Tichys Einblick
Konstruktiver Gehorsam

Geht es noch um Macht oder schon um Herrschaft?

Wenn ein Ministerpräsident und sein Kabinett ohne demokratisch gewählt worden zu sein, einfach im Amt bleibt unter Bruch des Versprechens baldiger Neuwahlen, dann wird der Souverän entmachtet. Wenn ein gewählter Landrat sich einem Demokratietest einer Regierung unterziehen muss, die ohne demokratische Legitimation amtiert, wirft das Fragen auf. Und diese Fragen hat TE dem Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales gestellt.

Minister für Inneres und Kommunales Georg Maier (SPD) und Ministerpraesident Bodo Ramelow (Die LINKE), 26.04.2023, Erfurt, Thüringer Landtag

IMAGO / Karina Hessland

Eine Regierung, die eine für alle bis auf die Grünen erkennbar falsche Politik stur weiter verfolgt, was die Inflation, die im Juni wieder auf 6,4 % gestiegen ist, treibt, wobei die wichtigen Lebensmittelpreise weiter unzumutbar hoch liegen, die De-Industrialisierung, die Wohlstandszerstörung, die Steuergeld-Veruntreuung als Welt-Wohlfahrts-Wettbewerb, als Abwanderungsprämie für die Verlagerung der deutschen Industrie ins Ausland, als Zerstörung der Energiesicherheit, des Artenschutzes und des massiven Abbaus demokratischer Rechte zur Staatspolitik erklärt hat, aber weder das Einsehen in die eigenen Fehler, noch die Kraft besitzt, diese Politik zu ändern, führt eine Farce auf und beschädigt die Autorität der Institutionen des Staates.

Die Interessen immer größerer Teile der Bevölkerung werden nicht mehr politisch vertreten. Die AfD ist bisher die einzige Partei, die die Rolle der Opposition angenommen hat. Selbst die Helden des öffentlich bezahlten, grünen Rundfunks vom ZDF kommen im aktuellen Politbarometer nicht mehr umhin, die AfD als zweitstärkste Partei zu benennen mit 19 % – und das obwohl sie die schlechtmöglichste Interpretation der Zahlen bemühen, denn in anderen Umfragen liegt die AfD bei 20 bis 20,5 %, freilich zweitstärkste Partei hinter der CDU/CSU, die im Politbarometer bei 28% verortet werden, ist sie überall. Mit der kühnen Projektion von 16 % für die Grünen zeigt sich das ZDF den Grünen gegenüber so großzügig wie der AFD gegenüber missgünstig. Aber die Unterschiede spielen sich ohnehin im Toleranzbereich von +2,5 bis -2,5 % ab.

Nach AfD-Wahlsieg:
Sonneberger AfD-Landrat Sesselmann soll Gesinnungsprüfung unterzogen werden
Die Interpretation der Zahlen ist übrigens sehr einfach und wird doch von den Ampel-Parteien bis tief in die CDU hinein gescheut: die Statik einer Demokratie beruht auf dem freien Wettbewerb der Ideen und der Spannung zwischen Regierung und Opposition. Wer „konstruktive“ Opposition sein will wie der NRW Meldestellen-Ministerpräsident Hendrik Wüst oder Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, der den Parteifreunden im Osten schon einmal empfahl, mit der SED zu koalieren, kommt gar nicht zur Oppositionsarbeit, weil er vollauf damit beschäftigt ist, den Leuten zu erklären, dass, wenn man die Hände an der Hosennaht hat, man sie dort doch auch konstruktiv haben kann. Man könnte Wüsts und Günthers bundespolitische Vorstellung richtiger auch als konstruktiven Gehorsam bezeichnen.

Dass die CDU sich in die Rolle als Opposition, was vor allem bedeutet, als politische Alternative deutlich zu werden, finden muss, scheint Friedrich Merz langsam zu begreifen. Doch er hat zu viel Zeit verstreichen lassen, um sich ein eigenes Machtzentrum in der Partei zu schaffen. Die Zukunft wird zeigen, ob er eher als Johann Ohneland oder als Ritter von der traurigen Gestalt in die Geschichte der CDU eingeht. Ja, freilich darf man träumen und hoffen, dass Merz wie Phönix aus der Asche steigt und eine wirklich moderne Politik, die so konservativ wie liberal ist, macht. Seit Jahren rate ich der CDU dazu, die AfD rechts liegen zu lassen, sich dort nicht zu verkämpfen, denn der Hauptgegner der CDU sind die Grünen. Nimmt die Union nicht den Kampf gegen die Grünen auf, hat sie nicht nur ihre Zukunft, sondern sogar ihre Gegenwart hinter sich. Es wird sie dann nicht mehr geben. Sie hätte sich überlebt.

