Tichys Einblick
Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit

Kriegspropaganda und Medienmanipulation erkennen

Den Historiker Christian Hardinghaus lässt das Thema Krieg nicht los. Bereits in mehreren Bücher – über die bei TE Rezensionen und Interviews mit dem Autor erschienen sind – hat er das Schicksal der letzten überlebenden Wehrmachts- und Kindersoldaten, Frauen am Ende des Zweiten Weltkrieges und zuletzt das eines „Wolfsmädchens“ erforscht und portraitiert

Tichys Einblick: Ihr neues Buch trägt den Titel „Kriegspropaganda und Medienmanipulation. Was Sie wissen sollten, um sich nicht täuschen zu lassen.“ Was hat die Arbeit an diesem Buch ausgelöst? Der 24. Februar 2022? War es Ihr eigener Impuls?

Christian Hardinghaus: Ich habe mein halbes Studium der Geschichte und Medienwissenschaften dem Themenkomplex Propaganda gewidmet und 2011 auch dazu promoviert. Wenn man sich einmal intensiv mit den Methoden von Manipulation auseinandergesetzt hat, lassen die einen nicht mehr los. Ich hatte schon lange vor, mal ein Aufklärungsbuch zu schreiben, das ganz praktisch die psychologischen, rhetorischen und medientechnologischen Manipulationsmethoden erklärt, die täglich über Medien und Politik auf uns einprasseln. Der Krieg in der Ukraine gab dann den Anstoß, denn mir war sofort klar, dass sich daraus von Anfang an eine brutale Propagandaschlacht entwickeln würde und auch wir hier in Deutschland massiv ins Visier genommen werden würden. Um die immer gleichen Prinzipien der Kriegspropaganda erkennen zu können, hilft es, sich noch mal die militärischen Konflikte der vergangenen 110 Jahre anzuschauen, bewusst zu machen. Es läuft also ab, wie immer.

Und wieder fallen alle darauf rein. Kann man das so sagen? Warum ist das eigentlich im Zeitalter frei verfügbarer Information immer noch so?

Während früher Propaganda dadurch wirkte, dass Medien gleichgeschaltet wurden und die Menschen keine Alternativen bekamen, ist es heute die Flut der Informationen, die den ganzen Tag über auf uns einprasseln. Sie überfordert die Menschen in ihrem grundlegenden Anspruch, die Wahrheit zu erfahren. Aus dem schieren Überangebot an angebotenen Wahrheitsdeutungen, aus denen man heute auswählen kann, ergibt sich eine Art Ohnmacht, die nach Halt und Orientierung schreit.

Ein Kompass im Nebel des Krieges
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Daher suchen die Menschen nach einfachen Lösungen, nach jemandem, auf den sie sich verlassen wollen, der ihnen krisenübergreifend immer die Wahrheit präsentiert. Diesen Umstand der Orientierungslosigkeit nutzen Propagandisten im digitalen Zeitalter mit allen Werkzeugen, die sie in der propagandistischen Trickkiste finden, perfide aus. Sie wissen, dass verunsicherte Menschen am leichtesten zu manipulieren sind.

Welche Rolle spielen Neue Medien, Cyberkriegsführung bei der Kriegspropaganda? Geht all dies von den jeweiligen Staaten aus, oder mischt hier auch eine Art Cyber-Legionäre mit?

In modernen Informationskriegen ist Propaganda nicht mehr nur auf die eigene Bevölkerung ausgerichtet, die motiviert werden muss, oder auf den Gegner, der eingeschüchtert werden soll, sondern zielt auf die gesamte Weltbevölkerung ab, um deren moralische, militärische oder finanzielle Unterstützung die jeweiligen Kriegsparteien werben müssen.

Die psychologische und inhaltliche Seite der Manipulation innerhalb eines Informationskrieges wird als Psywar bezeichnet. Die sogenannten russischen Trollfabriken, die während des Syrienkrieges große Bekanntheit erlangten, sind aktiver denn je und verbreiten rund um die Uhr Desinformation auf allen Kanälen. Für die Zerstörung gegnerischer Kommunikations- und Informationstechnologie hingegen steht der zum Infowar gehörende Cyberwar.

