Gerade flaut der Streit innerhalb der Ampel-Koalition etwas ab – zum einen durch die vorläufige Einigung auf das Heizgesetz, das erst im September durch den Bundestag gebracht werden soll, zum anderen durch die politische Sommerpause. In dieser Situation tritt SPD-Chef Lars Klingbeil das nächste Streitthema los, mit dem er sich zum einen mit der FDP anlegt, zum anderen aber auch mit gut 26 Millionen Bürgern. Denn Klingbeil schlägt vor, das Ehegattensplitting abzuschaffen, also die gemeinsame steuerliche Veranlagung von Verheirateten. Dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ sagte der SPD-Chef: „Wir schaffen endlich das Ehegattensplitting ab. Damit würden wir dem antiquierten Steuermodell, das die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau begünstigt, ein Ende setzen. Und der Staat würde Geld sparen.“
Den Hintergrund seines Vorstoßes bildet der Haushaltsstreit: Finanzminister Christian Lindner (FDP) drängt darauf, die ohnehin schon hohen Ausgaben 2024 auf die geplanten 445,7 Milliarden Euro zu begrenzen, 6,4 Prozent weniger als 2023. Um den Einsparungsforderungen zu genügen, kündigte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) an, das Elterngeld für besserverdienende Paare ganz zu streichen. Die staatliche Leistung soll es künftig schon für Familien mit einem jährlichen Gesamteinkommen ab 150 000 Euro nicht mehr geben. Bis jetzt liegt die Grenze bei 300 000 Euro. Das kritisierten allerdings Grüne und SPD-Politiker mit dem Argument, die Kürzung würde dazu führen, dass in Zukunft bei Besserverdiener-Paaren die Frau häufiger zur Kinderbetreuung zuhause bleiben würde. Klingbeils Idee lautet deshalb: Das Elterngeld soll nun doch bleiben wie bisher – und stattdessen das Steuersplitting ganz fallen. Grüne pflichteten ihm bei: sie wollen die gemeinsame Veranlagung von Paaren sowieso gern beseitigen.
Beim Steuersplitting addieren beide Partner ihr Einkommen. Für die Berechnung der Steuer wird die Summe halbiert, dann die Steuerlast darauf verdoppelt. Auf diese Weise verteilt sich das Einkommen und damit auch die Belastung rechnerisch gleichmäßig auf beide. Bei Paaren mit größerer Gehaltsdifferenz mildert das Verfahren die Progression bei dem Partner, der mehr erwirtschaftet.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert unterstützt Klingbeils Vorstoß: „Das Ehegattensplitting zumindest für künftige Ehen durch eine gerechtere Form der Einkommensteuer zu ersetzen, würde den Zielen von Gleichstellung und Steuergerechtigkeit gleichermaßen zugute kommen“, so Kühnert. Der Staat verzichte durch das Splitting auf fast 20 Milliarden Euro pro Jahr , indem „wir uns ein Steuerprivileg leisten, das insbesondere viele Frauen vom Arbeitsmarkt fernhält“.
Allerdings: Klingbeils wie Kühnerts Argumente halten keiner Überprüfung stand. Und sie beruhen auf massive Begriffsverdrehung. Erstens handelt es sich um kein „Privileg“, wenn Ehepaare die gesetzlichen Möglichkeiten zur Steuerberechnung nutzen. Der Staat würde durch die Abschaffung des Splittings auch kein Geld „sparen“, wie Klingbeil behauptet – sparen bedeutet schließlich, Geld beiseitezulegen. Sondern der Staat würde Paaren schlicht noch mehr Geld wegnehmen als bisher. „Antiquiert“ ist die Regelung, die etwa 13,5 Millionen Paare in Deutschland nutzen, auch nicht: Sie leitet sich aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ab, das auch 2023 noch gilt. Das Gericht erklärte eine generelle Einzelbesteuerung von Paaren in seiner Entscheidung vom 17. Januar 1957 für unvereinbar mit dem Grundgesetz, das Ehe und Familie vor störenden Eingriffen des Staates schützt. Ehepaare, so die Verfassungshüter, müssten die Möglichkeit haben, sich vom Staat als wirtschaftliche Einheit behandeln zu lassen. Aus diesem Grund würde eine Abschaffung des Splittings, käme sie tatsächlich, schnell in Karlsruhe landen. Auch die unterschiedliche Behandlung von bisherigen und neu geschlossenen Ehen, wie sie Klingbeil und Kühnert vorschwebt, ließe sich kaum mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbaren. Die FDP kündigte an, sie würde eine Abschaffung des Ehegattensplittings nicht mittragen. Denn dieser Schritt würde Paare in Summe um 25 Milliarden Euro stärker belasten als bisher.
