Tichys Einblick
Ende einer Ära

Berlusconi ist tot – was das für Italien und die Meloni-Regierung bedeutet

Bis zuletzt stand Berlusconi der Forza Italia vor, die derzeit die Regierung von Giorgia Meloni stützt. Droht ein politisches Vakuum? Oder stabilisiert der Tod des Cavaliere sogar Melonis Macht?

IMAGO / ZUMA Wire

70 Prozent der Italiener sollen über Fernsehen oder Internet die Beerdigung von Silvio Berlusconi verfolgt haben. Die Regierung Meloni ordnete einen Tag Staatstrauer an, das Parlament stellte drei Tage lang die Arbeit ein. Ein Staatsbegräbnis für einen italienischen Ministerpräsidenten, bei denen der Sarg durch ganz Mailand paradierte – bisher eher unüblich in der neueren italienischen Geschichte. Vielleicht, weil Berlusconi mehr als ein Politiker war und ganz in der Tradition eines Medici-Patriarchen stand, der seine eigentliche Macht aus Netzwerken, Gefallen und Zuwendungen bezog. Es existiert die Anekdote, dass der „Cavaliere“ bis zuletzt in seiner Firma Mediaset keine Angestellten feuerte, selbst wenn es dem Medienunternehmen schlechter ging.

Ob wahr oder nur gut erfunden: auf Loyalität baute Berlusconis Netzwerk auf und diese Loyalität zeigte sich neuerlich bei seinem Begräbnis, bei dem sich zahlreiche Anhänger versammelten. Die Anwesenheit von Regierungschefin Giorgia Meloni und die des Staatspräsidenten Sergio Mattarella waren daher reine Formsache. Wichtiger war, dass trotz Kritiken zuletzt eine Mehrheit den Vorgang begrüßte. Für die einen war Berlusconi ein schwarzer, für die anderen ein weißer Ritter; aber ein Ritter bleibt am Ende ein Ritter.

Berlusconi war bis zuletzt Vorsitzender der von ihm gegründeten Forza Italia – der dritten wichtigen Partei im regierenden Mitte-Rechtsbündnis. Rund 2,2 Millionen Italiener haben ihr bei der letzten Parlamentswahl im Jahr 2022 die Stimme gegeben, sie erhielt 8,1 Prozent. Das ist weit vom Einfluss jener Jahre entfernt, in denen die Forza Italia bzw. der Popolo della Libertà als Regierungspartei Berlusconis fungierte und Spitzenergebnisse von 38 Prozent erreichte. Auf dem Zenit seiner Macht zählte die Partei über eine Million Mitglieder. Nach seiner Demission 2011 erodierten die Volkspartei. Nachdem Berlusconis 2013 verurteilt wurde, beschleunigte sich dieser Trend: denn Berlusconi durfte nicht mehr für öffentliche Ämter kandidieren.

Die Forza Italia ist nunmehr eine Kleinpartei. Sie besitzt aber weiterhin den Aufbau und die Vernetzung einer Volkspartei. Das sollte nicht verwundern: auch die deutschen Sozialdemokraten droht beständig der Abstieg, aber auch als 15-Prozent-Partei behält sie die gewachsenen Strukturen, Büros, Verbände, Zeitungen, Stiftungen und andere Einfallstore. Bei der Forza Italia sieht es ähnlich aus: sie hat ihre Organisation behalten. Zudem gilt sie durch alle Schichten hindurch als Wähler, ist damit zwar nicht nach der Masse, sehr wohl aber in Bezug auf ihre Wählerschichten eine Volkspartei geblieben.

Dass sie trotz abnehmender Ergebnisse ihre Macht wahren konnte, liegt nicht zuletzt daran, dass das Mitte-Rechts-Bündnis als solches mit nur wenigen Ausnahmen in den letzten 30 Jahren erhalten geblieben ist, und das rechte Lager seine Beute nach jedem Wahlsieg gerecht aufteilte. Die Polarisierung zwischen Rechts und Links ist – anders als in Deutschland – bestehen geblieben, traditionelle Verbündete werden belohnt. Mit Alberto Cirio (Piemont), Donato Toma (Molise), Vito Bardi (Basilikata) und Roberto Occhiuto (Kalabrien) stellt die Partei vier Regionalpräsidenten. Giovanni Toti (Ligurien) war früher Mitglied der Forza Italia, hat aber mittlerweile seine eigene Partei gegründet; sie gehört allerdings weiterhin dem Mitte-Rechts-Block an.