Das ukrainische Verteidigungsministerium hat dafür die Ukranian-IT-Army ins Leben gerufen, innerhalb derer tausende IT-Spezialisten auf der ganzen Welt Cyberangriffe auf russische Infrastruktur planen und durchführen. Propaganda nutzt immer die aktuellsten Medien und innovativsten Techniken ihrer Zeit. Das ist immer so gewesen.

Wir würden heute natürlich einfache Fotomontagen und Bildmanipulationen, die im Ersten Weltkrieg zum Einsatz kamen, sofort erkennen. Für die Menschen damals war das nicht so einfach, denn sie konnten sich nicht vorstellen, wie man etwas in Fotos hineinsetzen kann, das nicht da ist. Genauso werden wir wohl in zehn Jahren über die KI generierten Deepfakes, die uns gerade Schwierigkeiten bereiten, schmunzeln, weil die technischen Manipulationsmethoden viel weiter fortgeschritten sein werden. Irgendwann werden von künstlicher Intelligenz produzierte Inhalte dann gar nicht mehr von der Realität zu unterscheiden sein.

Social Media beeinflusst unser gesamtes Leben. Wie mächtig sind diese Kanäle als Kriegsinstrument im derzeitigen Konflikt in der Ukraine?

Der Krieg ist so nahbar und medial erfahrbar wie nie. Von klassischer Kriegsberichterstattung kann man gar nicht mehr sprechen. Die Bilder der Schlachten werden heute live mit Menschen auf dem ganzen Globus geteilt. Sie werden Zeugen von schweren Angriffen, Kriegsverbrechen oder Gefangenenverhören. Je nachdem, welchem Kanal man folgt, zeigt die Kamera natürlich nur das, was die Teilnehmer sehen sollen, also das, was der Propaganda der jeweiligen Seite entspricht.

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Das Prinzip ist ähnlich dem des embedded journalism. So wie beispielsweise im Irakkrieg Reporter, die die Truppen begleitenden zu Verbündeten gemacht werden sollten, sind es heute die User von Social Media, die miteingebunden werden, um die Siege ihres „Teams“ zu feiern oder das Leid, das diesen vom Feind angetan wird, zu erspüren. Im aktuellen Krieg in der Ukraine sind derart Ästhetisierungen und Emotionalisierungen so ausgeprägt, dass wir bereits vom ersten TikTok-War der Geschichte sprechen. Sowohl die russische als auch die ukrainische Seite betreiben Telegram-Kanäle mit Hundertausenden Followern, in denen die Propaganda ungefiltert wirken kann.

Unterscheiden sich eigentlich russische und ukrainische Propaganda?

Selenskyjs Chefberater hat in einem Interview gesagt, dass die Ukraine gar keine Propaganda betreibe, lügen würde nur Russland. Das ist gleich doppelt falsch. Kein Land der Welt, das sich in einen Kriegszustand befindet, würde auf diese mächtige und im Rahmen der psychologischen Kriegsführung übrigens ganz legalen Waffe verzichten. Propaganda ist auch nicht gleichzusetzen mit Wahrheit oder Lüge, sie benutzt beides, kann überzeugen, überreden oder täuschen. Wenn eine Lüge notwendig ist, um ein Kriegsziel zu erreichen, würden beide Seiten ohne zu zögern, dazu greifen.