Wäre Merz diesem Konzept gefolgt, hätte er sein Versprechen gehalten, anstatt das Gegenteil von dem zu bewirken, was er sich vorgenommen hatte.

Allerdings, indem Friedrich Merz Christian Wohlrabe, der Merz bisher bekämpft hatte und Mitglied der Grünen Garde der Union, der Klima-Union ist, zu seinem Bereichsleiter Kampagnen und Mobilisierung macht, offenbart er eine eigentümlich politische Todessehnsucht. Wohlrabe ist trotz seines Alters politisch, ideologisch und medial ein Mann von gestern.

Demophobie
Sonneberg und kein Ende der Wählerbeschimpfung
In der CDU dürfte ein seit Jahren mit allen Mitteln unterdrückter Richtungskampf ausbrechen, denn im Grunde verbindet die beiden Lager, die Merkelianer, die den Apparat der Partei beherrschen auf der einen Seite, mit der Partei-Basis, mit den Konservativen und Liberalen auf der anderen Seite nichts mehr, gar nichts mehr, besteht die Union aus zwei Parteien, aus Merkelianern auf der einen Seite und Konservativen und Liberalen auf der anderen. Wenn man nach dem besten Wahlhelfer in der CDU für die AfD sucht, wird man ihn in Hendrik Wüst oder Daniel Günther finden. Wird Wüst Kanzlerkandidat, fällt die CDU als Opposition komplett aus, würden sich weitere Wähler verabschieden, und es könnte sogar zur Spaltung und Gründung einer neuen Partei kommen. Doch niemand besitzt eine Glaskugel und der Variablen in der Gleichung sind sind es einfach zu viel.

Die größte Unbekannte ist jedoch, inwieweit die demokratischen Spielregeln aufrecht erhalten bleiben, wovon man inzwischen nicht mehr so ohne weiteres ausgehen kann. Wenn eine immer größere Zahl von Bürgern zur Einsicht gelangt, dass sie keinerlei Einfluss auf die politischen Entscheidungen haben, dann bewegt sich das Land im gleichen Maße in einen demokratischen Notstand. Denn die Währung der Demokratie ist die Akzeptanz der Mehrheit der Bürger, die die Neutralität der Institutionen des Staates voraussetzt. Aus der Geschichte von 1945 bis zum 17. Juni 1953 in Ostdeutschland oder aus der Zeit zwischen dem Februar 1917 und dem Jahr 1921 in Russland kann man lernen, dass vor allem diejenigen, die laut verkündeten, die Demokratie zu verteidigen, dass gerade sie die Demokratie in Wahrheit Stück für Stück einschränkten, bis nur noch das Zettelfalten als Wahlen und die Blockparteien als „demokratischer Block“, eine Art Einheitspartei, übrigebblieben waren. Wenn die Unfähigkeit, die richtige Politik zu machen, triumphiert, wenn eine Minderheit einer Mehrheit den Willen aufzuzwingen versucht, sie übermächtig wird, in dem Maße wächst, wie die Einflussnahme des Souveräns minimiert wird, dann befindet sich Deutschland nicht mehr in der Demokratie.

Wenn eine demokratische Wahl rückgängig gemacht wird, dann befindet sich Deutschland nicht mehr in der Mitte der Demokratie.

Wenn ein Ministerpräsident und sein Kabinett ohne demokratisch gewählt worden zu sein, einfach im Amt bleibt unter Bruch des Versprechens baldiger Neuwahlen, dann wird der Souverän entmachtet. Wenn ein gewählter Landrat sich einem Demokratietest einer Regierung unterziehen muss, die ohne demokratische Legitimation amtiert, wirft das Fragen auf.

Erster AfD-Sieg
Diese demokratische Wahl kann nicht rückgängig gemacht werden
Und diese Fragen hat TE dem Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales gestellt. Die Überprüfung hat das Ministerium als Regelüberprüfung eingestuft, die nach der Landesverfassung möglich ist. Das ist richtig. Doch auf die Frage, wie viel Regelüberprüfungen bereits vorgenommen worden waren, erhielt TE folgende Antwort: „es ist die erste Prüfung dieser Art. Aber bisher wurde auch noch kein Mitglied einer in Thüringen vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuften Partei Landrat. Da liegt es auf der Hand, die für das Beamtenrecht erforderliche Eignung zumindest in Frage zu stellen. Die Prüfung ist natürlich ergebnisoffen.“ Nicht eine Überprüfung wurde bisher eingeleitet.

