Tichys Einblick
Noch ein Grund für Sonneberg

Destatis: 2022 höhere Nettozuwanderung nach Deutschland als je zuvor

Sonneberg und kein Ende. Doch die Argumente für die Wahl enden auch nicht. Das Statistische Bundesamt hat eine neue „Volkszählung“ für 2022 vorgelegt. Im Ergebnis sind fast 1,5 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen. So viele wie in keinem Jahr seit Gründung der Republik.

Symbolbild - Ankunft von Flüchtlingen am Flughafen Berlin Schönefeld

IMAGO / Jochen Eckel

Die politische Republik ereifert sich und empört sich über Sonneberg, den thüringischen Landkreis, in dem mit dem Anwalt Robert Sesselmann der erste Landrat aus den Reihen der AfD gewählt wurde. Viel wird darüber gesprochen, dass die anderen Parteien die AfD erst durch ihre verfehlte oder fehlende Politik gestärkt hätten.

Ein gegangener SPD-Grande – Norbert Walter-Borjans – stimmt einer ARD-Journalistin zu, die die Wähler der AfD ganz allein für ihre Wahl verantwortlich machte und jegliche Mitverantwortung anderer Akteure fortwischte. Natürlich haben Frau Meier und Herr Walter-Borjans Recht, auch wenn sie damit möglicherweise jede Anpassung der Parteiprogramme bei SPD, CDU und Grünen ausschließen wollen. Aber richtig ist auch: Ohne die irregeleitete und in vielem schlicht falsche Politik der anderen Parteien wäre die „Alternative“ nicht vor zehn Jahren entstanden.

— Norbert Walter-Borjans (@NowaboFM) June 26, 2023

Auch der Historiker Hubertus Knabe, der sich aus anderen Zeiten daran erinnern kann, wie es ist, wenn alle politischen Gegner als „Faschisten“ bezeichnet werden, kann keinen Sinn in den überzogenen Reaktionen der älteren Parteien erkennen. Man werde nun ja sehen können, wie der gewählte Landrat Sesselmann „praktisch agiert“.

Auf dem Hintergrund dokumentarischer Blicke auf Sonneberg (unterwegs war zum Beispiel Spiegel TV) lässt sich zudem sagen: Man kann sich die Wähler und ihre Ideen nicht wegzaubern. Dazu bräuchte es eine Gedankenkontrolle-Operation, die vermutlich auch unsere öffentlich-rechtlichen Sender überlasten würde. Den Worten eines griechischen Juristen ist Recht zu geben, der am Sonntag feststellte, dass man eine bestimmte Programm- und Parteienpräferenz auch durch ein Parteienverbot nicht außer Kraft setzen kann.

In Griechenland wurde gerade die junge Partei der „Spartaner“ ins Parlament gewählt, deren Programm sich in gewisser Weise mit dem von Viktor Orbán vergleichen lässt. Die Spartaner sind auf Anhieb die größte der neuen Kleinparteien geworden, nachdem zwei Vorgängerparteien verboten worden waren. Von einem Parteienverbot ist derzeit in Deutschland zwar nicht die Rede. Aber viel von einem „Alarmsignal“ (Ricarda Lang) oder auch von einem „rechtspopulistischen Kulturkampf“, den die CDU nun angeblich zugunsten der AfD beginne. Man darf die Grünen und Sozialdemokraten nur zu noch mehr ähnlichen Selbsttäuschungen auffordern.

Daneben schreitet aber die Realität voran, aus der sich auch dieser kleine AfD-Wahlerfolg in einem Landkreis an der Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland erklären lässt. So meldet die Nachrichtenagentur dts, dass es im vergangenen Jahr eine Nettozuwanderung von 1,462 Millionen Menschen nach Deutschland gab. Im Vorjahr 2021 waren es zum Vergleich „nur“ 329.000 Menschen die netto, als Kombination von Zu- und Abwanderung, in Deutschland hinzugekommen waren. Es handelt sich also durchaus nicht um eine triviale Zahl, vielmehr um die höchste Nettozuwanderung in die Bundesrepublik seit Beginn der diesbezüglichen Aufzeichnungen im Jahr 1950.

Anderthalb Millionen kamen von außerhalb Europas nach Deutschland

Noch eindrücklicher wird das Zahlenwerk des Statistischen Bundesamtes (Destatis), wenn man die Zuzüge insgesamt betrachtet. Es gab demnach 2,666 Millionen neue Ein- und Zuwanderer, denen 1,204 Millionen Exodi von Auswanderern gegenüberstanden. Im Jahr 2021 waren es nur 1,323 Millionen Zuzüge gewesen, also etwa halb so viel. Ein Großteil der Zuzüge 2022 entfiel auf die Ukraine-Flüchtlinge, von denen 1,1 Millionen nach Deutschland kamen. Daneben kehrten angeblich 138.000 Ukraine-Flüchtlinge Deutschland den Rücken, was eine Bilanz von knapp einer Million Ukrainern ausmacht.

