber ich habe viel über Gesetze, Vorschriften, Law&Order gelernt. Und über die amerikanische Denkweise. Werde ich mir eine Waffe kaufen? Keine Ahnung. Nur eines weiß ich genau. Ich würde sie niemals Stella nennen.

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