Die Antwort des Ministeriums ist bemerkenswert: in der Geschichte des Freistaates wurde noch kein Landrat überprüft. Weil das Ministerium merkt, wie parteipolitisch inspiriert die Überprüfung wirkt, versucht das Ministerium diesen Eindruck zu verwischen und beruft sich auf eine Einschätzung des Thüringer Verfassungsschutzes. Doch inwieweit ist das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz selbst über den Verdacht des parteipolitischen Agierens erhaben, wenn der Chef eben jenes Landesamtes, Stephan Kramer, behauptet, dass es in der Bundesrepublik „ungefähr 20 Prozent braunen Bodensatz“ gebe. Mit diesen Worten spricht Kramer nicht die nüchterne Sprache des Beamten, sondern die Kampagnesprache der Amadeo Antonio Stiftung. Spielt er damit auf die prognostizierten Wähler der AfD, die in der Sonntagsumfrage bei ca. 20, mal bei 19%, mal bei 20,5 % liegt, an?

Wie glaubhaft ist es, dass Kramers Landesamt weltanschaulich neutral agiert, wenn derselbe Stephan Kramer, übrigens auch Mitglied der SPD wie der Minister, dessen Ministerium die Überprüfung durchführt, dem Stiftungsrat der Amadeo Antonio Stiftung angehört? Welchen Einfluss hat die Amadeo Antonio Stiftung auf Stephan Kramer und mittelbar auf das Landesamt? Wo er doch deren Sprache spricht?
Ins Amt wurde Kramer durch die SPD gebracht, obwohl der die erwünschte Befähigung zum Richteramt nicht besitzt. Das SPD geführte Ministerium setzte einen Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz durch, indem es die Vorgaben des Thüringer Verfassungsschutzgesetz so kreativ auslegte, dass man sich fragen muss, ob diese Auslegung nicht schon einer Beugung gleichkommt?

In Interview mit NDR-Info
Thüringens Verfassungsschutzchef spricht von einem „braunen 20-Prozent-Bodensatz“
Wie unabhängig kann ein Landesamt urteilen, dessen Präsident sein Amt dem heftigen Engagement einer politischen Partei verdankt und der dem Stiftungsrat einer Stiftung angehört, die man auf der äußeren linken Seite verortet? Klingt es da nicht ein wenig wie der Hohn der Macht, wenn der Pressesprecher schreibt: „Die Prüfung ist natürlich ergebnisoffen.“ Der Hohn liegt in dem Wort „natürlich“, denn es klingt darin ein wenig nach: ist doch egal, ob es ergebnisoffen ist, wir haben die Macht, das Ergebnis zu bestimmen. Was auch immer ihr denkt, ihr „brauner Bodensatz“ von 20 %.

„Natürlich“ wird Stephan Kramer nicht zurücktreten, „natürlich“ nicht des Amtes enthoben. Natürlich bleibt die Frage nach der Neutralität des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz.

Angesichts dieser Verachtung für die Bürger stellt sich die Frage, ob es noch um den Kampf um die Macht geht, was völlig in Ordnung ist, weil Macht nie auf Dauer verliehen wird, oder inzwischen um Herrschaft, die auf Ewigkeit angelegt ist? Auf die Wählerumfragen, auf die Bewegung in der Gesellschaft können die Parteien demokratisch reagieren, in dem sie zum einen die Interessen ihrer Wähler, der Bürger, berücksichtigen und zum anderen die Bürger von ihren Ideen und Vorschlägen zu überzeugen versuchen , zumal es vor allem den Grünen deshalb leichtfallen sollte, da sie über die kräftige und einseitige Unterstützung des ÖRR verfügen.

Die Ampel kann allerdings auch im Bunde mit den Linken, die als SED über ein reichen Erfahrungsschatz in der Bildung eines „demokratischen“ Blocks verfügen, die Demokratie aufheben, indem sie über „Demokratieprüfung“ und Parteienverbot ein Art Diktatur der Woken schafft, eine Weltanschauungsherrschaft.

Doch das wird nicht ein gesellschaftliches und auch kein wirtschaftliches Problem lösen, vor allem aber wird es die Möglichkeit von Konfliktbewältigung über die demokratischen Regularien beenden. Die Konflikte werden dennoch auftreten.


Die mobile Version verlassen