Das Schicksal der Forza Italia war bis zuletzt mit dem Schicksal Berlusocnis verknüpft. Dass der greise Cavaliere nicht ewig an der Spitze stehen würde, war zwar in den letzten Jahren, da sich dessen Krankenhausaufenthalte mehrten, offensichtlich geworden; einen neuen Parteivorsitzenden vorzuschlagen traute sich aber niemand. Der ligurische Regionalpräsident Toti hatte nicht zuletzt deswegen der Partei den Rücken gekehrt, weil er mit innerparteilichen Reformen bei Berlusconi auf Granit biss.

Man sollte aus diesen Konstellationen jedoch nicht den Fehlschluss ziehen, dass die Forza Italia nur ein Berlusocni-Verein sei. Die Partei hat Federn gelassen, aber neben ihrem strukturellen Gewicht besitzt sie immer noch einige wichtige und durchaus angesehene Vertreter. Neben den erwähnten Regionalpräsidenten ist dabei insbesondere der gegenwärtige Außenminister und Vize-Ministerpräsident Antonio Tajani hervorzuheben. Als ehemaliger Präsident des EU-Parlaments besitzt er in Italien und Europa eine gewisse Gravität. Tajani gilt als seriös, gilt aber nicht als Wahlkämpfer. Ohne Berlusconi fehlt der Partei jene „politische Rampensau“ die in den entscheidenden Wochen vor der Wahl Stimmungen aufgreift und Emotionen bedient.

Es hat deswegen schon vor Jahren immer wieder strategische Abwägungen gegeben, was mit der Forza Italia passieren könnte, sollte der Cavaliere das Zeitliche segnen. Als die Lega in den letzten Jahren einen Höhenflug erlebte, existierten durchaus Überlegungen, dass die Lega und die Forza Italia fusionieren könnten; für die Lega, die bis dato vor allem im Norden des Landes dominiert, wäre dies eine interessante Möglichkeit gewesen, die Strukturen im Süden zu übernehmen und damit zur gesamtitalienischen Partei heranzuwachsen. Die Forza Italia hätte dagegen damit rechnen können, dass ihr Personal unter anderem Etikett fortbesteht und bei einer zukünftigen Wahl nicht in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

Seit der letzten Parlamentswahl haben sich jedoch die Parameter innerhalb des Mitte-Rechts-Lagers deutlich verändert. Giorgia Melonis Fratelli d’Italia sind die deutlich stärkste Partei und dominieren das Bündnis. Seitdem zeichnen sich auch durchaus realistische Überlegungen ab, dass die Forza Italia in einer Union mit den Fratelli aufgehen könnten. Eine solche Fusion hat es übrigens bereits gegeben: 2009 fusionierte die Alleanza Nazionale, die Vorgängerpartei der Fratelli, mit der Forza Italia und bildeten mit dem Popolo della Libertà die letzte große italienische Volkspartei der rechten Mitte. Die Union hielt bis Ende 2013.

Bisher sprach gegen solche Fusionen vor allem das Machtwort Berlusconis. Der Popolo della Libertà war deswegen möglich, weil die Forza Italia der Seniorpartner war. In allen heutigen Konstellationen ginge jedoch die Forza Italia in den anderen Bündnissen auf, statt sie führen. Nunmehr steht der Wille des Cavaliere solchen Überlegungen nicht mehr im Wege; aber die Kraft der Fratelli sorgt ebenfalls für Misstrauen. Die Befürchtung vor der Marginalisierung in einer solchen neuen Mitte-Rechts-Partei ist durchaus gerechtfertigt.