Irreführend argumentiert der SPD-Chef vor allem, wenn er in dem RND-Interview auch den Gemeinplatz in die Debatte wirft, starke Schultern“ müssten „mehr tragen“, und damit andeutet, das Steuersplitting sei vor allem eine Wohltat für Hochverdiener. Das Gegenteil trifft zu: da das Verfahren die Progression mildert, nimmt die anteilige Ersparnis gegenüber der Einzelveranlagung ab, wenn einer der Partner über dem Spitzensteuersatz von 62 810 Euro verdient. Am stärksten profitieren vom Splitting prozentual zum einen Paare, in denen ein Ehepartner gering verdient (bis 20 000 Euro pro Jahr), und der andere nicht arbeitet – denn dann fällt die Steuerlast auf Null – , und zum anderen Ehepaare mit mittlerem Einkommen bis 60 000 Euro. Es handelt sich also um die klassische Klientel der SPD, zumindest aus traditioneller Sicht. Warum Klingbeil gerade diese Gruppe stärker belasten will, um auf der anderen Seite auch Paaren mit mehr als 150 000 Euro Jahresverdienst weiter Elterngeld zahlen zu können, bleibt sein Geheimnis. Genauso wie seine und Kühnerts These, eine steuerliche Mehrbelastung von Ehepartnern würde Frauen stärker in die Erwerbstätigkeit treiben. Erstens sind in vielen der 13,5 Millionen Splitting-Fällen schon beide Partner berufstätig – nur eben meist mit unterschiedlichem Einkommen, vor allem deshalb, weil einer der beiden in Teilzeit arbeitet. Und das wiederum wünschen sich viele Paare so. Zweitens schafft der Splittingvorteil nur eine sehr mäßige Entlastung gegenüber der getrennten Veranlagung. Trägt ein Partner im Jahr 40 000 und der andere 20 000 Euro zum Haushaltseinkommen bei, führt das Splitting gerade zu 2065,69 Euro weniger Steuer, als beide bei individueller Besteuerung zahlen würden. Die Vorstellung, eine Mehrbelastung von 172 Euro monatlich nach der Splitting-Abschaffung treibe einen der Partner dazu, mehr zu arbeiten, wirkt reichlich lebensfremd. Wer will, dass sich mehr Menschen am Erwerbsleben beteiligen, müsste stattdessen den Steuerfreibetrag kräftig erhöhen, damit mehr Netto vom Brutto bleibt.
Auch an Steuereinnahmen fehlt es dem Staat, anders, als Klingbeil es suggeriert, weder 2023 noch im kommenden Jahr. Demnächst dürften Bund, Länder und Gemeinden zusammen erstmals eine Billion Euro im Jahr einnehmen. Was das morgige Datum, der 12, Juli, bedeutet, scheint dem obersten Sozialdemokraten auch nicht präsent zu sein: es handelt sich um den so genannten Steuerzahler-Tag. Erst ab Mittwoch wirtschaftet der Durchschnittsbeschäftigte in Deutschland rechnerisch für sich selbst. Bis dahin ging sein Einkommen an die Steuer- und Sozialkassen.