Am Ende stürzte die niederländische Regierung nicht über das Thema, mit dem sie auch international seit einiger Zeit am meisten verbunden wird. Der Stickstoff und das Überleben der Landwirtschaft spielten keine Rolle, dafür aber das andere große Thema dieser Tage. Die ungeregelte Migration reizt auch in dem 18-Millionen-Volk die Gemüter. Lange schon lag Streit in der Luft in der niederländischen Regierung. Und nun wollte Ex-Premierminister Mark Rutte offenbar nicht nachgeben. Doch auch zwei seiner Koalitionspartner versagten ihm in diesem Fall die Gefolgschaft.
Es geht nicht ganz um eine Kleinigkeit. Die zentrale Erstaufnahme in Ter Apel ist erneut überfüllt. „Die Wartezeiten im Asylverfahren wachsen“, heißt es dazu lapidar auf der Seite des Immigrations- und Naturalisierungsdienstes im Justizministerium. Die Gründe? Nach wie vor hohe Zuströme aus Syrien, der Türkei und dem Jemen plus immer mehr Anträge auf Familienzusammenführung. Daneben kommen auch immer mehr „unbegleitete Jugendliche“ in den Niederlanden an, die bekanntlich besonders aufwendig zu betreuen sind.
Aber die links-liberale D66 und die christlich-soziale Christen-Union (ChristenUnie, CU) sperrten sich gegen jede Verschärfung auf diesem Gebiet. Sogar eine Schön-Wetter-Familienzusammenführung – nur dann, wenn die Ankunftszahlen niedrig wären – lehnten die beiden ab. Zuletzt weichte Rutte sein Ziel gar noch stärker auf: 200 Migranten pro Monat sollten von der Familienzusammenführung profitieren. Aber auch das reichte den linken Geistern in seiner Koalition nicht. Nach drei Tagen Streit trat Rutte zurück. Noch am Abend wollte er König Willem-Alexander über seinen Schritt informieren und so wohl Neuwahlen einleiten.
Bauern und Bürger gehen als Favoriten in die Neuwahlen
Und hier kommen nun doch Stickstoff und Bauern ins Spiel. Denn Ruttes Rücktritt scheint auch auf den Druck zu reagieren, den neuere Wahlergebnisse und Umfragewerte ausgeübt haben. Gerade hat die neugegründete Bauern- und Bürgerbewegung (BBB) Ruttes VVD als Umfragenkönig entthront. In jüngeren Umfragen kam die BBB auf bis zu 33 Sitze. Inzwischen hat sich dieser Umfragenberg etwas abgeflacht auf 27 Sitze. Auch das wäre ein riesiger Erfolg, nachdem die BBB praktisch aus dem Nichts die Regionalwahlen für sich entschieden hat. In der Zweiten Kammer haben sie erst eine Abgeordnete, die Vorsitzende Caroline van der Plas. Die VVD hat derweil etwas Boden in den Umfragen wettgemacht und erreicht wieder 21 Sitze. So könnte sich eine neue Mehrheit ankündigen.
Die Bauernbewegung geht nun als Favorit in die erwarteten Neuwahlen. BBB-Chefin Caroline van der Plas will zwar nicht selbst Premierministerin werden, hat aber angeblich „bereits eine Reihe geeigneter Kandidaten im Kopf“. Nennen mochte sie die Namen aber nicht: „Diese Leute haben immer noch einen Job.“ Das wäre schon mal etwas Ungewöhnliches für einen kommenden Premierminister.
Wilders will an die Regierung
Im März hatte BBB überraschend die wichtigen Regionalwahlen deutlich für sich entschieden und die Regierungsparteien bereits da ziemlich alt aussehen lassen. Auch Geert Wilders forderte rasche Neuwahlen. Danach will er Regierungsverantwortung tragen. Seine Partij voor de Vrijheid (PVV) ist die drittplazierte in Umfragen mit 14 Sitzen. Eine klare neue Mehrheit ist damit noch nicht gegeben bei insgesamt 150 Sitzen in der Zweiten Kammer. Wird es also wieder eine Koalition aus demselben abgestandenen Parteientopf geben, der die Probleme in den Niederlanden offensichtlich nicht hat lösen können, vielmehr noch weitere hinzugefügt hat?
Im Land nennt man den Premier auch „Teflon-Rutte“, weil er die typische Eigenschaft eines erfolgreichen Politikers hat, Skandale und andere Probleme an sich abperlen zu lassen. Rutte war seit 2010 Premier der Niederlande und stand in dieser Zeit insgesamt vier Kabinetten vor. Die einzige Oppositionspartei, die Ruttes Rücktritt „traurig“ fand, war – man darf raten – GroenLinks, das im Fall eines Weiter-so wohl als dritter Partner in der Ersten Kammer, vergleichbar dem deutschen Bundesrat, profitiert hätte. Dort sind nach den Regionalwahlen im März nun die Bauern und Bürger die stärkste Fraktion, gefolgt von der Gemeinschaftsfraktion von Grünen und sozialdemokratischer Arbeitspartei.