Neben dem Schicksal der Forza Italia hat der Tod des wichtigsten italienischen Politikers der letzten 30 Jahre auch Auswirkungen auf die aktuelle Regierung Meloni. Anders als etwa die ARD behauptet, dürfte das jedoch keine Unruhe auslösen. In der Tat fehlen mit Berlusconi auch die wichtigen Kontakte in die Wirtschaft und Zivilgesellschaft, Medien und zu jenen Netzwerken, die der Mailänder gesponnen hat. Aber insgesamt bedeutet das Ereignis eine Stärkung für Melonis Position innerhalb der Koalition.

Mit Berlusconi bricht ein wichtiger Rivale im rechten Lager weg; einer, der noch bei der Wahl des Präsidenten des Abgeordnetenhauses seinen Kandidaten durchsetzen wollte, während Meloni knallhart ihren politischen Paten Ignazio La Russa durchsetzte. Das Verhältnis zwischen Berlusconi und Meloni galt seitdem als belastet. Meloni, die als Jugend- und Sportministerin im letzten Kabinett des Ministerpräsidenten diente, musste sich zeitlebens von diesem emanzipieren. Der Vorgang war ein Signal, dass sie sich vom alten Cavaliere nicht mehr bevormunden lassen würde. Denn der Cavaliere besaß zuletzt immer noch die entscheidenden Stimmen, um mit einem Koalitionsbruch zu drohen und die Römerin unter Druck zu setzen.

Diese Zeiten sind jetzt endgültig vorbei. Das hat auch Konsequenzen in der Regierungspolitik. Einerseits belastete die Koalition mit Berlusconi die Glaubwürdigkeit Melonis in der Ukraine-Politik – dieser hatte ihre Allianz mit Kiew bis zuletzt kritisiert. Andererseits war und ist die Forza Italia in gesellschaftspolitischen Fragen weitaus vorsichtiger als es die Fratelli d’Italia sind. So konnte sich die zentristische Berlusconi-Partei durchaus Kompromisse bei Fragen wie LGBT, Ehe für alle oder Adoptionen vorstellen. Meloni agiert in diesen Bereichen deutlich rigider.

Für Matteo Salvini und die Lega ist der Tod Berlusconis dagegen ein zweischneidiges Schwert. Denn Salvini fehlt nun ein wichtiger Verbündeter, um Meloni innerhalb der Regierung unter Druck zu setzen. Er kann potenziell nicht mehr über Bande spielen, um die mächtigen Fratelli zu zügeln und Interessen der Lega zu forcieren. Andererseits dürfte auch Salvini davon profitieren, dass ein wichtiger Gegner im eigenen Lager verschwindet: sollte er es geschickt anstellen, kann er die Verluste in Norditalien ausgleichen, die er dort erlitten hat, wenn er um den Mittelstand wirbt, der weniger an der Forza Italia, denn mehr an der Personalie Berlusconi hing.

Während Meloni nun einfacher durchregieren kann, eröffnet sich für Salvini die letzte Möglichkeit, die Lega als wichtigen politischen Faktor der italienischen Rechten zu erhalten. Sollten die Fratelli es nämlich schaffen, das Potenzial der Forza Italia für sich zu pachten, würde die Lega zum bloßen Mehrheitsbeschaffer der italienischen Nationalpolitik degradiert. Und zuletzt: sollte sich die Forza Italia nicht in irgendeine Form der Fusion retten, besteht immer noch die destruktivere Variante, dass sich einzelne FI-Politiker nach und nach von ihr abseilen und zu den erfolgreicheren Verbündeten wechseln. Berlusconi hatte bis zuletzt seine schützende Hand über die verschuldete Partei gehalten. Meloni wie Salvini dürften aber daran interessiert sein, lieber den ganzen Kuchen für sich zu buchen, statt nur Krümel auf dem Teller.

Solche hypothetischen Spiele, wie sie sowohl die italienischen, als auch die deutschen Medien durchdenken, sollten aber auch eine weitere Möglichkeit nicht außer Acht lassen: nämlich, dass ein ruhiger Staatsmann wie Tajani mit einer moderaten Zentrumspartei vielleicht sogar das sein könnte, was einige Italiener wollen. In einer Umfrage vom Freitagmorgen hat die Forza Italia zwei Prozentpunkte dazugewonnen – und damit sogar Salvinis Lega seit langer Zeit wieder überholt.

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