Dass Russland einen völkerrechtswidrigen Krieg führt und die Ukraine als Opfer alles Recht hat, sich dagegen zu wehren, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Krieg ganz andere Gesetze gelten. Die Vorstellung von gerechten Kriegen, in denen Gut gegen Böse kämpft, ist eine Illusion. Sowohl Russland als auch die Ukraine suchen Unterstützer auf der ganzen Welt, um ihre Ziele zu erreichen, wobei Kiew davon noch abhängiger ist, denn ohne den finanziellen und militärischen Beistand aus dem Westen würde sie den Krieg schnell verlieren. Deshalb kolportiert Selenskyj so oft, dass der Krieg um sein Land einer ist, an dem sich die Zukunft Europas entscheidet. Dieses Narrativ hat inzwischen leider ein Großteil unserer Regierungspolitiker übernommen und sie machen Deutschland so, auch wenn seine Bürger dies mehrheitlich nicht wollen, mehr und mehr zu einem Kriegsteilnehmer.

Wie sehen Sie die deutsche Presse im Umgang mit aktueller Kriegspropaganda? Was halten Sie von der Berichterstattung in den deutschen Leitmedien?

Ich bin selbst Journalist und unterrichte auch klassischen Journalismus an einer Schule. Mir tut die Entwicklung des aktuell vorherrschenden Journalismus im Herzen weh. Und ich weiß, dass viele Journalisten, die gern freier arbeiten würden, es ähnlich sehen. Unser Journalismus ist nicht mutig, nicht kritisch genug, zu nah an der jeweiligen Regierungspolitik. Es gibt so viele Beispiele dafür, vor allem in der Corona-Politik, über die man ebenfalls ein Propagandalehrbuch hätte schreiben können.

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Doch jetzt während des Ukraine-Krieges kann diese Form des zu laschen Journalismus schnell brandgefährlich werden. Unsere Regierung hat sich dazu entschlossen, die Ukraine nahezu bedingungslos zu unterstützen. Gleichzeitig kommen aber immer mehr Details zum Vorschein, die darauf hindeuten, dass ukrainische Kreise hinter dem Anschlag auf die Nord Stream-Pipelines stecken. Da muss man doch journalistisch alles tun, um hier die Politiker, die mit Sicherheit mehr wissen, als sie zugeben, unter Druck zu setzen.

Wie stellt man sich das vor, wenn sich eine solche Vermutung nach dem Krieg bewahrheitet? Wer baut dann die Ukraine wieder auf? Soll sie dann NATO-Mitglied werden, wenn sie selbst die NATO angegriffen hat? Und wie wird Russland darauf reagieren, wenn es dann hoffentlich mal um Friedensverhandlungen geht?

Auch um die vermeintliche Sprengung des Kachowka-Staudamms bei Cherson am 6. Juni 2023 tobte ein Recherche- und Interpretationswettbewerb. Mit welchen Kriterien gehen Sie an diese Sprengung heran? Welche Bedeutung hat für Sie hier eine Frage, die Ihnen immer wieder wichtig ist: Cui bono?

Sollte der Staudamm von Nowa Kachowka absichtlich von einer Kriegspartei gesprengt worden sein, könnte es sich dabei um ein Kriegsverbrechen handeln, denn neben strategischen Gründen wäre dies ein Verbrechen an der Zivilbevölkerung. Ein solches Verbrechen hat erst mal nichts mit Propaganda zu tun, aber natürlich ist die Deutung der Katastrophe von allen Seiten propagandistisch.

Dass sowohl die Ukraine als auch Russland eine absichtliche Zerstörung bestreiten und jeweils der anderen Seite zuschieben, entspricht den grundlegenden Propagandaprinzipien, nach denen die eigene Seite immer einen gerechten und fairen Krieg kämpft, die Gegenseite aber abscheuliche Verbrechen begeht. Der Umgang deutscher Politiker und vieler Medien mit diesem Ereignis war katastrophal.

Ohne die Ermittlungen abzuwarten, was uns von denselben Leuten sonst immer als höchstes Gebot verkauft wird, wurden Bilder vom Einsturz des Dammes gezeigt und dazu geschrieben bzw. gesagt, dass Russland dafür verantwortlich sei. Die Propagandamethode heißt Framing. Erinnern könnte man hier an eine wichtige Kriegserkenntnis des preußischen Kriegsstrategen Carl von Clausewitz, der den sogenannten Nebel des Krieges geschrieben hat, nach dem Ereignisse, die während eines Krieges ablaufen, meist bis zum Kriegsende nicht geklärt werden können, also im Nebel bleiben. Dafür verantwortlich sind die Propaganda aller Beteiligten und die fehlende Möglichkeit einer objektiven Kriegsberichterstattung.

