Größenwahn: Das ist aktuelle deutsche Politik. Kein Projekt ist zu groß für die Führung dieses Landes, als dass die Opposition nicht noch ein größeres Projekt fordern könnte. Keine Forderung geht zu weit, als dass man sie hinterfragen müsste. Der Staat kann alles; das gilt für unsere Außen- wie Innenpolitik.
Am Anfang dieser Woche war der Ministerpräsident Chinas zu Besuch in Berlin, und Maischberger will daher in dieser Sendung wissen: „Wie sollte Deutschland umgehen mit der Großmacht? Kann China im Ukraine-Krieg Frieden stiften?“
Doch schon im Sendungstitel steckt der Keim des Größenwahns, der an diesem Abend auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann ergreifen wird. Denn die Frage, die Maischberger ihr stellt, hat es in sich: „Ist China ein Rivale oder ein Konkurrent Deutschlands?“ Die vernichtende Antwort muss sein: China ist kein Rivale Deutschlands, denn das selbsternannte „Land der Dichter und Denker“ ist zu schwach, um für China ein Rivale zu sein.
Und hier äußert sich der Größenwahn der Deutschen. China ist eine der größten Volkswirtschaften dieser Welt, ein technologisch hochentwickeltes Land mit einem starken Militär, schlagkräftigen Geheimdiensten und einem diplomatischen Korps, der die „soft power“ Chinas effektiv einzusetzen weiß. Deutschland hat eine Außenministerin, die sich im Ausland vor allem immer wieder blamiert.
Strack-Zimmermann steht dabei für eine Politik, die die Probleme des derzeitigen Verhältnisses mit China genau erkannt hat – und die falschen Schlüsse daraus zieht. Denn die Probleme sind evident. China steigt zur neuen Supermacht auf, zum Rivalen der USA. Und Deutschland muss sich entscheiden, ob es ein Spielball der Mächtigen sein will – oder eigene Interessen durchsetzt.
Rivalität erfodert Augenhöhe
Doch Letzteres geht nur, wenn man die eigenen Interessen auch durchsetzen kann. Strack-Zimmermann sagt: „Ich komme aus der Verteidigungspolitik“, als Erklärung, warum militärische und strategische Überlegungen im Umgang mit China für sie an erster Stelle stehen. Ein Kriegsschiff der Marine soll die Straße von Taiwan durchfahren, eine der wichtigsten Seestraßen der Welt und ein entscheidender Konfliktherd zwischen der Volksrepublik China und der Republik China (Taiwan).
Die Regierung soll die Produktion deutscher Unternehmen in China irgendwie begrenzen und zurück in die Heimat holen; ganz so, als sei der Produktionsstandort eine politische Entscheidung und keine wirtschaftliche. Viele Dinge, die die deutsche Politik und Industrie tun sollen, um mit China mithalten zu können.
Der Diskussionspartner Felix Lee, Journalist, zeigt die Probleme solcher Überlegungen genau: Deutsche Firmen können sich gar nicht mehr aus China zurückziehen. China ist nicht nur Produktionsstätte oder Absatzmarkt, sondern auch der Ort von Innovationen. Ob Elektromobilität oder Technologie: Deutsche Unternehmen, die China verlassen, müssen sich mit deutschem Know-how zufriedengeben. Und Deutschland hat noch gute Maschinenbauer, aber kaum Maschinenentwickler.
In der Sendung wird die deutsche Krankheit deutlich, sich als Moralapostel der Welt zu verstehen, Rivale der Supermächte sein zu wollen – aber nicht zu realisieren, dass das auch bedeutet, dass man auf Augenhöhe mit ihnen stehen muss. Dass es eine Marine braucht, die Seestraßen freihalten kann, wenn es sein muss, und eine Außenpolitik, die ihre Interessen und Moral durchsetzt, wenn sie es will, statt nur Geldpakete zu verteilen, in der Hoffnung, dass ein Despot dann auch ein bisschen Feminismus zulässt.
Statt Akzente setzen zu können, lässt sich der Kanzler von China derart unter Druck setzen, dass auf einer Pressekonferenz in Deutschland Journalisten keine Fragen stellen dürfen. Denn die könnten ja unangenehm sein. Als im vergangenen Jahr inoffizielle Polizeistationen Chinas in Deutschland bekannt wurden – mit denen Chinesen in Deutschland unter Druck gesetzt wurden –, war die Reaktion der Regierung: die Polizisten auszuweisen. Sonst nichts. Wer unter solchen Bedingungen Chinas Rivale sein will, leidet unter jenem Größenwahn, der jede Regierung mit Sitz in Berlin erfassen muss.
Einen Bären anbrüllen: Größenwahn oder Selbstsicherheit?
Das Gegenmodell zu diesem Größenwahn bildet der Naturfilmer Andreas Kieling. Er ist für seine erstaunlichen Aufnahmen für TerraX bekannt. Er soll sich mit Maischberger über das Thema „Wilde Tiere in Europa“ austauschen. Und hier wird klar: Selbstbewusstsein kann man nicht fälschen.
Kieling wurde im März dieses Jahres von einem Braunbären in den Karpaten angegriffen, als er einem seltenen Specht auf der Spur war. „Ein Motorradfahrer sieht nach einem Unfall auch nicht besser aus“, sagt er, als er mit den Fotos seiner Attacke konfrontiert wird, und versucht so, diese blutige Angelegenheit abzutun.
„Deutschland hat vor 170 Jahren den Kontakt zu großen Beutegreifern verloren, der letzte Luchs, der letzte Wolf, der letzte Bär wurde geschossen“, so seine Diagnose, warum die Deutschen solche Angst vor der wiederkehrenden Wildnis haben. Kieling ist ein interessanter Gegensatz: Er bekennt sich öffentlich zur Jagd, doch Raubtiere, die durch Schafrisse oder Angriffe auffällig werden, will er nur in den äußersten Umständen schießen. Besser sollen Lebendfallen eingesetzt und die Tiere in Gehegen gehalten werden. Er verlangt einen gesunden Respekt vor den Tieren und der Gefahr, die von ihnen ausgeht.
Doch seine spektakulären Naturfilme sind nur möglich, weil er ihnen fast zum Greifen nahe kommt. Bären, Elefanten, Gorillas: Tieren, denen es leicht fiele, ihn zu töten, nähert er sich über Wochen hinweg an, macht sich bekannt und filmt sie dann aus nächster Nähe. Und wenn das nicht klappt: Dann verscheucht er einen Braunbären, der seinem Sohn zu nahe kommt, mit fester Stimme und „Hau ab“-Rufen auf Englisch, wie ein weiteres Video unter Beweis stellt. Gesundes Selbstbewusstsein – oder ist das auch dieser Größenwahn, mit dem man sich zum Rivalen Chinas erklären möchte?