Doch auch die Zuwanderung aus anderen, entfernteren Regionen nahm 2022 deutlich zu. So kamen im Vergleich zu 2021 mehr als anderthalb Mal so viele „Syrer“ nach Deutschland (Nettozuwanderung 2022: 68.000). Auch der Zuzug aus Afghanistan steigerte sich gegenüber 2021 um mehr als 50 Prozent (55.000). Dabei stellten Syrer übers Jahr 2022 fast 71.000 Erstasylanträge, Afghanen aber nur 36.358, was sich wohl durch die Kontingentlösung erklärt, mit der das Auswärtige Amt auf freiwilliger Basis Afghanen einfliegt, auch wenn dem diverse Hindernisse (keine Papiere, kriminelle Vorgeschichte, Antragsteller ist kein Afghane usf.) im Wege stehen. Mit diesen „Aktionen“, die keine Einzelfälle mehr sind und in die auch die Außenministerin persönlich verstrickt ist, haben grüne Politiker und grün-gesteuerte NGOs praktisch eine kostenlose Wahlwerbung zugunsten der AfD in die Welt gesetzt.

Der türkeistämmige Netto-Zuzug verdreifachte sich im Jahr 2022 nahezu mit einem Plus von 49.000 Menschen gegenüber 19.000 im Jahr davor. Von Türkeistämmigen wurden dabei nur knapp 24.000 neue Asylanträge gestellt. Der Hauptanteil dürfte über Familiennachzug oder Heirat nach Deutschland gekommen sein. Bedauerlich ist, dass die Bundesregierung keine unabhängigen Zahlen zu diesem bedeutenden „Einfallstor“ der deutschen Zuwanderungspolitik veröffentlicht. Insgesamt sind offenbar 1,6 Millionen Menschen von außerhalb der EU nach Deutschland eingereist. Und es handelt sich im engeren Sinne nicht um Flüchtlinge, weil sie nach Deutschland regelmäßig über viele sichere Drittstaaten gelangen. Die Nettozuwanderung (abseits der EU-Länder und der Ukraine) fiel etwas niedriger aus: Dennoch dürften rund 400.000 Menschen weitgehend dank dem deutschen Asylsystem ins Land gekommen – und geblieben – sein.

Geringe Zuwanderung aus der EU – Deutschland vergreist sich selbst

Die Nettozuwanderung aus den anderen EU-Staaten lag bei nur 87.000, hier kamen vor allem Menschen aus Rumänien (35.000), Polen (18.000) und Bulgarien (13.000) – insgesamt fiel aber die EU-Nettozuwanderung geringer aus als etwa die Summe aus der türkischen und der afghanischen Nettozuwanderung.

Dagegen ist mit gewissem Bedauern festzuhalten: Bei deutschen Staatsangehörigen gab es schon seit 2005 eine Nettoabwanderung, wie Destatis mitteilte. Im Jahr 2022 wuchs die Abwanderung deutscher Staatsbürger auf ein Minus von 83.000 Personen an. 2021 waren es „nur“ 64.000 gewesen. Und relativ jung, arbeitsfähig und vermutlich überdurchschnittlich gut gebildet waren diese Auswanderer zudem. Das Durchschnittsalter lag bei 35 Jahren, während das Durchschnittsalter der Bevölkerung bei knapp 46 Jahre liegt. Deutschland vergreiste auch durch die Abwanderungen ein Stück mehr.

Die Auswanderer zog es vor allem in die Schweiz (20.000 Fortzüge), Österreich (12.000) und in die USA (10.000). Etwas über eine Million Deutsche wechselte 2022 das Bundesland. Erstaunlich: Hauptprofiteur war das Speckgürtel-Land Brandenburg, in das es immer mehr Berliner zog. Der Saldo lag im letzten Jahr bei 14.000 Zuzügen. Zumindest in dieser Hinsicht sind Olaf Scholz und Annalena Baerbock offenbar Vorbilder für viele Deutsche. In der innerdeutschen Wanderungsstatistik folgen dann die idyllischeren Bundesländer Schleswig-Holstein (ein Plus von 9.000 Personen), Mecklenburg-Vorpommern und Bayern (jeweils plus 5.000 Zuzüge).

Auf Twitter trendete „Ausländer“

Auf Twitter trendeten die „Ausländer“ derweil in zweierlei Hinsicht. Sicher geht es auch um die Bedrohung der hergebrachten Lebensweise durch expandierende Unsicherheit und Kriminalität. Daneben gibt es aber auch einige „neue“ Unterstützer des AfD-Programms. Einige Nutzer wiesen schlicht darauf hin, dass Fremdenfeindlichkeit das eine ist, Überforderung durch Massenmigration aber etwas ganz anderes. Die Zahlen von 2022 zeigen – jenseits von größerer Ukraine-Flucht und kleinerer EU-Zuwanderung –, dass an dieser sehr fundamentalen Analyse etwas dran ist.

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