Was ist die Verantwortung der Lehrer, im Besonderen der Fächer Geschichte, Politik, Religion, Ethik, Geografie, auch der sprachlichen Fächer, um bei ihren Schülern den Blick auf Kriegsberichte zu schärfen? Gehen Sie selbst in die Schulen? Lädt man Sie ein?

Medienerziehung, das heißt Erziehung hin zu Medienkompetenz und Medienmündigkeit sind essenziell für junge Menschen, um sich jetzt und in Zukunft in der immer unübersichtlicheren und manipulativeren Medienwelt zurechtfinden zu können. Diesbezüglich passiert allerdings noch viel zu wenig. Vor allem, weil die streng durchgetakteten Lehrpläne keine Zeit für eine angemessene Beschäftigung damit lassen, Lehrer auf der anderen Seite aber auch während ihres Studiums selbst nicht ausreichend dafür geschult worden sind.

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Heute werden Informationskriege geführt, die uns alle zu Opfern machen können und wollen, aus vergangenen Kriegen wissen wir, dass die Propagandisten bevorzugt versuchen, junge Menschen anzusprechen, weil diese am leichtesten zu manipulieren sind. Ich habe schon einige Medienkompetenzschulungen an Schulen angeboten und würde das gerne mit entsprechender Unterstützung noch ausbauen. Im August werde ich einen Workshop über die Propaganda des TikTok-Wars anbieten und alles sehr auf die Lebenswelt der Jugendlichen ausrichten. Ich hoffe, dass viele kommen werden.

Sind Sie trotz Ihres geschulten Blickes schon einmal einer Propagandalüge aufgesessen?

Die Wahrscheinlichkeit, dass mir das passiert, ohne es zu merken, ist die größte. Aufgeklärte und gebildete Menschen sind nicht gefeit davor, Opfer von Propaganda zu werden, weil diese immer versucht, an Emotionen zu appellieren. Und ein Gefühl der Wut oder Angst kann die Ratio ausschalten. Aktuell schaue ich natürlich ganz genau hin.

Ich kann mich aber auch 20 Jahre zurückversetzen. Auch 2003 habe ich mich als junger Student schon als aufgeklärt und kritisch empfunden. Trotzdem habe ich damals für bare Münze genommen, was die amerikanische Regierung der Welt erklärt hat: Saddam hätte Massenvernichtungswaffen. Ganz klar! Sonst würde George Bush doch nicht einmarschieren? Hinter diese Annahme hätte ich damals einfach ein „oder“ anhängen müssen. Hinterher sind die Menschen immer schlauer. Das hat sich in allen konventionellen Kriegen gezeigt und es wäre naiv anzunehmen, dass Propagandalügen gerade in Informationskriegen nicht passieren würde.

Zum Schluss die obligatorische Frage: Sie haben jetzt mittlerweile zehn Bücher veröffentlicht, die sich mit der Kriegsthematik auseinandersetzen. Was dürfen wir als Nächstes erwarten? 

Ich habe viele Projekte, einige davon sind abgeschlossen und warten auf Veröffentlichung, andere sind vertraglich eingetütet und dann entstehen natürlich immer auch wieder neue Ideen und Kooperationen. Das Thema Krieg wird mich weiterhin begleiten, bald in zwei historischen Romanen. Im Sachbuchbereich mache ich als nächstes mal etwas anderes, das man im True-Crime-Bereich ansiedeln kann. Auch da sind Manipulationen ein zentrales Thema und ebenfalls gefährlich.

Christian Hardinghaus, Kriegspropaganda und Medienmanipulation. Was Sie wissen sollten, um sich nicht täuschen zu lassen. Europa Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag, 232 Seiten, 24,00 €.


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