Tichys Einblick
Zahnloser Bundestag

Eine Krise des Parlamentarismus

Es ist ja nicht der Bundestag, der sich zur Wehr gesetzt und durchgesetzt hat gegen die Anmaßungen der Regierung. Seine Gremien und Ausschüsse hätten alles missmutig, doch zähneknirschend mitgemacht.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen das überstürzte Durchpauken des Heizungsgesetzes im Bundestag ist nur auf den ersten, flüchtigen Blick ein Sieg des Parlaments gegen die schamlose Regierungskoalition. Vielmehr ist er das Symptom der tiefen Krise des Parlamentarismus. Something is rotten in the state of Deutschland.

I.

Es ist ja nicht der Bundestag, der sich zur Wehr gesetzt und durchgesetzt hat gegen die Anmaßungen der Regierung. Seine Gremien und Ausschüsse hätten alles missmutig, doch zähneknirschend mitgemacht. Das Gericht, angerufen von einem einzelnen Abgeordneten von der CDU, hat ein Stoppschild gesetzt. Die Mehrheit des Bundestags, welche auch immer, versteht sich als Wasserträger der Regierung. Dieser Trend ist nicht neu. Schon in der Ära Merkel sind dramatische Fehlentscheidungen – Atomausstieg, illegale Einwanderung, Covid-Politik – ohne große Debatten der Volksvertretung über die Bühne gegangen. Die Zahnlosigkeit des Parlaments gegenüber der Regierung bleibt ein Missstand. Daran ändert auch der jüngste Spruch aus Karlsruhe nichts.

II.

Was ist geschehen? Die Ampelkoalition hatte mit dem Heizgesetz den Bogen überspannt, die Bevölkerung rebelliert; selbst die willfährige grüne Medienmacht konnte die Sache nicht mehr retten. In dieser Situation warf die Ampel dem Parlament ein in hundert Details verändertes Gesetz vor die Füße. Erzwungen vom Druck der Straße. Undurchschaubare Änderungen sollten durchgewinkt werden. Nur möglichst rasch vom Tisch, das Ungetüm, das offensichtlich den für die Ampel bedrohlichen Stimmungsumschwung im Land ausgelöst hatte! Zu glauben, mit Beginn der großen Ferien und vor den Wahlkämpfen des Herbst sei das Thema vom Tisch und bald so gut wie vergessen, beweist den Realitätsverlust im Kabinett des maulfaulen, an offenen Debatten ebenso wenig wie seine Vorgängerin interessierten Kanzlers und seines nach wie vor ideologisch verblendeten Vizekanzlers Habeck. Die Regierung ging aus Gewohnheit davon aus, dass die allermeisten Abgeordneten frei von Kenntnis, Sachverstand, Sorgfalt und Gewissensfreiheit darauf verzichten würden, die Regierung wirklich zu kontrollieren. Blind sollten sie zustimmen und den Anweisungen der Fraktionsführungen folgen. Wie wenig diese Regierung von der Volksvertretung hält, ist der eigentliche Skandal.

III.

Karlsruhe hat nun die Rechte des Parlaments in einem einzigen Punkt gestärkt und als Mindestberatungszeit zwei Wochen festgesetzt. Ob und wie die Abgeordneten diese Zeit nutzen, kann kein Gericht bestimmen. Mit der verschobenen Abstimmung ist in der Sache also noch nichts gewonnen. Das geplante Gesetz bleibt ein Übergriff auf das Eigentum der Bürger. Die nächsten Attacken auf die demokratische Substanz dieses Landes folgen auf dem Fuß. Zum Beispiel hat die Mehrheit des Bundestags gerade verhindert, dass sich ein Untersuchungsausschuss der mutmaßlichen Verstrickung des Kanzlers und einstigen Hamburger Bürgermeisters Scholz im Steuerskandal um die Hamburger Warburg-Bank widmet. Auch hier soll Karlsruhe sprechen.

IV.

Der größte Angriff auf die ohnehin nur relative Unabhängigkeit des Bundestags ist das neue Wahlgesetz, das hoffentlich ebenfalls vom höchsten Gericht gestoppt wird. Die Reduzierung des Anteils direkt gewählter Abgeordneter zugunsten der von Parteigremien vorgewählten Listenplätze würde den Bundestag noch zahnloser machen und die Demokratie weiter schwächen. Im Übrigen ist es auch ein unhaltbarer Zustand, dass immer mehr Abgeordnete als parlamentarische Staatssekretäre und Regierungsbeauftragte gut dotierte Jobs in der Administration erhalten. Grundsätzlich sollte sich kein Regierungsmitglied als Abgeordneter selbst kontrollieren dürfen. Die Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative steht mehr oder weniger nur auf dem Papier. Ohnehin sind die Abgeordneten nur auf dem Papier lediglich ihrem Gewissen unterworfen. De facto sind es weisungsgebundene Mitarbeiter ihrer Parteien.

V.

Die Herzkammer der Demokratie bedarf einer Therapie. Sie benötigt ein anderes Selbstverständnis, weniger Fraktionszwang und mehr Unabhängigkeit der einzelnen Abgeordneten. Die repräsentative Demokratie wird von innen heraus geschwächt. Das Parlament kommt seinen Pflichten ungenügend nach. Am Pranger aber stehen andere. Wer das undemokratische Gebaren der Ampelkoalition kritisiert, dem wird vom politischen Mainstream schnell unterstellt, die Demokratie zu verachten. Haltet den Dieb! Das ist infam. Hubert Aiwangers viel gescholtener Satz, das Volk müsse sich die „Demokratie zurückholen“, erfährt durch das Karlsruher Gericht aber nur seine Bestätigung.

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