Es gibt Szenen in Filmen, die keiner vergisst, der sie je gesehen hat. Etwa die: Paul Sheldon (James Caan) schläft ein. Wird wach. Seine Arme und Beine sind ans Bett gefesselt. Er ist wehrlos. Da steht sie. Sein Albtraum: die Krankenschwester Annie Wilkes. Sie erklärt ihm, was man früher mit Minenarbeitern gemacht hat, um sie gefügig zu halten. Sheldon und dem Zuschauer dämmert, was nun kommt. Das hat sie nicht wirklich vor. Nein, bitte nicht. Dann nimmt sie den Hammer, nimmt Schwung, zielt auf seine Beine und – wer jetzt noch die Augen auf hat, hat Schneid. Respekt.
Die Szene stammt aus dem Film Misery von 1990. Eine Verfilmung des Romans „Sie“ von Stephen King. Kathy Bates hat Annie Wilkes ihr Gesicht gegeben. Ein Gesicht, das man nie wieder vergisst. Für ihre Leistung als Hauptdarstellerin erhält sie den Oscar. Völlig zurecht. Das Kammerspiel lebt vom intensiven Spiel zwischen Bates und Caan. Viele andere Darsteller hatten die Rolle abgelehnt, weil sie dafür nahezu während des ganzen Drehs im Bett hätten liegen müssen. Caan hatte ob seiner Drogengeschichte kaum eine andere Wahl.
In den 80er Jahren kämpft sich Bates zunehmend vor die Kamera. Bis dann 1990 der Film ihres Lebens kommt: Misery. Solch eine Rolle ist ein Segen, weil eine Schauspielerin durch sie für immer in der Erinnerung der Menschen bleiben wird. Sie kann aber auch zum Fluch werden, weil es dann schwer wird, noch in eine neue Rolle schlüpfen zu können. Etwa Bruno Ganz. Der bot im Untergang eine Jahrhundert-Leistung. Doch als er später zum Beispiel die BKA-Legende Horst Herold verkörperte, dachten viele Zuschauer: lustig, da sitzt Hitler.
Bates hat es geschafft. Sie ist seit Misery nahezu ununterbrochen im harten Geschäft Hollywoods geblieben. Trotz dieser prägenden Rolle. Sie schaffte es, in ganz andere Rollen zu schlüpfen. Kurz nach der so irren wie dominaten Annie Wilkes gab sie die viel zu schüchterne Hausfrau Evelyn Couch in „Grüne Tomaten“. Sie prägt damit die Rahmenhandlung für eine (prüde verfilmte) lesbische Liebesgeschichte, die in Rückblenden in den 20er- und 30er-Jahren der amerikanischen Südstaaten spielt. Auch Bates ist Südstaatlerin, geboren in Memphis Tennessee. War sie in Misery ein Monster, über dessen Tod das Kino jubelte, verstand sie es, in Grüne Tomaten die Zuschauer zu rühren.
Rollen wie die Molly aus der Titanic, die auch in den größten Katastrophen nicht aufgeben, sind Bates auf den Leib geschneidert. Nicht nur, weil sie es mit eben diesem Leib in der Schauspielerei nicht leicht hatte. Sie erkrankt an Brutskrebs, lässt sich die Brüste entfernen. Sie bekommt Lymphödeme in beiden Armen. Sie gründet das Lymphatic Education + Research Network.
Nur wenige Frauen haben sich so lange in Hollywood gehalten, nur wenige in so vielen anspruchsvollen und trotzdem oder gerade deswegen erfolgreichen Filmen gespielt. Warum das so ist, zeigt sie in Auftritten wie in der Sitcom The Big Bang Theory. Dort spielt sie die ebenso warmherzige wie harte Meemaw (Oma) von Sheldon – ein Rollenname, der für Bates zum Schicksal wird. Die Meemaw ist eine Kombination, die Bates ausmacht: taff und gefühlvoll zugleich. Wenn sie nicht gerade einen Hammer in der Hand hat.
An diesem Mittwoch wird Bates 75 Jahre alt. Sie ist immer noch aktiv. Zuletzt spielte sie an der Seite von Maggie Smith und Laura Linney im „Miracle Club“. Bates gibt eine streng gläubige Katholikin, die aus der Enge Irlands nach Frankreich aufbricht, um sich selbst zu entdecken. Wobei auch der Zuschauer immer noch viel an ihr zu entdecken hat – 33 Jahre nach diesem schrecklichen, unvergesslichen Monster mit dem Hammer in der Hand. Das so herrlich mit der Kastrationsangst spielt.